Meiningen. „Ein jüdisches Leben in Thüringen“ ist der Titel eines Buches, in dem bis 1930 aufgezeichnete Erinnerungen des Meininger Rechtsanwaltes Jacob Simon (1865 – 1943) erstmals veröffentlicht werden. Das Werk wird am Samstag, 12. September, um 10 Uhr im Brahmssaal dem Publikum vorgestellt.

Die Buchausgabe ist in zweifacher Hinsicht eine äußerst bemerkenswerte Neuerscheinung: Da ist zunächst der Inhalt, der in selten überlieferter Dimension über die lokale Bedeutung hinaus eine umfassende Schilderung des Alltags jüdischen Lebens in Thüringen in der Weimarer Republik liefert. Zum anderen ist die Geschichte des Manuskriptes spannend und zugleich bezeichnend.

Großer Glücksfall


„Es ist ein großer Glücksfall für uns, dass uns die Aufzeichnungen Jacob Simons angeboten worden sind“, steht für Dr. Johannes Mötsch, Direktor des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen, fest. Das meint er durchaus im doppelten Sinn. Zunächst sind da die äußerst aufschlussreichen Aufzeichnungen, die uns heute ein Bild vom Alltag in Meiningen im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts vermitteln können. Aber dann sei es durchaus als Glücksfall zu verstehen, dass das Manuskript den Weg nach Meiningen zurück gefunden habe.

Johannes Mötsch umreißt die Geschichte der Aufzeichnungen kurz: Der Enkel Jacob Simons, in England geboren und heute in Ohio (USA) lebend, fand 2007 im Bankfach seines Vaters Typoskript-Blätter, ohne jede Kenntnis von deren Bedeutung. Ja, er konnte den Text zunächst nicht einmal lesen, da er der deutschen Sprache nicht mächtig war. Als er von der Bedeutung der Aufzeichnungen erfuhr, übergab er diese dem Jüdischen Museum in Frankfurt/Main im Herbst desselben Jahres. Dort gab es eine neue Überraschung, denn es fielen Übereinstimmungen der Blätter aus Amerika mit in einem Abrisshaus in Frankfurt zufällig geborgenen Notizbüchern auf. Tatsächlich waren dies die handschriftlichen Aufzeichnungen Jacob Simons, nach denen er wohl 1930 Typoskripte hatte anfertigen lassen. Eines von diesen nahm sein Sohn 1933 mit in die Emigration nach England, von dort gelangten die Blätter in das Bankfach in Ohio.

„Meininger Verhältnisse“

Jacob Simon emigrierte nicht. Er verblieb nach 1933 zunächst in Meiningen, wo er im gleichen Jahr seine Zulassung als Notar verlor. 1938 wird ihm die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Er verzieht mit seiner Frau nach Frankfurt, von dort werden beide 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie im Jahr darauf starben. Seine aufgezeichneten Lebenserinnerungen konnte er vor der Deportation in Frankfurt verstecken, wo sie beim Abbruch des Hauses 2006 zufällig gefunden wurden.

Die Darstellungen Jacob Simons beginnen mit Ausführungen über seine Vorfahren, einer führenden jüdisch-intellektuellen Familie, und deren Lebensverhältnisse in Hildburghausen. Den größten Teil des Buches nehmen Schilderungen der „Meininger Verhältnisse“ ein, schließlich kam der junge Referendar 1889 an das hiesige Landgericht. Natürlich beschränkt sich Jacob Simon nicht nur auf dienstliche Einblicke in die Meininger Juristerei. Nein, der Alltag in der Residenz- und späteren Kreisstadt wird umfassender widergespiegelt.

Liebenswerte Details

Genau so, wie er Typen aus seiner Referendar- und späteren Rechtsanwaltspraxis treffend charakterisiert, schildert er andere Momente aus dem Leben in Meiningen. Kurz und treffend formuliert, mit dem Blick für Wesentliches, macht das Lesen der lebendig geschriebenen Aufzeichnungen zu einem Vergnügen. Dabei werden neben wichtigen und weitreichenden Ereignissen, etwa der Gründung des Meininger Musikvereins, dessen Mitinitiator und Vorsitzender Jacob Simon war, auch liebenswerte Details nicht vergessen. Etwa wenn er erzählt, was einem Meininger widerfahren ist, der eine Bank im Schlosspark zu nächtlichem Liebesspiel missbrauchte, oder dass die Freifrau von Heldburg „von angeborener Liebenswürdigkeit“, Prinzess Marie hingegen „nichtachtend und unhöflich“ und „nicht beliebt“ gewesen sei.

Enkel als Gast

Der Bedeutung der Buchausgabe angemessen, wird deren öffentliche Präsentation am Samstag, 12. September, um 10 Uhr im Brahmssaal ausfallen. Nach Grußworten von Landrat, Bürgermeister und dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde wird der Vorsitzende der Historischen Kommission für Thüringen sprechen, in deren Großen Reihe als Band 17 die Lebenserinnerungen Jacob Simons erscheinen. Besonderer Gast der Buchpremiere wird Dr. John Simon, der Enkel des Verfassers, aus Ohio sein. Auch Herausgeber und Archivdirektor Dr. Johannes Mötsch wie ein Vertreter des Verlages werden sprechen. P. Schmidt-Raßmann