Otto Ludwig ist mir fremd." Auf dieses Zitat fällt der erste Blick des Besuchers, wenn er die Sonderausstellung im Eisfelder Schloss betritt. Ausgesprochen hat es Marcel Reich-Ranicki im vergangenen Sommer. An literarischen Bildungslücken des Literaturkritikers mag die Fremdheit kaum liegen. Wenn Reich-Ranicki sich so äußert, heißt das etwas anderes. Otto Ludwig ist auf dem Buchmarkt nicht gegenwärtig, er wird schlicht nicht gelesen und er gehört nicht zum Literaturkanon. Deutschland kennt seinen einst "deutschesten Dichter" nicht.

Der zweifelhafte Ruhm dieser Stilisierung bescherte Ludwig zu NS- und auch zu DDR-Zeiten einige Bekanntheit, ließ tiefere Qualitäten aber verschatten. Wer ihn kennt, kennt ihn als Heimatdichter - und dies ist ein zweischneidiges Schwert. Kolorit freut den Lokalpatrioten, dennoch ist es kaum mehr als hübsches Beiwerk. Das Eigentliche liegt dahinter. Eisfeld ist überall - jedenfalls ein poetisches Eisfeld ...

"Jedes Blättchen ist mir wie ein Bruder" - so nennt sich die Sonderausstellung auf 300 Quadratmetern des Eisfelder Museums. Bis Ende Mai lädt sie die Besucher ein, im Leben und Werk Otto Ludwigs zu wandeln und begeht so den 200. Geburtstag dieses Eisfelder Dichters und Komponisten. Es geht nicht allein um die Biografie dieses Halbvergessenen, sondern es geht im Besonderen um ihren Kontext. Exemplarisch zeichnet das Ausstellungskonzept von Museumsleiter Heiko Haine Ludwigs Lebensumfeld nach und verankert ihn fest in seiner Zeit, anschaulich und zum Anfassen nah.

Die Jugend in Eisfeld im deutschen Kontext der Befreiungskriege und der Restauration, dann die Katastrophe des großen Brandes 1822, der Eisfelds Gedächtnis zu Asche verbrannte. Immer wieder setzt die Ausstellung persönliches und gesellschaftliches Erleben nebeneinander und gibt auch ganz gegenständlich Einblicke in die Hauptwerke, etwa mit der Schubkarrenszene aus der Erzählung zur "Heiteretei".

Nach dem kurzen Leipziger Musikstudium im Umkreis Mendelssohns geht es weiter nach Meißen und Dresden, wo Ludwig 1848 die Deutsche Revolution erlebt und Gottfried Semper kennenlernt - auch das Opernhaus, in dem kurz darauf als sein erster großer Erfolg das Drama "Der Erbförster" Premiere hat.

Der einzig authentische Ort, an dem Otto Ludwigs Geist in Eisfeld ein wenig greifbar ist, ist sein Gartenhaus, das visuell auch in der Schau Platz gefunden hat. Hier lässt sich der Besucher auf einer Bank nieder, um ins Grüne zu schauen - wie es unzählige Male der junge Dichter getan hat. Wenn er auch später nicht wieder heimkehrte, blieb dieser Gartenraum wohl sein geistiges Asyl.

"Das Ziel meiner Wünsche wird immer mehr ein Winkelchen Erde, wo ich unbeachtet und unbekannt mich zu Tod dichten könnte. Ich fühle mich einmal als ein Sohn der Einsamkeit. Mir ist von Kindheit an Sammlung die liebste Zerstreuung gewesen", schrieb Ludwig. Der große Dichterruhm blieb ihm versagt. Ob es nun an Genie, Ehrgeiz, Einkommen oder Gesundheit mangelte - es hinderte so vieles an der notwendigen unbeirrbaren Zielstrebigkeit des erfolgreichen Dichters.

Und nur zu sehr ähnelt sein problematisches Wesen anderen zeitgenössischen, gleichsam romantischen Schicksalen. Er suchte den Ruhm und er floh vor ihm . Er fand den Anschluss an die Großen nicht und war doch zu schwach, als Einzelkämpfer die Zeiten und sein Leben zu überdauern. "Und Wahrheit ging mir von jeher über alle Schönheit."- Im Herzen ein Schöngeist, den die Wahrheit vielleicht letztlich zu viel Kraft kostete? Der so viel Lebenskluges und Klarsichtiges schrieb und es selbst zu wenig umsetzen konnte.

"Der Mensch soll nicht sorgen, dass er in den Himmel, sondern dass der Himmel in ihn komme. Wer ihn nicht in sich selber trägt, der sucht ihn vergebens im ganzen All." Ist es ihm - im Leben - geglückt, ein Stückchen Himmel in sich selbst zu tragen? Ruhe und Sicherheit im Geistigen und Geistlichen zu finden?

Wenn auch der österreichische Schauspieler Joseph Lewinsky in ihm den Vollender Lessings sah, setzte sich Ludwig erst in seinen Erzählungen und Novellen ein Denkmal in der Literaturgeschichte. Er gilt als der Schöpfer des poetischen Realismus, dessen Begriff er prägte. Bleibt zu hoffen, dass es dieser interessanten und vielseitigen Ausstellung gelingt, mit dem Menschen Otto Ludwig auch dem Dichter wieder mehr Aufmerksamkeit zu bescheren. Und vielleicht gar eine neuerliche Auflage seiner Werke.

Ausstellung "Otto Ludwig. Jedes Blättchen ist mir wie ein Bruder" bis zum 26. Mai im Museum "Otto Ludwig" in Eisfeld. Geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag sowie ab Feiertagen von 13 bis 17 Uhr.