Schmalkalden - Mit zehn Zeilen kommt auch Schmalkalden in dem Buch "Unsere Revolution - Geschichte der Jahre 1989/90" vor. Damit stieg der Autor, Dr. Erhart Neubert, in das Schmalkalder Gespräch ein, veranstaltet vom Bildungswerk Erfurt der Konrad-Adenauer-Stiftung, in der Aula der Fachhochschule.

Denn ein Zuhörer hatte ihm von der friedlichen Revolution in Schmalkalden und Umgebung berichtet. Doch Dr. Neubert ist als kritischer Intellektueller, als Bürgerrechtler und Gründungsmitglied des Demokratischen Aufbruchs sowie als Autor einer der führenden Köpfe dieser Zeit gewesen. Er hat stapelweise Material ausgewertet und mit seinen Erinnerungen zu einem stimmigen Geschichtsbild zusammengefügt. Da blieben auch für andere Städte nicht mehr als zehn Zeilen in dem 520-Seiten-Buch. Schon der Titel trifft es mit "Unsere Revolution" genau, denn bis auf fünf ganz junge Leute haben die gut 50 Zuhörer, darunter Landrat Ralf Luther und Andreas Trautvetter, diese Revolution miterlebt. "Unsere Revolution" auch deshalb, weil der Autor nicht ausgrenzt, die Lebenserfahrung und Lebensleistung der Menschen in der DDR nicht negiert. Mehr noch sagt er, die DDR habe ihn geprägt.

War es eine Revolution oder ein Zusammenbruch? Diese Frage beleuchtete Dr. Neubert überzeugend anhand der Sprache in den Jahren 1989/90. Das Schweigen der DDR-Bevölkerung war reflexartig, konnte sich das Publikum erinnern. Es gab u. a. eine subversive Sprache mit Witzen. Einen jener Endwitze der DDR gab der Gast aus Erfurt zum Besten: Amerikaner, Russen und DDR dürfen etwas aus der gesunkenen Titanic mitnehmen. Die Amerikaner wollen die Juwelen der Passagiere, die Russen die Technik und die DDR die Bordkapelle. Weil die bis zum Schluss gespielt hat.

Zunächst defensive Losungen

Im August 1989 lobte eine, wie sich später herausstellte, fingierte Leserbriefschreiberin aus Stuttgart in der SED-Bezirkszeitung von Plauen im Vogtland die DDR. Dagegen erhob sich Widerspruch in böse gereimter Form. In Plauen, so weiß Dr. Neubert, sei die größte Demo gewesen. Das wurde aber nicht bekannt, weil die Westmedien nicht vor Ort waren.

Im September 1989 waren die Losungen noch defensiv, lauteten "Stasi raus!" Der Ruf der Leipziger Demonstranten gegen einen Zeitungsbeitrag, der sie als Rowdys bezeichnete, drehte sich zu der Losung der Wende schlechthin "Wir sind das Volk" um.

Wie stark Worte werden können, zeigt das "sofort unverzüglich" aus der Erklärung von Schabowski am 9. November oder das "ich liebe euch doch alle" von Stasi-Chef Mielke. "Jetzt brach das Sprachgewitter über die SED herein", blickte der Autor auf das Jahresende 1989 zurück. "Die Demokratie in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf" oder "Privilegierte aller Länder beseitigt euch", zeigten, wie sich die Menschen Luft machten, indem sie die alten Parolen veränderten.

Als sich dann Egon Krenz den Dialog einfallen ließ, um die Massen von der Straße zu bringen, wurde folgende Reihe aufgestellt: Ulbricht log, Honecker log, Krenz log, Dia log. Erhart Neubert, der als Vertreter des Demokratischen Aufbruchs am Runden Tisch saß, weiß, dass hier die Bürgerrechtler die Regeln machten und streng auf ihre Einhaltung achteten. 20 000 Seiten Protokolle des Runden Tisches hat sich der Autor noch einmal angesehen. Wie Sprachverwirrung zu Machtverlust führte, konnte er an vielen Beispielen belegen. So wollte die DDR in ihren letzten Zügen die Stasi zum Verfassungsschutz machen. Als Fazit des lebendigen Vortrages zog Neubert, dass in der Demokratie die Menschen miteinander sprechen müssen. Denn in der friedlichen Revolution habe sich an der Sprache gezeigt, dass die Leute der Politik meist weit voraus waren.

Mit diesem Schmalkalder Gespräch verabschiedete sich der bisherige Moderator Prof. Dr. Jens Goebel und übergab das Mikrofon an den Landtagsabgeordneten Michael Heym. "Er ist näher an der Politik", meinte Goebel, der vor zwölf Jahren die Moderation von Andreas Trautvetter übernommen hatte. Dieser hatte die Schmalkalder Schlossgespräche mit dem Bildungswerk Erfurt der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Mitte der 1990er Jahre ins Leben gerufen. 1999 übernahm Prof. Goebel die Leitung.

In diesen Jahren haben 30 Schmalkalder Gespräche stattgefunden, fügte Daniel Braun vom Bildungswerk Erfurt hinzu. An den Direktor des Museums Schloss Wilhelmsburg gewandt, äußerte er den Wunsch, dass ein nächstes Gespräch wieder auf dem Schloss stattfinden möge. lou