Thüringen Museum hofft auf Zehntausende Besucher bei DDR-Militärwaffen-Schau

Das Waffenmuseum Suhl widmet sich mit einer Sonderausstellung der Produktion von Militärwaffen in der DDR. Die zeigt, dass sich Ost-Berlin von Moskau emanzipieren wollte. Und soll mit Mythen aufräumen.

 
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Suhl - Die Ähnlichkeiten sind nicht zu leugnen. Weshalb man - gerade als Nicht-Fachmann - schon genau hinsehen muss, um zu erkennen, ob das, was da in den Vitrinen des Waffenmuseums in Suhl liegt, nun eine Kalaschnikow oder eine Wieger ist. Beides sind Gewehre; oder präziser: Gewehrfamilien, weil es von dem einen ebenso wie von dem anderen mehrere Varianten gibt. Beide sind gemacht worden, um zu töten; Menschen zu töten. Und beide gehören zur Geschichte der Militärwaffenproduktion in der DDR.

Mehr Besucher durch Corona

Ins Waffenmuseum nach Suhl kommen nach Angaben von dessen Leiter Peter Arfmann zwischen etwa 35.000 und 40.000 Besucher pro Jahr. In den vergangenen Wochen habe das Museum bei den Besucherzahlen durch die Corona-Krise profitiert. Gerade aus Thüringens Nachbarbundesländern seien vermehrt Touristen in die Stadt gekommen, die dann auch dieses Museum besucht hätten. Mutmaßlich würden die Menschen nun verstärkt ihre Nachbarregionen entdecken, da es ihnen in diesem Jahr wegen der Pandemie nicht möglich sei, unbeschwert ins Ausland zu reisen, sagt Arfmann.

Vor allem am oberen, hinteren Teil des Gehäuses der Waffen ist die Ähnlichkeit zwischen den Gewehren frappierend. Der größte, einigermaßen leicht sichtbare Unterschied zwischen ihnen: Bei der Wieger ist der vordere Teil des Gehäuses komplett mit einem Griffstück ummantelt, das Magazin ist weniger stark gebogen.

All das ist freilich kein Zufall. Wovon die Sonderausstellung erzählt, die im Waffenmuseum an diesem Freitag eröffnet wird und bis Ende 2021 zu sehen sein soll. Insgesamt 23 Gewehre - Kalaschnikows, Wieger und ein Sturmgewehr 44 - sind dort nun zu sehen. Sie und auch die dazugestellten Ausstellungstexte erklären einerseits, warum sich Kalaschnikow und Wieger ähneln. Andererseits wird so klar, wie sehr die DDR vor allen in den 1980er Jahren zumindest vorsichtig unabhängig von der Sowjetunion Weltpolitik zu machen versuchte.

Letzteres wiederum macht die Ausstellung auch für all jene interessant, die sich nicht per se für die Waffen interessieren. "Uns geht es natürlich um die Technikgeschichte", sagt der Leiter des Museums, Peter Arfmann. "Aber auch darum, ein Stück DDR-Geschichte aufzuarbeiten."

Eine Weiterentwicklung

Anders als die Kalaschnikows nämlich, sagt der Restaurator und Büchsenmachermeister des Museums, Jörg Schulze, seien die Wieger so etwas wie in der DDR selbst entwickelte Militärgewehre gewesen - also Made in GDR. Wobei, sagt Schulze auch, man natürlich trefflich und grundsätzlich darüber streiten könne, ab wann genau ein Gewehr eine Neu- oder Weiterentwicklung sei. Die Kalaschnikows als Standardwaffen der Streitkräfte des Warschauer Paktes jedenfalls seien in der DDR als sowjetische Lizenzwaffen gefertigt worden; also nach den Bauplänen und mit Genehmigung der Sowjets. Deren Produktion habe im VEB Geräte und Werkzeugbau Wiesa im Erzgebirge stattgefunden. Die Wieger sei dort dann in den 1980er Jahren auf Basis der Kalaschnikow weiterentwickelt und gebaut worden; nachdem es schon in den 1960er Jahren in Wiesa Bestrebungen gegeben hatte, eine eigene Maschinenpistole zu entwickeln.

