Walldorf Miteinander

Um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, geht Harald Bremer einen eher ungewöhnlichen Weg: Der Geschäftsführer der Versbach Metallbau GmbH hat mit der IG Metall einen Tarifvertrag für seinen Betrieb ausgehandelt.

 
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Walldorf - Wären Worte sichtbar, dann hätte in großen Buchstaben in fetter Schrift dieses eine in der Luft des Konferenzraums gehangen: Miteinander. Oft ist es an diesem Nachmittag wiederholt worden, immer wieder, erst vom Geschäftsführer, dann haben es Handwerkskammer-Vertreter und Gewerkschafter übernommen. Es ist mit ihnen gezogen aus diesem Raum durch die Werkhalle der Versbach Metallbau GmbH bis in die Kantine zur Betriebsversammlung. Immer größer aufgeblasen, je öfter es ausgesprochen wurde. Miteinander reden, aufeinander zugehen, Harmonie, Wertschätzung für alle Beschäftigten. Wieder und wieder, es ist das Mantra des Betriebs.

Beinahe ein wenig verdächtig wirkt das. Denn was auffällig oft gesagt wird, ist mitunter nicht mehr als eine hohle Phrase. Aber in der Firma Versbach ist es nicht nur die Spitze, die Mitbestimmung predigt. Es sind auch die Mitarbeiter, die die Transparenz loben, die Gesprächskultur, für die sich dieser noch recht neue Geschäftsführer einsetzt.

Seit Januar 2018 leitet Harald Bremer neben Lutz Fehringer den Betrieb, der im kleinen Walldorf bei Meiningen so Dinge wie Haustüren, Fenster und Vordächer herstellt. "Ich war überrascht, dass die Situation im Betrieb nicht so schlimm war wie angenommen", sagt er am Donnerstag bei einem Pressegespräch. Damit spielt er auf die Zustände an, die in den vergangenen, zehn, fünfzehn Jahren geherrscht haben müssen: Mitarbeiter erzählen, wie sie tagtäglich abends nach Hause gekommen sind, nicht mehr wussten, wo ihnen der Kopf stehe und ob sie überhaupt noch lange Arbeit haben würden. Immer diese unterschwellige Angst, das Unternehmen überstehe die Krise im Handwerk nicht, werde vielleicht dichtgemacht. Dazu ein Führungsstil, der das Gegenteil von dem gewesen sein muss, den sie jetzt erleben, unter Harald Bremer.

Lohn für gute Arbeit

Der nämlich setzt auf faire Vergütung, Dialog und gegenseitige Wertschätzung. Er sagt Sätze wie diese: "Die Löhne hier waren aus meiner Sicht zu niedrig. Wer 40 Stunden in der Woche arbeitet, der sollte davon selbstverständlich seinen Lebensunterhalt bestreiten können." Und er findet, dass nicht diejenigen mehr Gehalt bekommen sollten, die am häufigsten danach fragen, sondern diejenigen, die gute Arbeit leisten.

Deswegen hat er sich mit Gewerkschaftern der IG Metall an einen Tisch gesetzt, einen Haustarif ausgehandelt und die betriebliche Leistungszulage auf bis zu zehn Prozent des Bruttolohns erhöht. Die verschiedenen Arbeitsplätze und Aufgaben seien neuen Lohngruppen zugeordnet worden. 2020 werde es eine weitere Steigerung geben, wenn die nächste Stufe des Plans greife. "Jeder hat jetzt spürbar mehr auf dem Konto, wenn die Lohnüberweisung kommt", sagt Bremer. Diese Beträge bewegten sich demnach zwischen 170 und 300 Euro.

Die Höhe der Zulage errechne sich nach einem Punktesystem, nach dem die jeweiligen Vorgesetzten ihre Mitarbeiter einstuften. Diese erfahren in persönlichen Gesprächen, in welchen Punkten sie sich verbessert oder verschlechtert haben. Und: "Jeder weiß, was der andere verdient, wir haben keine Geheimnisse mehr", so Bremer. "So stelle ich mir ein Unternehmen vor, das sich nach vorne entwickeln soll."

