Man kann Autoren und ihre Bücher auch vernichten, ohne sie zu verbrennen. Indem man sie mundtot macht. Indem man ihre Bücher verbietet oder gar nicht erst drucken lässt. Man kennt das gut aus Diktaturen. Gedankenfreiheit ist solchen Regimes etwas zutiefst Suspektes. Die Ostdeutschen haben das noch besonders in Erinnerung. Es gibt eine Sammlung "Die verschwiegene Bibliothek". Dort ist unveröffentlichte Literatur der DDR zusammengetragen, von rund 100 Autoren und mit über 40 000 Seiten. Sie umfasst die Zeit vom Beginn der fünfziger Jahre bis zur politischen Wende 1989. Sie umschließt Schicksale, die nicht selten tragisch endeten.

Spätestens mit der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 geriet die Künstlerwelt der DDR, und vor allem die der Literaten, aus den Fugen. Scharenweise verließen die Schriftsteller das Land - aus Protest gegen den geistigen Mief und die Unfreiheit. Jurek Becker, Günter Kunert, Sarah Kirsch, Reiner Kunze - das waren keine unbedeutenden literarischen Lichter. Aber unbequeme Fragensteller. Doch jene, die die Freiheit der Andersdenkenden und Toleranz einforderten, liebte die sozialistische Partei-und Staatsführung gar nicht.

Fast genau an jener Stelle, an der Karl-Heinz Walther Montagabend in der Bücherei saß, saß vor drei Jahren Reiner Kunze, der es in der DDR nicht mehr ausgehalten hatte. Emigrierte, um frei zu schreiben.

Das Bild wäre nicht der Rede wert, wäre da nicht die politische Biografie von Walther. Er hatte im Führungszirkel der SED im Bezirk Suhl beachtliche Positionen inne: Direktor der Bezirksparteischule, Abteilungsleiter der Bezirksleitung für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung, Büroleiter bei Hans Albrecht, dem letzten Bezirksfürsten.

Solche Aufgaben bekam man nicht für Verdienste als Widerspruchsgeist. Auch Künstler aus dem Bezirk Suhl, die sich mit der Macht anlegten, und sei es nur, um auszureisen, bekamen diese zu spüren.

Es hat einen schalen Beigeschmack, wenn sich ausgerechnet Protagonisten des DDR-Systems für die Freiheit des Geistes und verfemte Autoren einsetzen und vergessen, was sie selbst zu ihrer Zeit mit zugelassen haben. Wie wäre es wohl Kurt Tucholsky in der DDR ergangen? Vermutlich hätte man auch ihm den Mund verboten.

An einem 10. Mai könnte man durchaus einmal diskutieren, wie die SED-Diktatur mit missliebigen Autoren umgegangen ist. Auch das gehört zur deutschen Geschichte.