Sonneberg Zehn machen vor, wie's geht

Madlen Pfeifer
Nicht nur, dass die Feuerwehren und andere Hilfsorganisationen mit immer weniger Personal zurechtkommen müssen. Die Aufgaben der Kameraden nehmen zu - etwa mit der frisch eröffneten ICE-Strecke. Üben für den Ernstfall noch vor der Inbetriebnahme, wie hier im Juli 2017, gehört da ebenso dazu. Archiv Foto: tho

Ob Feuerwehr oder DRK, Hilfsorganisationen im Kreis leiden seit Jahren unter Einsatzkräftemangel. Allein auf den Nachwuchs können die Kameraden im aktiven Dienst nicht mehr bauen. Die Lösung? Quereinsteiger müssen her. Einige gibt es schon.

 
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Sonneberg - Die Zahlen sprechen Bände. Und das schon seit Jahren. Dass es den Feuerwehren im Landkreis - wohl im ganzen Bundesgebiet - an Kameraden mangelt, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Um es auf den Punkt zu bringen: "60 Prozent der Feuerwehren sind nicht oder nur bedingt einsatzbereit", beziffert Sonnebergs Kreisbrandinspektor (KBI) Mathias Nüchterlein die Situation. Und das bezogen auf die Zeit von Montag bis Freitag zwischen 6 und 17 Uhr. Mittlerweile im Falle eines Falles eine Staffel bestehend aus sechs Männern und Frauen zusammenzubekommen - sprich "die kleinste Einheit, mit der die Feuerwehr erste Maßnahmen machen kann", so Nüchterlein - sei kaum noch möglich. Nur dann, wenn mehrere Wehren alarmiert würden.

Waren es 2003 noch 1282 Einsatzkräfte in 50 Wehren im Sonneberger Raum, ist die Ziffer zehn Jahre später erstmals mit 992 Männern und Frauen unter die Tausender Marke gefallen. 2016 ein erneutes Minus: 882 Floriansjünger in 44 Wehren. "Natürlich sind die Zahlen rückläufig." Anders kann es der KBI gar nicht sagen. Doch sei das, was bis heute passiert ist, noch das kleinere Übel im Vergleich zu dem, was in den nächsten Jahren auf die Wehren und viele andere Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) zukomme. Denn, so Nüchterlein weiter, "wenn ich in die Zukunft schaue, wird es ebenfalls rückläufig werden".

Die Entwicklung in den kommenden fünf bis acht Jahren verheißt nichts Gutes: Gut 90 Einsatzkräfte scheiden demnach allein altersbedingt aus. Nicht zu vergessen die Mädchen und Jungen in den Jugendfeuerwehren. Rein theoretisch könnten 172 von ihnen in den aktiven Dienst wechseln. An und für sich gute Aussichten - aber: Man könne bestenfalls mit 50 bis 70 rechnen, so der KBI. "Die Anzahl der Mitglieder in den Jugendfeuerwehren ist gar nicht so schlecht", betont er. "Aber die Übertrittsrate in den aktiven Dienst? Da hapert's!" Und genau das ist der Punkt. "Wir können nicht mehr nur auf die Jugend bauen. Wir müssen zusätzlich ältere Leute, Erwachsene finden, die in die Feuerwehr eintreten", sagt Matthias Kaden, zuständiger Kreisbrandmeister für das Sonneberger Unterland. Das heißt: Quereinsteiger sind gefragt - und zwar durch alle Reihen der BOS, von den Wehren bis hin zum DRK.

Dass das funktionieren kann, zeigt nicht nur die Geschichte von Kaden selbst - auch die von zehn ausgewählten Frauen und Männern aus dem Landkreis, die nun wöchentlich in Freies Wort vorgestellt werden. Vor allem aber sollen diese ein Anreiz für andere sein, es ihnen gleich zu tun, das Ehrenamt, die Wehren wieder zu stärken.

René Gundermann, selbst in zwei Wehren im Kreis aktiv, hatte die Idee, Quereinsteiger vorzustellen, um den Beweis zu erbringen, dass auch Frauen und Männer, die bisher nichts mit Feuerwehr, Bergwacht und Co. zu tun hatten, eine Bereicherung für das Ehrenamt sind. Matthias Kaden unterstützt ihn dabei. Die beiden fragten per Mail in den verschiedenen Organisationen im Kreis an, wer etwas über sich und seine Geschichte schildern möchte und schwuppdiwupp waren innerhalb von zwei Tagen zehn Kameraden gefunden. Doch gebe es noch ein paar mehr, sagt Matthias Kaden.

