Gerade ist Wieland Förster 90 Jahre alt geworden. Er ist ein Künstler und Zeitzeuge der Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte, der persönlich großes Leid und verdiente Ehrungen erfahren hat. Zur Ausstellungseröffnung kam Förster Ehefrau Angelika nach Erfurt. Ihr Mann reist mit 90 Jahren nicht mehr, ist aber als Autor noch recht produktiv.

Im Foyer des Angermuseums, das einst als Skulpturenhalle mit einer vorzüglichen Sammlung mittelalterlicher Figuren die Besucher begrüßte, überragt ein Schlüsselwerk Försters den weiten Raum. "Großes Martyrium - Den Opfern des Faschismus gewidmet" entstand 1977 bis 1979 für die Stadt Frankfurt/Oder. Die über zwei Meter hohe Bronzefigur wiegt ca. 400 Kilogramm und steht auf einem hohen, ebenso schweren Sockel. Den logistischen Kraftakt ahnt der Betrachter nicht. Er fühlt sich eingenommen von dieser mächtigen Plastik. Das sind, bei genauem Hinschauen, vier männliche Körper, zwei aufrechte und zwei hängende, ineinander verbunden und verschlungen. Wie ein großer menschlicher, wie ein gordischer Knoten wirkt die Figur.

Das Kunstwerk erregte vor 40 Jahren Aufsehen und verschwand für einige Zeit wieder. Es passte nicht in die ideologisch aufgeladene Gesellschaft in der DDR. Von 1996 bis 2016 stand es im öffentlichen Raum in Frankfurt/Oder, wie viele Figuren von Wieland Förster unter freiem Himmel für die Allgemeinheit zugänglich sind. Die eindrucksvolle Plastik wurde restauriert und ist jetzt erstmals wieder als Blickfang und Begrüßung im Foyer des Angermuseums in Erfurt zu sehen.

Wie kommt die Stadt zu dieser Ausstellung, mit der Wieland Förster biografisch und künstlerisch kaum Berührungspunkte hat? Ganz einfach. Am Anfang stand die Idee, im 30. Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands einen großen Künstler auszustellen, der die gesellschaftlichen Brüche erlebt und künstlerisch eindrücklich gestaltet hat. Zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gehört seit 2001 die Wieland-Förster-Stiftung. Der Künstler schenkte der Stiftung 58 Skulpturen mit der Auflage, dieses Werk zu pflegen, zu erforschen und öffentlich auszustellen. Mit Leihgaben aus Frankfurt/Oder, aus anderen Sammlungen und Museen ist so eine wunderbare Geburtstagsausstellung entstanden, die in Erfurt und Thüringen in dieser Fülle und Vielfalt bisher nicht zu sehen war.

Die retrospektiv angelegte Schau, kuratiert von Thomas von Taschitzki, umfasst ca. 60 Plastiken bzw. Skulpturen (Bronzen, Beton, Stein) unterschiedlicher Größe und Form sowie 70 Zeichnungen aus etwa 50 Schaffensjahren. Wieland Förster entwickelte eine individuelle Figurensprache, die leidvolle Erfahrungen als Jugendlicher aufgreift und künstlerische Anregungen großer Bildhauer der Klassischen Moderne wie Auguste Rodin, Hans Arp und Henry Moore aufnimmt. Förster erlebte 15-jährig die Bombardierung Dresdens und musste verbrannte Körper bergen. Er wurde als 16-Jähriger denunziert und wegen angeblichen Waffenbesitzes zu siebeneinhalb Jahren Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt. In einem sowjetischen Speziallager in Bautzen überlebte er knapp, wurde 1950 entlassen. Diese Jahre prägten ihn und sein Werk.

Wieland Förster beruft sich auf den französischen Dichter und Diplomaten Saint John Perse, dass es ihm eine innere Verpflichtung sei, Zeugnis abzulegen vom Menschen im 20. Jahrhundert. Die Erfurter Ausstellung gibt Einblicke und hinterlässt nachhaltige Eindrücke.

Der menschliche Körper und menschliche Erfahrungen im Spannungsfeld und Widerspruch von Schmerz, Leid und Martyrium einerseits und Sinnlichkeit, Natürlichkeit, Schönheit und Eros andererseits bestimmen sein Werk. In einem Kabinett der Sonderausstellung korrespondieren Figuren und Zeichnungen, die existenzielle Erfahrungen aus seiner Jugendzeit verarbeiten und künstlerisch verdichten. Eine Tunesien-Reise 1967 anlässlich einer Ausstellung wird für Förster zum Urerlebnis von Natur gewordener Form und Gestalt: Wüste, Felsformationen, Landschaften und Olivenbäume. Der Zeichner findet hier Anregungen für sein figürliches Gestalten. Ein "Paar, landschaftlich" wächst geradezu aus der Erde in den Raum. Immer wieder formte Förster Porträts von großen Künstlerkollegen. Unverwechselbar in der Ausstellung etwa die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek oder der Jahrhundertschauspieler Bernhard Minetti.

Das Angermuseum fragte den Bildhauer, ob er aus der Erfurter Sammlung einige Figuren auswählen und mit eigenen Arbeiten in einen "stillen Dialog" treten lassen wollte. Als Vorlage dienten Fotografien. Wieland Förster wählte Skulpturen bzw. Plastiken aus, die einerseits auf die exzellente Sammlung des Angermuseums aufmerksam machen. Andererseits suchte er bewusst künstlerische Gegensätze zwischen seinem Werk und großen Meistern der Moderne wie Ernst Barlach, Richard Scheibe, Gustav Seitz, Georg Kolbe oder Wilhelm Lehmbruck. Die vorwitzige "Rosa im Bett" von Seitz schaut schnippisch, gar hochnäsig auf die daneben liegende "Geburt der Venus" von Förster. Was für ein Schauspiel nur.

Wie schön, dass ein solch herausragender Bildhauer mit einer Überblicksschau im Erfurter Angermuseum zu sehen ist. Die Weimarer Galerie Profil zeigt bis 19. März ebenfalls Plastiken, Zeichnungen und Grafiken von Wieland Förster. Von ihm sind in Weimar im öffentlichen Raum zwei prominente Plastiken zu sehen: Friedrich Schiller vor dem gleichnamigen Museum und ein Lutherporträt vor der Herderkirche.

Ausstellung bis 24. Mai im Angermuseum Erfurt, geöffnet Di-So 10-18 Uhr, www.kunstmuseen.erfurt.de