Ein Erfolgsmodell, findet Lutz Koscielsky, Vize-Präsident der Handwerkskammer Südthüringen. Er betont zwar, dass etwa 90 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Südthüringen ihre Fachkräfte und Mitarbeiter fair bezahlten - die konstanten Mitgliederzahlen in der Handwerkskammer sprechen dafür. Doch außergewöhnlich am Beispiel Versbach sei, dass der Tarifvertrag gemeinsam mit der IG Metall geschlossen worden sei. Weil die Handwerkskammer sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber vertritt, achte man auch dort auf Interessenausgleich.

Später, bei der Betriebsversammlung in der Kantine, wird Harald Bremer seine Worte aus dem Pressegespräch ähnlich noch mal wählen. Dass es am Arbeitgeber liege, auf Betriebsrat, Mitarbeiter und Gewerkschafter zuzugehen. Ohne Frontenbildung. Denn nur wer miteinander rede, könne Lösungen finden. "Es geht um die Sache. Das sollten wir beibehalten, dann werden wir nie größere Probleme kriegen." Und das sei auch die Grundlage, um nachzuholen, was in der Vergangenheit versäumt wurde.

Wenn man Reiner Grebner - Metallbauer, seit 27 Jahren in der Firma - direkt fragt, dann sagt er, dass das jetzt die beste Zeit seiner ganzen Betriebszugehörigkeit sei. "Personell und hinsichtlich der Investitionen ging es schrittweise bergab vorher", erzählt der 58-Jährige. Trotzdem ist er dageblieben. Weil er sich unter den Kollegen wohlgefühlt hat, aber auch, weil es keine Alternative gab. "Als der neue Geschäftsführer kam und sich vorgestellt hat, hatte ich sofort ein gutes Gefühl", sagt er heute. "Jetzt wird investiert, es gibt neue Produktpaletten, es werden neue Schienen gefahren. Das macht Mut für die Zukunft."

Bewegung

Auch Betriebsrat und Metallbauer Thomas Schmalz bestätigt das positive Miteinander, seit Harald Bremer den Betrieb leitet. "Wir haben das Gefühl, dass sich etwas bewegt. Was er angeleiert hat: Da sieht man, dass er es wirklich will." Es habe Kollegen gegeben, erzählt er, die zuvor für 10,50 Euro in der Stunde gearbeitet hätten. Nun liege der Lohn bei etwa 12 Euro. "Wir haben Gewissheit, Kontinuität."

Freilich aber kann nicht alles perfekt sein, wenn Interessen aufeinandertreffen, Kompromisse geschlossen werden müssen. Und so sagt Thomas Schmalz auch, dass zwar die Ungerechtigkeiten bei den Löhnen beseitigt worden seien, aber eben nicht jeder die gleiche Leistung bringe. Das Wort "Leistungszulage" sei irreführend. "In meinen Augen hat das nämlich nichts mit Leistung zu tun, sondern eher mit Eigenschaften wie Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit." Dennoch: Der Betrieb hat inzwischen neben zwei Geschäftsführern 53 Mitarbeiter. Vor einem Jahr seien es noch 36 gewesen. Es tut sich also was.

Ralf Kutzner, stellvertretender Bundesgeschäftsführer der IG Metall, ist am Donnerstag extra aus Frankfurt am Main angereist, um sich in der Versbach Metallbau umzuschauen. Um mal "aus dem Turm" herauszukommen und ein Beispiel gelungener Unternehmenskultur mitzunehmen. "Die Firma hat alles, was wir mit einem Zukunftsbetrieb verbinden", sagt er. Auch Kutzner spricht viel von "gemeinsam", von einem "guten Leben für alle", was gleichzeitig die Formel für gute Arbeit sei. "Und das brauchen wir, gerade im Handwerk. Denn das Handwerk soll wieder Premiumsegment im Mittelstand werden." Und in Richtung der Versbach-Belegschaft: "Ihr habt’s geschafft mit allen Perspektiven. Ich kann euch nur beglückwünschen zu dem Miteinander." Und da war das Wort noch mal, ganz zum Schluss.

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