Thüringer helfen "Wir haben alle noch daran zu knabbern"

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Daniela Köhler steigen bei der Erinnerung an die Ereignisse des Neujahrstages, als in ihrem Wohnhaus ein Feuer ausbrach, noch immer Tränen in die Augen. Jetzt zog die Familie in eine neue Wohnung – dank vieler Helfer und Spender.

 
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Fambach - Das neue Jahr sollte eigentlich besser werden, als das alte zu Ende gegangen war. Kurz vor dem Jahreswechsel hatte Daniela Köhler ihre Arbeit verloren. Schlimm für die allein erziehende Mutter zweier Kinder, denn ohne Führerschein einen neuen Job in Fambach zu bekommen, ist schwierig. Doch das neue Jahr sollte noch schlimmer beginnen. "Nach dem Mittagessen haben wir noch ein bisschen rumgeblödelt und dann habe ich zu meinem Sohn gesagt, er soll mal schauen, ob das Feuer noch brennt", erinnert sie sich noch genau an diesen Moment.

Kurz zuvor hatte Daniela selbst Holz in den gesetzten Ofen gesteckt, der von einem Nebenzimmer aus angefeuert wird und die Wohnstube beheizte. Der 16-Jährige machte die Tür zum Nebenzimmer auf und ein Schwall heißer Luft strömte ihm entgegen. "Da brannte es schon in dem Zimmer. Mein Vater versuchte noch, selbst das Feuer zu löschen, aber es gelang nicht." Sie habe nur noch "Raus!" geschrieen und sei mit den beiden Kindern ins Freie gelaufen. "Wir hatten nicht mal Schuhe angezogen." Dass die Polizei mitgeteilt hatte, dass der Ofen in einer Speisekammer stand, ärgert sie heute noch. Sie habe sich viele Kommentare dazu anhören müssen, obwohl das gar nicht stimmte.

Wer ihr irgendwann in den Stunden danach eine Jacke gegeben hat, weiß Daniela Köhler nicht. Alles lief wie ein Film ab - bis heute. "Ich muss erst mal zur Ruhe kommen. Bisher kam ich überhaupt nicht zum Luftholen. Wir haben alle noch daran zu knabbern", sagt die 41-Jährige und man glaubt es ihr sofort. So richtig angekommen ist sie noch nicht in der neuen Wohnung in Fambach, ein paar hundert Meter von ihrem vom Brand und vom Löschwasser zerstörten ehemaligen Zuhause entfernt. Das Haus sei 1902 gebaut worden, ihr Vater, Klaus Bachmann, hatte es später gekauft. Zuletzt gehörte es der Bank, die das stark in Mitleidenschaft gezogene Gebäude wahrscheinlich abreißen lassen werde. Laut Bürgermeister Jürgen Herrmann sei der Schaden auf rund 100 000 Euro geschätzt worden, eine Sanierung lohne wohl nicht. Klaus Bachmann, Daniela Köhler und ihre beiden Kinder Alina (11) und Chris (16) wohnten im Haus. Noch hat Daniela Köhler einen Schlüssel, holt ab und an Sachen heraus. "Für die neue Wohnung war kaum noch etwas brauchbar, aber ein paar Erinnerungen habe ich mitgenommen. Dinge, die man nicht einfach so ersetzen kann."

Von der Hilfsbereitschaft vieler Fambacher und auch ihr unbekannter Menschen aus der Region war sie überwältigt. Allen voran nennt sie ihre ehemaligen Nachbarn, die Familien Wilhelm, Volk und Reuchsel. Aber auch der Familie ihrer Pate, Beerbohm, möchte sie unbedingt öffentlich danke sagen. "Bei ihr waren mein Vater, meine Tochter Alina und ich bis zum Umzug für fünf Wochen untergekommen. Dafür sind alle im Haus zusammengerückt. Mein Cousin hat sein Bett für mich und meine Tochter freigemacht", erzählt sie. Tagelang habe es bei Familie Beerbohm geklingelt, weil Sachspenden eingingen, Stube und Küche standen voll.

Ines Reuchsel und Elke Schleicher haben Hilfsaktionen in Supermärkten in Floh und Breitungen gestartet, gleich zum Neujahrsfeuer am 3. Januar im Fambacher Ortsteil Heßles war eine Spendenbüchse aufgestellt worden, ergänzt Fambachs Bürgermeister Jürgen Herrmann, der sich sofort den Hut für die Koordination der Hilfsaktion aufgesetzt hatte und bei dem von Beginn an "die Telefone nicht mehr still standen".

Besonders danken möchte Daniela Köhler neben ihren Schulkameraden, von denen einige sofort Hilfe anboten, der Feuerwehr Fambach, "nicht nur wegen des Löscheinsatzes". Auch das Menschliche habe ihr sehr geholfen. Eine Geschichte werde ihr immer in Erinnerung bleiben: Sie hatte André Stötzel gesagt, dass Alina ihren Teddy vermisse, der noch im Haus sei. Daraufhin habe er ihr einen Feuerwehr-Teddy vorbeigebracht. Ortsbrandmeister Kevin Heller habe später, als er einen Rundgang im Haus machte, Alinas eigenen Teddy herausgeholt. Als die Mutter das erzählt, zittern ihre Lippen und sie zeigt vom bereits österlich geschmückten Esstisch auf das Plüschtier auf der Couch im Wohnzimmer. Nicht nur sie und ihr Vater, der am Brandtag wegen eine Rauchgasvergiftung ins Krankenhaus kam, auch die Kinder müssen das Erlebte erst noch verarbeiten. Alle vier haben unter Schock gestanden, Alina und Chris zudem große Angst um ihren Opa gehabt. Seit 2007 lebt die Mutter mit den beiden Kindern wieder bei ihrem Vater in Fambach.

