Die Eisberge in der Antarktis sind von gigantischer Größe. Auch wenn sie durch die globale Erwärmung langsam abschmelzen, scheinen sie sich nur im Schneckentempo zu bewegen. Doch das ist ein Irrtum, wie Forscher jetzt herausgefunden haben.
Die gigantischen Gletscher in der Westantarktis verlieren immer mehr an Eismasse. Forscher beobachten seit Jahren eine schnell wachsende Instabilität im ewigen Eis. Mit welcher unglaublichen Geschwindigkeit Eisberge abbrechen, überrascht aber selbst Experten.
Die Eisberge in der Antarktis sind von gigantischer Größe. Auch wenn sie durch die globale Erwärmung langsam abschmelzen, scheinen sie sich nur im Schneckentempo zu bewegen. Doch das ist ein Irrtum, wie Forscher jetzt herausgefunden haben.
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Im antarktischen Schelfeis – als jenen gigantischen Eisplatten, die auf dem Südmeer schwimmen und von Gletschern, Eisströmen oder Eiskappen gespeist werden – können sich Risse schneller ausbreiten als bisher angenommen.
Das belegen neue Messdaten vom Pine-Island-Gletscher, die Stephanie Olinger und ihrem Team von der Harvard University in Cambridge (US-Bundesstaat Massachusetts) ausgewertet haben. Ihre Studie ist im Fachjournal „AGU Advances“ erschienen.
Der Pine-Island-Gletscher ist ein wichtiger Eisstrom im Ellsworthland in der Westantarktis. Er hat einen vergletscherten Einzugsbereich von 162 300 Quadratkilometern. Seine Eismassen machen rund zehn Prozent des Westantarktischen Eisschilds aus.
Obwohl die Eiszunge des Pine-Island-Gletscher rund 300 Meter dick ist, bildet sich den Messdaten zufolge innerhalb weniger Minuten ein mehr als zehn Kilometer langer Riss. Umgerechnet entspricht dies einem Tempo von 35 Metern pro Sekunde oder 126 Stundenkilometern. Ohne die bremsende Wirkung des Meerwassers wäre das Tempo der Rissausbreitung sogar noch höher, wie die Forscher schreiben.
„Angesichts der enormen Ausmaße der Tafeleisberge ist es jedoch wichtig, die Rissausbreitung besser zu verstehen, auch, um mögliche Anomalien durch das sich erwärmende Klima erkennen zu können“, erklärt Stephanie Olinger.
Der R2012 getaufte Riss im Schelfeis des Pine-Island-Gletschers breitet sich den Forscher zufolge ungewöhnlich schnell aus. Während andere Risse im Schelfeis nur sehr langsam vorrücken, hat R2012 innerhalb von fünf Minuten (!) um 10,5 Kilometer an Länge zugenommen, wie die Radardaten enthüllen.
„Dies entspricht einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 35,1 Metern pro Sekunde“, berichten Olinger und ihre Kollegen. Umgerechnet sind dies 126 Kilometer pro Stunde. Damit hat der Eisriss R2012 einen neuen atarktischen Temporekord aufgestellt. „Unseres Wissens nach ist dies die schnellste Rissausbreitung in einem Schelfeis, die je beobachtet wurde.“
Die Beobachtungen klären auch jedoch eine grundlegende Frage zum Verhalten der antarktischen Eisflächen. Denn zuvor war unklar, ob die hunderte Meter dicken Schelfeise eher wie sprödes Glas zerbrechen oder doch wie weicher Kitt langsam zerreißen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Schelfeise unter bestimmten Bedingungen spröde wie Glas bersten können“, erklärt Olinger. Erst das mache das hohe Tempo der Rissausbreitung möglich.
Insgesamt beobachten Forscher eine schnell wachsende Instabilität in Teilen der antarktischen Eismassen, deren Abschmelzen zu einem zusätzlichen, deutlichen Anstieg des Meeresspiegels führen würde. Dabei geht es besonders um Gletscher in der Westantarktis.
Die Gletscher liegen zwar teilweise auf antarktischem Festland, wo dauerhaft Temperaturen unter dem Gefrierpunkt herrschen, ragen aber darüber hinaus ins Meer hinein, wo sie den Wirkungen von Meeresströmungen und auch eines ansteigenden Meeresspiegels ausgesetzt sind.
Laut UN hat der Klimawandel im wärmsten Jahrzehnt der Mess-Geschichte von 2011 bis 2020 rasant an Fahrt aufgenommen. Immer mehr Treibhausgase in der Atmosphäre sorgten für „eine turbogetriebene, dramatische Beschleunigung der Eisschmelze und des Meeresspiegel-Anstiegs“, wie die Weltwetterorganisation (WMO) erklärt.
Die globale Durchschnittstemperatur lag demnach im vergangenen Jahrzehnt 1,1 Grad über den Werten des späten 19. Jahrhunderts. Diese Phase der beginnenenden Industrialisierung gilt als Referenzzeitalter für das globale Ziel, die Durchschnittstemperatur nicht mehr als 1,5 Grad steigen zu lassen.
Kontinentaleis
Zwischen 2011 und 2020 verlor Grönland jährlich etwa 251 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) an Eis. In der Antarktis schmolzen jedes Jahr durchschnittlich 143 Gigatonnen an Kontinental-Eis weg. Der Verlust in der Südpolregion lag somit 75 Prozent über der Schmelzrate zwischen 2001 und 2010. Dadurch beschleunigte sich der Anstieg des Meeresspiegels im vergangenen Jahrzehnt auf 4,5 Millimeter pro Jahr. Zwischen 2001 und 2010 waren es jährlich nur 2,9 Millimeter.
Antarktis
Vor allem die Antarktis macht Experten in aller Welt Sorgen. Die Ausdehnung des Meereises rund um den Kontinent hat mit knapp 17 Millionen Quadratkilometer einen Tiefstand erreicht – deutlich weniger als in den vergangenen Jahren im antarktischen Winter. „2023 verzeichnete das Südpolarmeer rekordverdächtig niedrige Meereisstände und bisher kaum vorstellbar hohe Temperaturen sowie den Tod von schätzungsweise 9000 Kaiserpinguin-Küken durch den Meereisverlust“, erklärt die Meeresforscherin Andrea Kavanagh vom Pew Bertarelli Ocean Legacy Project. Die Geschwindigkeit der Veränderungen in der Antarktis sei alarmierend.
Grönland
Der schmelzende Eisschild Grönlands hat den weltweiten Meeresspiegel seit 1992 bereits um 10,6 Millimeter steigen lassen. Von 1992 bis 2018 seien auf der Insel etwa 3800 Milliarden Tonnen Eis geschmolzen und ins Meer geflossen, wie eine Gruppe von 96 Wissenschaftlern von 50 internationalen Organisationen herausgefunden hat. Bei Fortsetzung des Trends könnte das schmelzende Grönlandeis bis 2100 etwa 20 Zentimeter zum Anstieg des weltweiten Meeresspiegels beitragen. Die Messungen zeigen die Veränderungen seit Anfang der 1990er Jahre. Waren es von 1992 bis 1997 etwa 18 Milliarden Tonnen Eis, die jährlich ins Meer abflossen, so schmolzen von 2012 bis 2017 jedes Jahr rund 239 Milliarden Tonnen des Eisschildes – etwa das 13-Fache. Zwischendurch war die Rate noch höher, mit dem Höhepunkt im Jahr 2011, als 335 Milliarden Tonnen Eis abschmolzen.