Goethe, so wurde einmal verlautbart, das sei der Hacks des 19. Jahrhunderts. Dieses Bonmot ist von solch funkelnder Intelligenz, dass sich als Urheber überzeugend eigentlich nur der so Ironisierte selber denken lässt. Peter Hacks, der heute vor 15 Jahren starb, lebte in der Tat seine eigene Klassizität, das machte ihn, wie jeden Klassiker, in gewisser Weise zum Autisten, der die Welt nur noch wahr nimmt nach den Maßgaben seiner eigenen Entwürfe von ihr. So wurde seine Haltung zur DDR nicht im Mindestens verwirrt durch deren Ende: Den eigenen Plan der Welt lässt sich ein solcher Geist nicht verderben durch das Wirkliche. Das war mitunter, zunehmend auch in den Dramen, schrullig, manchmal unappetitlich, wenn es um Biermann ging und Böll und Solschenizyn, und fast immer brillant, wenn er seine Essayistik schuf.

Gewiss, die Dichter beschreiben die Zeit, aber sie sorgen auch, dass die Zeiten sich selbst beschreiben: Indem eine Zeit sich die Dichter wählt - und wählen heißt hier: Erfolg gewähren -, in denen sie ihre Ansichten von sich am ehesten bekräftigt findet, beschreibt sie ihren Zustand. Als die Bühnen der DDR am Ende der sechziger Jahre begannen, den Dichter Peter Hacks als ein wenig langweilig zu erachten und den Dichter Heiner Müller für ziemlich aufregend, da war das ein Wechsel: Die utopisch leuchtende Harmonie des reinen, unbefleckten Denkens im Elysium wich den blutroten Leichen, die Heiner Müller taumeln ließ durch seine morbiden Landschaften. Die Illusionen waren am Ende, die Krise eröffnet.

Mit Lorbeer bekränzt

Seine Haltung beförderte ihn zum kultiviertesten Dandy der deutschen Literatur, denn natürlich hat ein solcher, wirklichkeitsresistenter Lebensentwurf etwas von einer blasierten Attitüde und mitunter war da auch ein Ruch von Albernheit. Indessen, so zu sein wie dieser Dichter in seiner gelegentlichen Albernheit, davon träumen andere in all ihrer Ernsthaftigkeit.

Peter Hacks, am 21. März 1928 in Breslau geboren, kam 1955 aus München in die DDR, die er nie mehr verlassen hat. Seine ersten, die Gegenwart unverstellt meinende Stücke, "Die Sorgen und die Macht", "Moritz Tassow", kollidierten mit der Kulturpolitik der DDR. Daraufhin erfand er die postrevolutionäre Dramaturgie und wurde ein berühmter Dichter. "Der Frieden" im Deutschen Theater Berlin wurde 1962 zur Premiere 45 Minuten gefeiert, des Dichters Haupt mit Lorbeer bekränzt, das "Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" ist eines der erfolgreichsten deutschsprachigen Stücke überhaupt und wird auch, darauf wäre zu wetten, in einem Jahrhundert noch repertoiretauglich sein sofern es, worauf nicht zu wetten ist, dann noch Bühnen mit Repertoires geben sollte. Doch so weiter die Entfernung wurde zwischen den ruhigen Gipfeln dieses klassizistischen Denkens und den unruhigen Tälern der Wirklichkeit, so mehr wurde der Vollender Hacks verdrängt durch den Umwälzer Müller. Denn klassisches Denken, seinem Wesen nach konservativ, ist auf Vollenden aus und empfindet beinahe Ekel vor dem Umsturz. Zumal, wer eine so hohe Meinung von der Form hegt, der wünscht sich auch das Leben klaren, zwingenden Regeln unterworfen und bemerkt dann besten Falles, dass das Leben diese Regeln vorübergehend ignoriert.

Einige seiner Dramen werden wohl so überleben wie einige der traumhaft schönen Kinderbücher, doch seine Essayistik wird ein Denkmal bleiben. Kein Anderer hat "Die Maßgaben der Kunst" in den vergangenen Jahrzehnten so funkelnd, so elegant nein, nicht diskutiert: dekretiert. Keiner hat die Essayistik so als eine eigene literarische Gattung behauptet, als das schöne Kind der Literatur mit der Wissenschaft.

Virtuose der Sprache

Freilich, hier begegnen auch Schrulligkeiten und stolzer Trotz, soweit es die DDR betrifft, und auf dem Felde der reinen, der lebensunverdorbenen Theorie würde man ihn mit seinen Waffen kaum je geschlagen haben, weil er gegebenen Falles auch den Holzhammer zu führen wusste, dass er sich ausnahm wie ein Florett. Und die ephemere Wirklichkeit ließ er ungerührt an der glänzenden Haut seiner Entwürfe abperlen. Doch vor allem, was Peter Hacks auch war, war er ein Dichter und ein Virtuose der Sprache und des Denkens, ein Solitär der deutschen Literatur. Die bislang wohl komplexeste Darstellung dieses sonderlichen Dichters, dieses Dichters sondergleichen, gibt das soeben im Eulenspiegel Verlag erschienene Buch "Peter Hacks - Leben und Werk" von Ronald Weber.

Er starb, heißt es, 75 Jahre alt, im Schlaf. So hat er nie erfahren, dass die Wirklichkeit am Ende auch ihn betraf. Mag sein, das hätte ihn gekränkt. Der Umstand indessen, dass sein Todestag, der 28. August, auf Goethes Geburtstag fiel, hätte ihn wohl sehr erfreut, aber wenig überrascht. Schließlich, er war der Goethe des 20. Jahrhunderts.

Ronald Weber: "Peter Hacks - Leben und Werk", Eulenspiegel Verlag Berlin 2018 - 39 Euro.

Morgen, 29. August, spricht der Autor mit Verleger Matthias Oehme um 18 Uhr im Festsaal des Goethe-Nationalmuseums in Weimar über das Buch. Der Eintritt ist frei.