Der wesentliche, nicht so leicht erkennbare Teil der Weiterentwicklung: Die Wieger - ein Akronym aus "Wiesa" und Gerätewerk oder "Wiesa und Germany" - verschießt Patronen eines kleineren Kalibers als die Kalaschnikow. Die Kalaschnikow wurde für das Kaliber 7,62 Millimeter gebaut, die Wieger-Gewehre für 5,56 Millimeter. Das klingt - für Laien - nach einem zu vernachlässigen Detail, ist aber für die Ausstellung und auch für die DDR-Geschichte enorm wichtig.

Denn nach dem, was der Kurator der Ausstellung, Rigo Herold, in seinem Begleitband zur Ausstellung aufgeschrieben hat, wollte die DDR auf diese Weise in der letzten Dekade vor ihrem Zusammenbruch ein ebenso welt- wie wirtschaftspolitisches Problem umgehen, das es mit den Kalaschnikows gab, die in Wiesa in sowjetischer Lizenz gebaut wurden: Die durften laut Vertragslage aus dem selbst ernannten Arbeiter- und Bauernstaat nicht exportiert werden. Und das, wo die DDR so dringend auf Devisen angewiesen war und das Geschäft mit Waffen damals wie heute ziemlich einträglich war beziehungsweise ist. "Was lag also näher, als eine Waffe zu entwickeln, die auf den vorhandenen Produktionsanlagen gefertigt werden konnte, aber von der man behaupten konnte, dass sie in weiten Teilen mit der Lizenzdokumentation nicht mehr identisch ist und deshalb die Restriktionen für den Export nicht mehr greifen?", schreibt Herold in dem Begleitband.

Verkaufs-Verhandlungen

Bei allen Ähnlichkeiten, so Herold weiter, sei mit den Wieger-Gewehren schließlich eine Waffenfamilie entstanden, bei der tatsächlich viele Teile neu konstruiert oder modifiziert worden seien. So seien für die Wieger beispielsweise der Gaskolben und das Verriegelungsstück verändert und der Lauf der Wieger ebenso wie deren Magazin und der Mündungsfeuerdämpfer neu entworfen worden. Vor allem das kleinere Kaliber sollte die Waffe demnach für den nicht-sozialistischen Weltmarkt interessant machen. Immerhin nutzten die Nato-Staaten damals bereits 5,56-Millimeter-Munition als Standardkaliber.

Nach den Recherchen von Herold - ein promovierter Ingenieur, der Professor für digitale Systeme an der Westsächsischen Hochschule Zwickau ist - zeichnete sich kurz vor der Wende ab, dass diese Strategie durchaus erfolgreich war; ein weiteres Beispiel dafür, dass man sich in Ost-Berlin in den 1980er Jahren tatsächlich welt- und wirtschaftspolitisch zunehmend von Moskau emanzipierte. Es habe, heißt es in seinem Begleitband, kurz vor der Wende bereits konkrete Verhandlungen zum Export der Wieger zwischen der DDR und Indien beziehungsweise Peru gegeben. "Ghana und Nigeria waren weitere potenzielle Kunden."

Waffenhandel boomt

Dass die Sonderausstellung zur Militärwaffenproduktion im Waffenmuseum gezeigt wird, hat nicht nur damit zu tun, dass nach Angaben von Arfmann und Schulze mehrere der Zulieferteile für die Wieger im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl gefertigt wurden. Wie etwa der Lauf und der Gaskolben. Insgesamt etwa 40 Betriebe aus allen Regionen der DDR hätten Teile für die Wieger ins Erzgebirge geliefert, schreibt Herold.

