Zugegeben: Man muss Charlotte Roche nicht lieben. Und schon gar nicht ihre Bücher mögen. Oder überhaupt lesen wollen. Selten polarisiert ein Roman so extrem wie Roches Erstling "Feuchtgebiete" aus dem Jahr 2008. Sich die explizite Beschreibung von Körpersäften jeglicher Art literarisch einzuverleiben, ist sicher nicht jedermanns Sache. Dass das Buch trotzdem monatelang auf der Bestseller-Liste stand, sich rund drei Millionen Mal verkaufte und dann verfilmt wurde, spricht aber auch für eine extreme Anziehungskraft - ausgelöst durch den Ekel. Es ist die Attraktivität des Hässlichen, von dem die Aufmerksamkeit schwer abzulenken ist. Damit spielt Roche genial.

Ihr zweites Buch "Schoßgebete", dessen Geschichte ebenfalls den Weg ins Kino fand, diente offenkundig mehr der Aufarbeitung einer persönlichen Katastrophe und beschreibt eine junge Frau im Scherbenhaufen ihres Lebens. Als Kontrollfreak, der nur beim Sex wirklich loslassen kann.

Eine böse Zunge könnte behaupten: Reißt man ein paar Seiten aus "Feuchtgebiete" heraus, klebt sie mit einigen Seiten aus "Schoßgebete" zusammen, entsteht "Mädchen für alles" - der dritte Roman von Charlotte Roche. Warum sollte das, was schon mal funktioniert hat, nicht wieder klappen?

Das Erfolgrezept: Eine Hauptperson mit psychischen Problemen, Sex, Sex, Sex und der Ekelfaktor aus dem Abseits jeglicher Hygienevorstellungen. Das operierte Hinterteil aus "Feuchtgebiete" lässt sich genauso passend eintauschen in eine Brust, die mit heißem Kaffee verbrüht wurde und alle möglichen Flüssigkeiten absondert. Einen kleinen Seitenhieb auf die ihrer Meinung nach übertriebenen Reinlichkeitsvorstellungen der Allgemeinheit kann sich die Autorin in "Mädchen für alles" nicht verkneifen - wenn auch das Thema nicht ganz so dominiert wie in ihrem ersten Buch. Als "vollwertiges Mitglied der Gesellschaft" dürfe man nicht schlecht riechen, heißt es. Nur deswegen schlüpft Protagonistin Chrissi unter die Dusche. Obwohl sie Duschen nicht mag.

Sie mag eigentlich überhaupt viel nicht: Ihren Mann, ihr neues Leben als Mutter, das Korsett, in das sie sich in ihrer Ehe gepresst fühlt. Längst ist sie einen tiefen familiären Abgrund gestürzt, den sie nur auf Koks, unter Alkohol und über die Flucht in die Welt von Fernsehserien erträgt, die sie in Gewaltfantasien stürzen. Als ihr Mann dann auch noch das bildhübsche Kindermädchen Marie anschleppt, mit dem er - so glaubt Chrissi - unvermeidlich eine Affäre beginnen wird, dreht sie den Spieß rum: Ab jetzt ist ihr einziges Ziel, ihrem Mann zuvorzukommen und Marie selbst zu verführen.

Dass sie um das Kindermädchen noch einen anderen, perfiden Plan spinnt, löst sich erst ganz am Schluss auf. In einer Brutalität, die selbst für Roche-Bücher neuartig und ihre Leser überraschend schockierend ist. Damit schafft es die Autorin, diese irgendwie unheimliche Atmosphäre, die sich durch all ihre Werke zieht, tatsächlich in eine noch extremere Richtung zu entwickeln.

Und nach dem Lesen stellt sich automatisch die Frage: Wie steigert sie das im möglichen vierten Buch? Und: Wann kommt es nur?

Charlotte Roche macht süchtig.

Charlotte Roche: "Mädchen für alles". Piper 2015 - 14,99 Euro.