Doch mit Kriegsbeginn endeten die Arbeiten am größten Seebad der Welt, statt Urlaubern zog ein Lazarett ein. Und Polizeibataillone, die gedrillt wurden für den Einsatz hinter der Front, sprich die Jagd auf Partisanen und Juden. Zu DDR-Zeiten wurde Prora zur größten Kaserne des Landes – und der Satz "Drei Worte genügen: nie wieder Rügen" unter NVA-Soldaten zum geflügelten Wort. Nach der Wende standen große Teile der Anlage leer. Künstler siedelten sich an. Glücksritter und Spekulanten kamen und gingen. Prora blieb und verfiel.
"Ich hätte bis auf einen Block alles abgerissen", sagt der parteilose Bürgermeister von Binz, Karsten Schneider. Ihm schwebte eine Ostsee-Universität vor, Technologie-Industrie. "Das hätte das deutsche Silicon Valley werden können." Doch seit 1994 steht die Anlage unter Denkmalschutz. Bund und Land zeigten sich überfordert. "Die Politiker hattenAngst, sich die Finger zu verbrennen", sagt Susanna Misgajski. Prora war zu groß, zu teuer, zu sehr Hitler. Schließlich wurde die Anlage verscherbelt, der erste Block 2004, der letzte im Herbst 2018. 2011 entstand eine Jugendherberge. "Das war der Startschuss."
Heute mischt sich in das Kreischen der Möwen Lärm, aus den Baustellen dringt abwechselnd ostdeutscher Schlager oder wüstestes Heavy Metal. Nach Jahren des Stillstands und Verfalls herrscht Aufbruchstimmung. Dass in Prora doch noch Urlauber einziehen, liegt vor allem an einem Mann: Ulrich Busch. Der Projektentwickler aus Berlin war der erste, der tatsächlich lieferte.
Das Apartment-Hotel Prora Solitaire in Block II geht inzwischen in die vierte Saison. "Die meisten Wohnungen sind verkauft", sagt Busch. Anfangs kostete der Quadratmeter 3000 Euro, heute 7000. "Die Nachfrage ist ungebremst." Doch der Weg war lang. "Ich habe mich 2004 um einen Block beworben. Dass ich 15 Jahre später immer noch damit beschäftigt bin, hätte ich mir nicht träumen lassen", erzählt der 54-Jährige. "Prora ist eine Lebensaufgabe." Und rentabel: 455 000 Euro zahlte Busch für zwei Blöcke. So viel kostet heute eine Wohnung.
Einer der ersten Käufer war Horst Schmidt aus Wittenberg – Sachse, ehemaliger Bergbauingenieur und "gläubiger Ostsee-Urlauber seit 61 Jahren". "Wir sind damals durch Zufall in einem der Verkaufscontainer gelandet", erzählt der 65-Jährige. Den Kauf habe er nie bereut. Hat ihn die dunkle NS- und DDR-Vergangenheit des Baus nicht abgeschreckt? "Man muss das Beste aus der Geschichte machen", meint Schmidt. "Der Abriss wäre ein schlechterer Umgang mit der Vergangenheit gewesen als die Sanierung. Die Bausubstanz war gut, da konnte man was daraus machen."
Auch der Binzer Bürgermeister sieht die Sache pragmatisch. "Das muss jeder für sich entscheiden, ob er in Prora Urlaub macht. Wer nicht will, fährt halt woandershin. Wir sind vor allem erleichtert, dass endlich was passiert", sagt Schneider. Aber der Besuch lohne sich, das sei der schönste Teil der Binzer Bucht. "Wie NS-Bauten genutzt werden sollen, ist in der Bundesrepublik nie wirklich diskutiert worden", sagt Busch. Falls doch, Lösungen wurden nicht gefunden. "Aber Architektur ist per se nicht böse. Es ist, was wir daraus machen."
Um zu verhindern, dass Prora zu einem Sammelpunkt für Ewiggestrige wird, hat Busch eine Klausel im Kaufvertrag verankert. Darin verpflichtet sich der Wohnungseigentümer, auf die Historie Rücksicht zu nehmen, eine Nutzung durch nationalistische und neo-nazistische Kräfte wird ausgeschlossen. "Das Anbringen von nationalsozialistischen Symbolen am Bauwerk oder an den Fenstern, und zwar auch an deren Innenseiten, ist nicht gestattet." Braunes Gedankengut kann man Busch ohnehin nicht vorwerfen, schließlich ist der 54-Jährige der Sohn des DDR-Schauspielers und Arbeitersängers Ernst Busch. "Ich wurde vielleicht für verrückt gehalten, aber nie für einen Nazi."
Die Nacht beim Führer selbst gestaltet sich als recht erholsam. Die Apartments sind unterschiedlich geschnitten und eingerichtet. Ganz bewusst: individuelles Wohnen statt Gleichschaltung und Kasernenstuben. Prora sei "das größte architektonische Entnazifizierungsprojekt der Bundesrepublik", sagt Busch.
Ganz verschwinden darf die Geschichte freilich nicht, das weiß Busch. Stelen vor Block II sollen künftig über die Kehrseite Proras informieren. Und auch die ungewisse Zukunft der beiden Museen ist geklärt. Bund und Land haben 6,8 Millionen Euro für ein gemeinsames Dokumentationszentrum zugesagt. Ein Teil von Block V wird im Originalzustand erhalten und als "Zeitfenster" dienen – also in NVA-Grau und ohne Balkone. "Wir hoffen, dass es 2021 losgeht", sagt Misgajski.