Matthias Brenner gab kürzlich in Suhl mit Franz Kafkas „Die Verwandlung“ ein Gastspiel, das für ihn zugleich ein Heimspiel war. Freies Wort kam mit dem Schauspieler, Regisseur und Autor, der in Meiningen geboren wurde und viele Jahre in Suhl lebte, ins Gespräch.

Sie haben in jungen Jahren in Suhl gelebt, sind nun aber schon lange Berliner. Wie gut sind die Beziehungen nach Suhl noch?

M. Brenner: Sehr gut. Ich bin relativ oft hier bei meiner Familie, bei meinen Freunden. Ich bin hier in die Schule gegangenen und habe im Fajas gelernt. In Suhl hatte ich eine sehr intensive Jugend. Ich bin super Leuten begegnet, die für mich äußerst wichtig waren und auch noch sind.

Wie sehen Sie die Stadt mit dem Abstand, der zwischen Berlin und Suhl, der zwischen dem jugendlichen und dem heute fünfzigjährigen Matthias Brenner liegt?

M. Brenner: Ich denke, dass es Suhl auf die Füße fällt, einst künstlich zur Bezirksstadt aufgeblasen worden zu sein. Ich meine aber zu erkennen, dass sich die Stadt konsolidiert. Freilich ist das verwaiste Fajas-Gelände kein schöner Anblick. Und was die Überalterung betrifft – damit haben viele Städte zu kämpfen. Wenn ich andererseits sehe, wie blutjunge Leute von der Joel-Gemeinde herzerfrischendes Theater machen ...

Sie waren bei der Premiere des Stückes „So freundlich er ist, so kalt ist er“?

M. Brenner: Ja. Das interessiert mich. Ich habe früher im Arbeitertheater „Friedrich Wolf“ gespielt. Im gleichen Haus, das damals noch Kulturhaus hieß. Hier wieder Theaterluft zu riechen, hat etwas berührendes. Aber das Haus verrät Stillstand.

Weil es immer noch so ist wie zu Ihrer Zeit?

M. Brenner: Ich bin schon dafür, dass Dinge erhalten werden. Aber eine Stadt, die muss sich ständig verändern. Wenn ich da an den Bau der Stadthalle denke, den ich Stück für Stück verfolgen konnte – und damit auch Veränderung ... Das hatte was. Ich habe noch eine Postkarte von dem Suhl der 70er-Jahre über meinem Schreibtisch hängen – mit Stadthalle, aber ohne Sitte-Bild.

Man hört, dass Sie in Suhl auch Fußball gespielt haben.

M. Brenner: Klar, bei Empor. Ich habe meistens im Tor gestanden, war aber nicht besonders gut. Wie der Suhler SV 06 spielt, interessiert mich immer noch. Die Ergebnisse will ich schon wissen.

Und was verbindet Sie mit Meiningen, Ihrer Geburtsstadt?

M. Brenner: Vor allem das Theater. Hier habe ich unter anderem Regie geführt beim Musical „Lola Blau“ und bei Shakespeares „Was ihr wollt“. Seit kurzem läuft am Puppentheater mein Stück „Das Märchen von der verlorenen Zeit“.

Sie sind Schauspieler, Regisseur, Autor – ein Allround-Talent?

M. Brenner: Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen, als Schauspieler zu werden. Ganz ehrlich – ich habe Regisseure nie um ihre Arbeit beneidet. Aber als ich am Erfurter Schauspielhaus plötzlich vor der Tatsache stand, die künstlerische Leitung übernehmen zu müssen, habe ich angefangen, mich auch an diese Arbeit zu trauen, mir zuzutrauen, Stücke zu inszenieren. Das war ein ganz wichtiger Moment in meinem Leben. Danach habe ich begonnen, eigene Abende zu entwerfen – auch mit anderen Leuten gemeinsam.

So wie die szenische Lesung von Kafkas „Die Verwandlung“?

M. Brenner: Zum Beispiel. Oder die szenische Lesung von Mark-Twain-Stoff gemeinsam mit meiner Frau Cornelia Heyse.

Haben Sie zu Kafka eine besondere Beziehung?

