In ihr und mit deren Existenz und Verlöschen groß geworden, hat sie ihrer Weltsicht und dem Dauerclinch mit einer engstirnigen Kulturbürokratie ein Werk abgerungen, das seinen ganz eigenen Sound hat. In reinster Form wohl in ihrem kleinen Günderode-Bändchen "Kein Ort. Nirgends". Und immer seine ganz eigene Ernsthaftigkeit. Es war oft eine Selbstverständigung von Autorin und Lesern über Lebensthemen, die auf der offiziellen Agenda nicht allzu weit oben standen. In Berlin ist in der Neuen Nationalgalerie gerade eine Ausstellung unter dem Titel "Der geteilte Himmel" eröffnet worden. Genauso hieß 1963 der Roman, mit dem sie, nach ihrem Debüt mit der "Moskauer Novelle" (1961) vollends bekannt wurde.

In wohl kaum einer privaten Bibliothek, zumindest im Osten Deutschlands, dürfte diese Auseinandersetzung mit der Teilung Deutschlands fehlen. Ebenso wenig wie ein Exemplar von "Nachdenken über Christa T." oder der "Kindheitsmuster". Mit diesen reflektierenden Erinnerungen unterlief sie 1976 auch die Legende, dass sich der braune Teil des nationalen Erbes ausschließlich im Westen und der aufrechte, anständige ebenso ausschließlich im Osten Deutschlands erhalten habe. In manchen Bücherschränken finden sich aber auch, neben ihrem wunderbaren Frauen- und Wiedervereinigungskrimi "Medea: Stimmen" aus dem Jahre 1996, zwei Ausgaben ihrer ersten Antiken-Exkursion aus dem Jahre 1983 unter dem Titel "Kassandra. Vier Vorlesungen - Eine Erzählung".

Unsicherheit der Oberen

Weil sie natürlich auch da vor allem über ihre Gegenwart schrieb, wurden etliche Passagen zensiert. Brecht hätte zwar gesagt: Immerhin, sie nehmen mich ernst. Nüchtern und von heute aus betrachtet ist dieser Unsinn kaum nachvollziehbar. Aber er ist ein deutliches Symptom für die Unsicherheit der Herrschenden im Angesicht selbst wohlmeinender Kritiker. Denn zu den aktiven Gegnern ihres Staates war Christa Wolf nie zu rechnen. Im Gegenteil. Sie hielt zumindest an der Idee, die ihm zugrunde lag, fest. Vermochte sie wohl, anders als jene Kollegen, die spätestens nach der Biermann Affäre 1976 das Land verließen, unter der Erstarrung auch noch erkennen. Den Mund gehalten hat sie freilich nicht. Sie gehörte selbstverständlich zu den Unterzeichnern des berühmten Protestes, nahm nichts davon zurück, ließ sich lieber abstrafen. Dass sie Ende November 1989 zu den Mitinitiatoren des Aufrufs von Intelektuellen "Für unser Land" gehörte, verlieh diesem, vierzehn Tage nach dem Mauerfall längst aussichtslosem Aufflackern einer Utopie, dennoch einiges Gewicht.

Die 1929 in Landsberg an der Warthe geborene, seit 1951 mit dem Schriftsteller Gerhard Wolf verheiratete Autorin, die 1953 u.a. in Leipzig bei Hans Meyer Germanistik studiert hat, stand für viele immer auch als Person hinter ihren Texten. Mit ihrer ruhigen, überlegten Art zu reden, vermochte sie bis zuletzt immer noch spielend überfüllte Säle zu begeistern.

Mut vor dem Plenum

Als 1990 bekannt wurde, das sie von 1959 bis 1962 als IM Margarethe bei der Stasi geführt wurde, schlug eine Welle von Angriffen über der Autorin zusammen, die selbst vom Anfang der 60er Jahre bis zum Ende der DDR im Visier der Überwacher war. Das brachte ihr selbst eine "Opferakte" im Umfang von sage und schreibe 42 Bänden ein. Bei ihrer Fangemeinde hat ihr das nicht geschadet. Sie wurde als Autorin geliebt und in den Debatten, an denen sie sich beteiligte, als moralische Autorität geschätzt. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sie einst auch als SED-Genossin Frauenmut von den Thronen der Parteioberen bewies. Auf dem berüchtigten 11. Plenum, im Dezember 1965, auf dem die SED so gut wie jeden Freiraum zurücknahm, der nach dem Mauerbau den Künstlern, Schriftstellern oder Filmemachern aber auch dem Publikum vorgegaukelt wurde, da widersprach Christa Wolf in aller Offenheit. Mit bebender Stimme, doch unbeirrt. Dass es mit ihrer Zeit im Führungsgremium der Staatspartei (sie war von 1963 bis 1967 Kandidatin des ZK) damit vorbei war, wird sie weniger getroffen haben, als die Häme der Antworten und die Wirkungslosigkeit ihrer damaligen Intervention. Ihre IM-Akte hat sie übrigens unter dem Titel "Akteneinsicht Christa Wolf" 1993 selbst veröffentlicht und die Debatte darüber in dem im vorigen Jahr erschienen Roman "Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud" verarbeitet. Unversehens ist das jetzt der letzte Band im Christa Wolf Fach des Bücherregals geworden. Daran kann man sich nur schwer gewöhnen.

Das Theater Rudolstadt lädt morgen um 20 Uhr spontan zu einer Lesung in den Schminkkasten ein. Intendant und Schriftstellerkollege Steffen Mensching, der Christa Wolf persönlich kannte, sowie die Schauspielerin Anne Kies lesen Auszüge aus dem zuletzt veröffentlichten Werk "Stadt der Engel" (2010).


Ein Interview mit Christa und Gerhard Wolf, eine Lesung aus dem letzten Roman "Stadt der Engel" und Aufnahmen in ihrer Wohnung von 2010 sind hier zu sehen:. http://www.zeitzeugen-tv.com/