Schmalkalden - Wir schreiben das Jahr 1553 - es ist frostig kalt in Schmalkalden. Überall Raureif. Die sächsische Herzogin Elisabeth von Rochlitz spaziert durch den Garten des Hessenhofs. Sie atmet die kalte Luft ein. Ihre Schritte knirschen im Schnee. Voller Zauber betrachtet sie eine vom Frost zugedeckte Knospe. Und dann steht er da - ein Kerl wie ein Baum, Albrecht Alcibiades, ein berüchtigter Söldnerführer. Er duftet nach Mann, seine Lippen fordernd und seine Hände ...

Anja Zimmer versteht ihr Handwerk. Sie schreibt, beschreibt. In den Köpfen der Zuhörer reihen sich Bilder aneinander. Sie tauchen ein in eine andere Welt. Doch der Reihe nach: Helgard Rutte schenkt Sekt aus, Claudia Narr reicht Eintrittskarten weiter. Karl-Heinz Willer und sein Sohn schleppen zusätzliche Stühle ins Tafelgemach von Schloss Wilhelmsburg. Der Besucherzustrom scheint nicht enden zu wollen. Es ist Mittwochabend in Schmalkalden. Nanu? Das ist schon in Ordnung - alles wissbegierige Menschen, die noch mehr über Elisabeth von Rochlitz erfahren wollen.

"Ich hab sie schon durch Schmalkalden geführt", meint Bertl Werner augenzwinkernd und erinnert an die besondere Stadtführung zu Ostern, als ihre Kollegin in die Rolle der Elisabeth geschlüpft war. Die Spannung steigt, es wird geredet. Cordula Queck macht sich Sorgen um ihr Ins-trument. Darmsaiten sind sehr empfindlich. Schnell schließt ihr Bruder Friedemann Liebaug die Fenster. Vorfreude im Saal - alle Augen sind nach vorn gerichtet.

Im Lehnstuhl, ganz entspannt, sitzt die Akteurin. In einem atemberaubenden Kleid, um den Hals trägt sie ein Collier - ganz Elisabeth von Rochlitz. Alle wissen, dass sich die Autorin Anja Zimmer ganz bewusst als ihre Protagonistin ausgibt. Nach einem langen Arbeitstag will sie ihr Publikum entführen in eine Zeit, auf deren Gegenwart längst zentimeterdicker Staub liegt. Anja Zimmer hat ihn Schicht um Schicht weggewedelt. Sechs Jahre intensiver Recherchen brachten Licht in eine zum Teil schon düstere Vergangenheit. Über einiges wird die Autorin im Tafelgemach erzählen. Hoch konzentriert liest sie in einer schwarzen Mappe. Dann wird es still.

Ein Leben wie im Film

Anja Zimmer sucht die Augen von Helgard Rutte. "Es ist ihr Abend", meint die Gesuchte, kommt dann doch kurz nach vorn und begrüßt die Gäste. "Wir kennen sie schon lange und haben sie wieder hierhergeholt", sagt sie mit Blick auf die Autorin. Friedemann Liebaug und Cordula Queck eröffnen die Lesung mit heiterer Musik. Anja Zimmer atmete noch einmal durch. Die Klänge passten sehr gut zu Elisabeths Leben in Rochlitz, ihrer glücklichsten Zeit.

Zimmer erzählt zunächst, klärt die historischen Hintergründe ab, spricht von Elisabeths Bruder, dem Landgrafen Philipp von Hessen, bringt deren Cousin Kurfürst Moritz von Sachsen ins Spiel, lässt ihre Hofdamen, besonders Gertrud und die Närrin wieder auferstehen. Auch Kurfürst Johann Friedrich tritt in Erscheinung - Elisabeth versorgte ihn einst bestens mit Informationen. Das Publikum hört von Briefen und Geheimschriften Elisabeths. Ein James-Bond-Film - gedreht vor 500 Jahren. Als Anja Zimmer die erste Passage aus dem zweiten Teil der Elisabeth Biografie vorliest, hat man das Gefühl, im Kino zu sitzen. Es fällt nicht schwer, sich in die Geschichte hineinzudenken. 24. Februar 1547: ein Schloss im Morgengrauen. Der Türmer bläst Alarm. "Schnell raus aus den Betten". Elisabeth ist die erste. Sie muss die für den Ernstfall vorbereiteten Briefe zu einem Boten bringen. Barfüßig und im Nachtkleid. Die Zuhörer lernen Elisabeth als mutige Frau kennen, die sich für ihre Untertanen stark macht und immer für den Frieden war. Doch jetzt ist Krieg. "Ein Paradies, gebaut auf Sand" - so auch der Titel des zweiten Romans. Elisabeth flieht nach Schmalkalden.

Als sie wenige Monate später ihren Bruder nach dessen langer Gefangenschaft wieder begegnet, lernt das Publikum sie als sensible Frau mit viel Gefühl kennen. Erklärende geschichtliche Phasen wechseln mit Passagen aus dem Roman. Es wird nicht langweilig. Anja Zimmer erzählt so wie sie schreibt: Facettenreich, detailliert, mitreißend. Ihre bildhafte Sprache fasziniert. Wenn sie in der kurzen Pause sagt, sie wolle die Zuhörer mit allen Sinnen ansprechen und für zwei Stunden aus ihrem Alltag herausholen, dann hat sie das schon zu dem Zeitpunkt geschafft.

Mit Büchern in den Händen suchen die Schmalkalder - um die 100 sind zur Lesung gekommen - das Gespräch mit der Autorin. Sie signiert, schreibt Widmungen, nimmt sich Zeit für die Leute. Wie Menschen vor fast 500 Jahren lebten, was sie fühlten, wie sie dachten - ist für Anja Zimmer Anreiz. Eingebettet freilich in die damalige Zeit. Elisabeth von Rochlitz ist ihr besonders ans Herz gewachsen.

Zehn Jahre beschäftigte sie sich mit dieser Frau, in einem gesonderten Roman auch mit deren Mutter. "Ich war bei der Geburt Elisabeths dabei", sagt sie und das Publikum schmunzelt. "Wir feiern auch ihren Geburtstag immer mit Kaffee und Kuchen."

Nicht mit Ruhm bekleckert

Dann aber sei sie nach Schmalkalden gekommen und Museumsdirektor Kai Lehmann habe ihr berichtet, dass sich ihr "Liebling" hier einst nicht mit Ruhm bekleckert habe. Vielmehr habe sie die Liebe zum Söldnerführer Albrecht Alcibiades (Brandenburg-Kulmbach) blind gemacht. Immerhin erlaubte sie ihm einst, in Schmalkalden Söldner anzuwerben. Brieflich belegt sei das. Über das Techtelmechtel der beiden spekulierte Zimmer. Filmreif die vorgetragene Szene. Doch welch ein Irrtum. Elisabeth leidet. Und es kommt noch schlimmer. Die Autorin hat neugierig gemacht, Leselust entfacht. Bekommt viel Applaus, gibt den weiter an die beiden Musiker. Lässt sich feiern. Und es stimmt - es war ihr Abend. Und es war goldrichtig, sie wiederholt nach Schmalkalden eingeladen zu haben.