M. Brenner: Sagen wir es so: Ich habe durch diese Lesungen eine Beziehung zu ihm bekommen. Er beeindruckt mich, wie andere Autoren auch. Ich finde, dass seine absurde Denkart gar nicht so negativ und schwarz ist, wie sie oft interpretiert wird. Richtig wichtige Autoren, die in mein Leben passen, sind Christoph Hein, Theodor Fontane und einige andere.

Und was ist mit dem Autor Matthias Brenner?

M. Brenner: Geschichten zu schreiben ist für mich wie Gartenarbeit für andere Leute. Manches wird dann Stoff fürs Theater. Wie beispielsweise die Bearbeitung des Romans Der „Glöckner von Notre Dame“ oder die Dramatisierung des Fontane-Romans „Effi Briest“ oder das Monologdrama Nullhundertneunzig.

Das klingt nach einer Bilderbuchkarriere.

M. Brenner: Vom Wendeknick bin ich verschont geblieben. Klar habe ich die Gefahren gesehen, aber auch die neuen Möglichkeiten – ohne die Dinge, die früher besser gelaufen sind, zu vergessen. Und: Talent ist die eine Seite. Aber das braucht verlässliche Förderer, die auch Flops aushalten müssen. Ich habe das Glück, einen guten Verlag zu haben und Menschen begegnet zu sein, die an meine Arbeit glauben.

Fehlt eigentlich nur noch, Sie als Sänger zu erleben.

M.Brenner: Das wird bald soweit sein. Ich habe Song-Abende bereits in der Planung. Dabei haben ich mit dem Singen bislang überhaupt nichts anfangen können.

Zurück zum Schauspieler Matthias Brenner. Im vergangenen Jahr konnte man Sie in dem Streifen „Das Leben der anderen“ sehen. Was hat Ihnen die Arbeit an diesem Film gegeben?

M. Brenner: Ich hatte mit der Darstellung des Karl Wallner eine vergleichsweise kleine Rolle. Über das Buch habe ich mich sehr gefreut, und ich habe auch die innere Arbeit am Film und mit Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck sehr genossen. Manches in dem Film ist streitbar, vieles habe ich für möglich gehalten. Aber er ist keine Dokumentation. Deshalb mahne ich auch die Vermarktungskultur als Stasi-Drama oder gar als Werk zur Stasi-Geschichtsaufarbeitung in politischen Bildungsprogrammen an. In dem Film ist Spekulation, Wahrnehmung, Legende ... Und ein wunderbar geschaffener Moment: Ein Typ, arbeitet für ein repressives System, bespitzelt ein Künstlerpaar, erfährt dadurch Begegnung mit der Kunst und tröstet sich mit ihr in der Erkenntnis seines tristen Daseins.

Auf wen darf man demnächst gespannt sein? Auf den Autor, den Regisseur oder den Schauspieler?

M. Brenner: Unter anderem als Darsteller in dem wunderschönen (Frauen)Film „Frei nach Plan“ von Franziska Meletzky, der im März anläuft und zum internationalen Filmfest in Shanghai die Preise für den „Besten Film“ und die „Besten Darstellerinnen“ gewann. Hier wird das Wende-Thema mit glänzender Besetzung – Dagmar Manzel, Corinna Harfouch und Kirsten Block – umgesetzt. Das ist ein so schöner Streifen, der alles bietet: Lachen, Weinen und Spannung.

Wenn man wie Sie auf großen Bühnen und vor laufenden Kameras zu Hause ist – wie spielt es sich da vor einem vergleichsweise kleinen Publikum wie eben beim Suhler Mimenspiel?

M. Brenner: Ich bin auch schon zu einer Vorstellung gekommen, bei der nur sieben Leute an einem Tisch saßen. Ich hab’ mich einfach dazu gesetzt und Kafkas Verwandlung gegeben. Man muss sich eben auf jede Situation einlassen können. Und Respekt haben – vor jedem Auftritt.

Interview: Heike Hüchtemann