Dass die Winter im Thüringer Wald und ich einmal eine große Liebe werden würden, das stand übrigens lange auf der Kippe. Vor 22 Jahren hatte ich mich tatsächlich für den Thüringer Wald entschieden, weil ich gehofft hatte, im Winter Langlaufen zu können. Mit sechs oder sieben Jahren stand ich zum ersten Mal auf den Brettern. Zuhause, auf den Golfwiesen oberhalb von Kassel. Ja, dort läuft man wirklich auf einem Golfplatz Ski. Doch schneereiche Winter dort sind wirklich nur noch eine Kindheitserinnerung.
Schönheit im Geheimen
Um so größer war meine Enttäuschung dann im ersten Winter in Suhl. Bei grauer Suppe fuhr ich hoch nach Oberhof. Aufs Geratewohl steuerte ich den erstbesten Parkplatz an. Dort kam zwar ein Mann auf mich zu, der Parkgebühren von mir kassierte, doch auf meine Frage, wo es denn zur Loipe gehe, zuckte er nur mit den Schultern. In mir kam damals das Gefühl auf, dass die Südthüringer es mit ihren schönen Wintersport-Plätzen genau so handhaben wie mit ihren Pilzsammelplätzen im Wald: Sie behalten sie für sich, damit ihnen niemand etwas wegnimmt.
Doch mit den Jahren wurde es besser. Viel besser. Heute kann ich täglich den Zustand quasi aller Loipen der Region im Internet oder der App des Regionalverbundes Thüringer Wald abrufen. Finde auf dessen Internetseite Wegbeschreibungen, Parkplätze und Höhenprofile. Und natürlich habe ich in den vergangenen 22 Jahren auf eigene Faust viel entdeckt. Privat und dienstlich. Unvergessen ist eine Tour mit Jens Rauh eines frühen Morgens in Masserberg. Er ist so etwas wie ein Loipen-Urgestein des Thüringer Waldes. Seit Jahren schon präpariert er die Loipen und Skihänge rund um seinen Heimatort. Durch ihn weiß ich, wie viel Arbeit dahinter steckt, dass Urlauber und Einheimische jeden Tag tolle Bedingungen vorfinden. Durch ihn habe ich gelernt, dass die Mitarbeiter auf den Spurgeräten alles geben, um aus dem Schnee das Beste herauszuholen. Bei wenig Schnee und schlechten Wetterverhältnissen können sie natürlich auch nicht zaubern. Seit diesem Morgen mit Jens Rauh habe ich auch immer etwas Geld in der Tasche, wenn ich auf die Ski steige. Und wenn ich am Wegesrand eine Spendenbox sehe, an der Skiläufer darum gebeten werden, doch ein paar Euro für den Diesel der Pistenraupe beizusteuern, dann werfe ich ein paar Münzen rein. Denn eigentlich müsste man an schönen Wintertagen Eintritt nehmen für den Thüringer Wald. Doch bei aktuell rund 800 Kilometer präparierten Loipen und Skiwanderwegen ist das schwer möglich.
Nach anderthalb Stunden bin ich dann meistens zurück am Grenzadler. Wenn die Pandemie es gerade zulässt, dann wartet dort der pure Luxus auf mich: Für 50 Cent gibt es eine heiße Dusche und einen warmen Umkleideraum im Rennsteighaus. Wer kann so schon einen Arbeitstag starten? Ein früher Morgen im Thüringer Wald kann eben Spuren hinterlassen. Und manchmal zehrt man Jahre davon.