Auch die Widersprüchlichkeit der großen Tatsache, dass auch in der DDR Kriegswaffen hergestellt worden sind, lässt sich hier im Kleinen besonders gut fassen. "Die DDR hat sich als Friedensstaat gesehen, hat aber Militärwaffen produziert", sagt Arfmann mit Blick auf das Große. "Und bis heute reden alle Staaten vom Frieden, stellen aber Militärwaffen her oder verkaufen sie." Wie recht er damit hat, zeigt sich zum Beispiel auf den regelmäßigen Berichten des Friedensforschungsinstituts Sipri, in denen die Höhe der weltweiten Waffenverkäufe seit Jahren kritisiert wird. Danach kam zuletzt mehr als ein Drittel aller globalen Rüstungslieferungen aus den USA: 96 Länder belieferten die Vereinigten Staaten nach dem aktuellen Sipri-Bericht mit Waffen. Deutschland kommt in der Sipri-Rangliste der weltweiten Waffenexporteure nicht weit dahinter. Die Bundesrepublik ist danach der viertgrößte Waffenlieferant weltweit.

Der kleinere, regionale Bezug: Suhl vermarktet sich wegen seiner langen Geschichte der Waffenfertigung und des Waffenhandwerks einerseits als "Waffenstadt". Trotzdem ist die Kommune nach einem Beschluss des Stadtrates aus dem Jahr 1991 "Stadt des Friedens". "Wo immer die Kriegsfackel brannte, lieferte Suhl Waffen", steht auf einer Tafel geschrieben, die am Eingang des Waffenmuseums hängt. Darunter: Die Stadt bemühe sich "um ein friedliches Nebeneinander der Völker".

In der Stadt des Friedens

Die ehemalige Linke-Landtagsabgeordnete und langjährige Suhler Stadträtin Ina Leukefeld, die sich noch gut an die damaligen, gesellschaftlichen Diskussionen um den Stadtratsbeschluss von 1991 erinnern kann, findet es vor diesem Hintergrund deshalb sogar richtig, dass sich das Waffenmuseum in der Sonderausstellung ausdrücklich nicht mit Jagd- und Sportwaffen, sondern mit Militärgewehren befasst. "Auch das gehört zu Suhl", sagt sie. "Stadt des Friedens und Stadt der Waffen - das sind zwei Seiten derselben Medaille." Schulze sagt, jedem, der die Ausstellung besuche, müsse klar sein, "dass man damit nicht auf die Jagd geht". Keinesfalls wolle man damit Kriege glorifizieren, sagt Arfmann.

Für die Monate, in denen die Sonderausstellung nun gezeigt werden wird, rechnet Arfmann mit etwa 50.000 Besuchern dort - wobei er und vor allem auch Schulze darauf hoffen, bei möglichst vielen von ihnen mit den Mythen aufräumen zu können, die Wieger-Waffen heute umgeben. Die Vorstellung zum Beispiel, dass nach der Wende der Bundesnachrichtendienst Konstruktionsunterlagen aus dem Werk in Wiesa illegal zur Seite geschafft habe und sie so in die USA gelangt seien, sei ebenso Unsinn wie die Vorstellung, dass zahllose Wieger-Waffen in die Hände von Kriminellen gefallen seien, sagt Schulze. "Da sind wirklich krude Theorien entwickelt worden." Theorien, die auch den Beschäftigten in Wiesa Unrecht täten, die ihr Werk nach der Wende kontrolliert und ordentlich abgewickelt hätten. "Die Leute dort haben sauber gearbeitet", sagt Schulze. "Da gab es keine Zustände wie in einer Bananenrepublik."

Dass es gerade in diesen Zeiten, in denen Verschwörungstheorien wieder en vogue sind, bei Manchem schwer sein wird, mit solchen Appellen an die Vernunft durchzudringen, darauf hat man sich im Waffenmuseum schon eingestellt. "Dieser Herausforderung stellen wir uns", sagt Schulze.

Waffenmuseum Suhl, Sonderausstellung "Von der Kalaschnikow zur Wieger, Militärwaffenproduktion in der DDR", geöffnet: dienstags bis donnerstags, 10 bis 18 Uhr. Die Ausstellung soll bis zum 31. Dezember 2021 gezeigt werden.

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