45 Jahre ist er alt. Mit 16 Jahren ist er Feuerwehrmann geworden - mit dem Eintritt in die Freiwillige Wehr Rotheul. Dank seines Vaters hat er den Schritt gewagt, der ihn darauf aufmerksam machte, sich doch in irgendeiner Form zu engagieren. Inzwischen begleitet ihn das Ehrenamt seit fast 30 Jahren. Er hat umfangreiche technische und führungsspezifische Ausbildungen durchlaufen. Seit 2013 ist er Kreisbrandmeister, seit 2015 Mitglied im Vorstand des Kreisfeuerwehrverbandes - und das alles neben seinem Job. Nicht zu vergessen: Matthias Kaden ist verheiratet, hat einen elfjährigen Sohn. Das zeigt: Quereinstieg gelingt. "Aber nur dann", so Kaden, "wenn die Familie dahintersteht." Das sei ein ganz wichtiger Punkt.

Die Geschichten vom kleinen Jungen, der Feuerwehrmann werden will? Es gibt sie noch, doch werden sie seltener. René Gundermann aber kann sie noch erzählen: "Feuerwehr wird in meiner Familie schon seit Generationen ausgeübt." Und so verwundert es nicht, dass der 39-Jährige 1991 der Jugendfeuerwehr beigetreten ist. 1994 ging's dann weiter im aktiven Dienst. Zwischenzeitlich war er Wehrführer in Sonneberg-Köppelsdorf sowie Stadtbrandmeister der Kreisstadt. Heute ist Gundermann in den Wehren Köppelsdorf und Mupperg aktiv. Und das, so erzählen, Nüchterlein, Kaden und Gundermann, sei heutzutage keine Seltenheit mehr. Viele würden sich doppelt und dreifach engagieren - ob in verschiedenen Wehren, innerhalb einer Wehr in mehreren Funktionen oder etwa in Feuerwehr, DRK und, oder Technischem Hilfswerk (THW).

Die Gründe dafür, wie die Feuerwehren heute aufgestellt sind, sind vielfältig. Das geht los mit den älteren Mitgliedern, von denen viele in absehbarer Zeit altersbedingt ausscheiden. Nicht zu vergessen, dass manche Wehr eh schon rar besetzt ist. Wenn dann noch, wie etwa im Fall der Feuerwehr Heinersdorf, die im Jahr 2014 aufgelöst wurde, der Wehrführer ausscheidet, ist es um die Zukunft nicht sonderlich rosig bestellt. Nicht nur, dass es eh schon schwierig sei, engagierte Feuerwehrler zu finden, aber dann auch noch jemanden, der einen verantwortungsvollen Posten inne haben soll? Viele, so Mathias Nüchterlein, schrecke das ab - ob aus Mangel an Zeit, fehlender Motivation oder anderen Gründen.

Dass zudem zu wenige junge Leute nachrücken? "Es ist schwierig bei der Stange zu bleiben", weiß der KBI. Der Übertritt in den aktiven Dienst falle für Heranwachsende in eine Zeit ihres Lebens, in der die meisten Veränderungen für sie anstehen. Manch einer verlasse aus beruflichen Gründen die Region. Wer in der Heimat einen Job finde, sei mit der Ausbildung meist ausgelastet. Zeit fürs Ehrenamt bleibe da erst einmal nicht viel - und gerade in den ersten beiden Jahren brauche man die. "Es hängt viel dran, wenn man in den aktiven Dienst wechselt", sagt Nüchterlein. Ein Grundlehrgang, der sich über zwei Jahre erstreckt - das heißt Truppmannausbildung und Sprechfunklehrgang plus die Dienste in der heimischen Wehr. 40 Stunden pro Jahr sind da laut Feuerwehr-Dienstvorschrift gefordert. Und das um ein "einfacher Feuerwehrmann" ohne jegliche Spezialfunktion wie etwa Truppführer oder Atemschutzgeräteträger zu werden.

"Wenn die ersten beiden Jahre und somit der Grundlehrgang rum sind, hat man etwa in einem Fußballverein mehr zu tun", nennt Kaden einen Grund, der für das Dasein eines Feuerwehrmannes spricht. Und es gibt gewiss noch mehr. Neben dem Wir-Gefühl vor allem Lob und Anerkennung dafür, dass man eine hoheitliche Aufgabe fürs Gemeinwohl übernimmt. Dafür, dass man 365 Tage im Jahr "einen unverzichtbaren Bestandteil für die Sicherheit der Menschen, ihrer Sachwerte und dem Schutz der Umwelt" leistet.

Wer sich also entscheidet, Feuerwehrmann zu werden, der sollte weniger die materiellen Dinge zu schätzen wissen, als vielmehr, so Matthias Kaden "ein großes Stück Idealismus" mitbringen. Und wenn Mann oder Frau das hat und die ersten beiden Ausbildungsjahre geschafft sind, dann ist sich René Gundermann sicher, "kommt der eigene Ehrgeiz von ganz allein".

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