Erfurt Wirtschaftsminister erwartet Zuspitzung der Automobil-Krise

Eike Kellermann
Die Abgeordneten sitzen im Thüringer Landtag. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild

Im Landtag haben die Parteien über Auswege aus der Automobil-Krise gestritten. Eigentlich waren sie sich bei der Sondersitzung näher, als ihnen lieb sein dürfte.

 
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Erfurt - Den Parteien aus dem "demokratischen Spektrum", wie sie sich selbst gern adeln, gilt die AfD als Ausbund von Populismus und Ahnungslosigkeit. Derart wurde die Partei auch am Mittwoch geziehen, als der Landtag auf Antrag der AfD zu einer Sondersitzung zusammenkam, um über die Krise der Automobil-Industrie zu debattieren. Die droht wegen des Richtungswechsels von Verbrennungsmotoren zu Elektro, Hybrid und Wasserstoff unter die Räder zu kommen.

Laut einem Grundsatzpapier aus dem Wirtschaftsministerium gehört die Automobil- und Zulieferindustrie zu den bedeutendsten Industriebranchen in Thüringen. Sie umfasse im engeren Sinn 53 Unternehmen mit mehr als 16.000 Beschäftigten und habe 2019 einen Umsatz von knapp 4,5 Milliarden Euro gemacht. Im erweiterten Sinn seien 530 Unternehmen im Feld Automobil tätig. "Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass allein in Thüringen rund 50.000 Beschäftigte zum erweiterten Kreis der Automobilzulieferer gehören", heißt es in dem Papier.

Der Lebensstandard vieler Thüringer Familien hängt demnach an der Automobil-Herstellung. Daher haben die zuletzt angekündigten Standort-Schließungen von Zulieferer-Firmen in Eisenach, Mühlhausen, Nordhausen und Gerbershausen die Landespolitik alarmiert. Bei der Landtagssitzung erklärten sich die meisten Fraktionen solidarisch mit den Beschäftigten. SPD-Politikerin Diana Lehmann regte eine Landes-Beschäftigungs-Gesellschaft an, um von Arbeitslosigkeit bedrohte Mitarbeiter aufzufangen.

Die AfD musste sich von den anderen Parteien vorhalten lassen, dass sie den Klimawandel leugne und an Benzin- und Dieselmotoren klebe. Tatsächlich behauptet die Partei, dass die etablierte Politik mit der Förderung von E-Autos die Krise der Automobil-Industrie, die sie nun bekämpfen wolle, quasi selbst herbeigeführt habe. AfD-Wirtschaftspolitikerin Tosca Kniese sprach von einer "ideologisch einseitigen Förderung der E-Mobilität". Außer Acht bleibt dabei jedoch, dass der Wandel weltweit läuft - etwa durch die massive Förderung der E-Mobilität auf dem Riesenmarkt China oder den kometenhaften Aufstieg von Tesla, dem US-Hersteller von E-Autos.

Bei genauerem Hinhören war die AfD den anderen Parteien aber doch näher, als allen Beteiligten lieb sein dürfte. So sprach sich Kniese - neben einem "Bekenntnis zum Verbrennungsmotor" - für eine "technologieoffene Forschung" bei den anderen Antriebstechniken aus. Fraktionschef Björn Höcke bekräftigte das und lobte E-Autos als stadttaugliche Fahrzeuge.

Corona als Ausrede?

CDU-Wirtschaftspolitiker Martin Henkel sagte ebenfalls Ja zum Diesel und warb für einen Mix der Antriebstechniken. Für Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ist der Verbrenner eine wichtige Brückentechnologie zu neuen Antriebsarten. "Klassische Verbrennungsmotoren werden in der Automobilindustrie noch bis mindestens Mitte der 2030er Jahre eine Rolle spielen - zunehmend in Form von Hybridantrieben", so Tiefensee. Weil da weltweit ein ganz großes Rad in Gang gekommen ist, erwartet der Minister eine weitere Zuspitzung der Krise. "Die existenzielle Schieflage vieler Automobilzulieferer in Deutschland wird sich in den kommenden Monaten weiter verschärfen." Dass damit - quasi schicksalhaft - Betriebe geschlossen und Beschäftigte arbeitslos werden müssen, lässt er nicht gelten. "Zumindest in einigen Fällen ist der Eindruck entstanden, dass gut verdienende Konzerne die Corona-Krise nutzen, um auf Kosten ihrer Beschäftigten Kapazitäten abzubauen oder an vermeintliche Billiglohnstandorte zu verlagern", kritisierte er. Tiefensee erwartet von den Unternehmen, die von guten Rahmenbedingungen in Deutschland profitiert hätten und oft mit finanzieller Förderung durch den Steuerzahler groß geworden seien, "mehr soziale Verantwortung gegenüber den Beschäftigten".

"Erst absahnen, dann Betriebe schließen", fasste das griffig Linken-Wirtschaftspolitiker Andreas Schubert zusammen. Und fügte hinzu, dass sich darin das "hässliche Wesen des Kapitalismus" zeige. Das führte bei CDU und FDP zu einiger Unruhe. Womöglich weil sie daran dachten, dass auch Sozialisten mit den famosen Autos herumfahren, die der hässliche Kapitalismus produziert.

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