Viele helfende Hände

Schon am Abend des Neujahrstages lief die Hilfsaktion an, Pfarrer und Bürgermeister kamen zu Familie Köhler. Bürgermeister Herrmann fuhr am nächsten Tag mit der Familie zur Kleiderkammer nach Schmalkalden und zur Heimatzeitung, die zwei Tage später berichtete, dass Helfer und welche Spenden gebraucht werden. Deren Hilfsverein "Freies Wort hilft - MITEINANDER FÜREINANDER" erklärte sich bereit, die Küche zu sponsern. Über den Verein "Fambacher helfen Fambachern" wurden die Geldspenden angenommen. "Alles, was dort eingegangen ist, haben wir zweckgebunden eingesetzt", betont Herrmann. Auch Fambacher, die nicht mehr hier wohnen, hätten ihn kontaktiert, weil sie spenden wollten, berichtet Herrmann. Das Spendengeld ist auf dem Konto, das beim Kirchenkreisamt Schmalkalden eingerichtet wurde, eingegangen.

Überrascht waren der Bürgermeister und Daniela Köhler von den freiwilligen Helfern, die sich prompt auf den Aufruf hin meldeten. Stellvertretend seien hier Nicole Hessenmüller, Heike Löwe, Katrin Günschmann, André Petter und Andreas Mangold sowie zwei junge Männer aus Breitungen, Christian Kühnemund und Chris Otto, genannt. Nicole Hessenmüller half unter anderem dabei, die gespendeten Möbel in die neue Wohnung einzupassen. Es sei viel angeboten worden, worüber sich alle sehr gefreut hätten. Aber nicht alles passe in die neue Wohnung, bittet der Bürgermeister um Verständnis. "Heike Löwe und Katrin Günschmann kamen eines Morgens ins Bürgermeisteramt und fragten, was sie tun könnten. Dann haben beide bis zum späten Nachmittag Kleidung sortiert", berichtet Jürgen Herrmann.

Er hat noch eine weitere schöne Geschichte parat: Eine Frau aus Schmalkalden fragte, ob noch ein Staubsauger benötigt werde, sie habe sich einen neuen gekauft, würde aber ihren eigenen behalten und den neuen und 50 Euro spenden. Dann war aber parallel schon ein Staubsauger abgegeben worden. "So etwas zeigte mir, dass die Menschen wirklich gerne spenden und vor allem, dass die Spender keine alten Dinge loswerden, sondern mit guten, brauchbaren Sachen wirklich helfen wollen", freut sich Herrmann. Die Hilfe habe auf mehreren Ebenen funktioniert. Einmal über die Veröffentlichungen in der Heimatzeitung und durch Bert Wilhelm übers Regionalfernsehen sowie über Facebook. Des Weiteren musste es Leute geben, die die Spenden notieren und koordinieren. Und es musste Leute geben, die mit anpacken, die Fahrzeuge zur Verfügung stellen und Möbel aufstellen, wie Enrico Blaufuß aus Wernshausen, der das beruflich macht und nach seiner Arbeitszeit noch unentgeltlich bei den Köhlers half. Die, wie die beiden Breitunger, beim Malern halfen oder die, wie Nachbar Mangold, viele kleine Tätigkeiten im Haus ausführten. "Es war gut zu erfahren, dass man bestimmte Bereiche einfach jemanden übertragen konnte, der das dann erledigt hat", sagt der Bürgermeister.

"Die ganze Aktion war Wahnsinn. Ich muss jedem Einzelnen dankbar sein, aber besonders bin ich es auch dem Vermieter", sagt Daniela Köhler. Silvio Zimmermann hatte aufgrund der Dringlichkeit die Zimmer schneller als geplant bezugsfertig gemacht und war einige Kompromisse eingegangen.

Normalität herstellen, das war das Ziel von Daniela Köhler. Sie schickte deshalb ihre Kinder gleich am Montag nach dem Wohnhausbrand wieder zur Schule. Damit das überhaupt ging, war sie froh, dass Ellen Storandt, die einen Schreibwarenladen in Fambach hat, gleich am Tag nach dem Brand Schreibutensilien, Hefte und Blöcke vorbeibrachte. Dies alles zeige, "dass der dörfliche Zusammenhalt funktioniert", fasst der Bürgermeister seine Erfahrungen zusammen. Auch wenn es, wie ebenfalls im Dorf üblich, ab und an Gerede gibt. Aber das dürfe man nicht an sich heranlassen. Schließlich könne keiner mitreden, dem so etwas noch nicht passiert sei, sagt Köhler und man merkt ihr an, dass sie mancher Kommentar verletzt hat. Der Fall zeige trotz allem, dass es richtig gewesen sei, den Verein "Fambacher helfen Fambachern" zu gründen, meint Jürgen Herrmann. Denn er zeige, dass die Hilfe nicht nur auf Materielles beschränkt sei.

Eine Arbeitsstelle hat Daniela Köhler Mitte Januar gefunden. Sie bekam Post vom Landratsamt und wurde bei der Zella-Mehliser Reinigungsfirma, die den Zuschlag für die Fambacher Schule erhalten hat, eingestellt. "Da hat man ganz schön zu tun, aber es macht mir Spaß", erzählt die zweifache Mutter und endlich gelingt ihr auch ein Lächeln.

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