Videosprechstunde Mit dem Arzt im Wohnzimmer

Wer krank ist, muss sich nicht mehr zwingend in eine Praxis quälen. Moderne Technik macht es möglich. Und die funktioniert kinderleicht.

 
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Videosprechstunde von Facharzt Lutz Hahnefeld: Foto: Screenshot

Es war seine Frau, die Lutz Hahnefeld den entscheidenden Schubs zur digitalen Sprechstunde gegeben hat. Als die Corona-Pandemie noch ganz am Anfang stand, war sie es, die dem Facharzt für Innere Medizin sagte, er solle sich jetzt mal „damit“ beschäftigen. Hahnefeld tat das, was für Männer meistens gut ist: Er hat auf seine Frau gehört. „Das war absolut richtig, weil das hat sich jetzt wirklich bewährt“, sagt er.

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Mit „damit“ und „das“ ist die Videosprechstunde gemeint, die Hahnefeld seit damals in seiner Praxis in Ilmenau anbietet, und die er auch dann nutzt, wenn er im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringens (KVT) Bereitschaftsdienst hat. Dass der 52-Jährige sich selbst als jemanden beschreibt, der technischen Neuerungen offen gegenübersteht, hat ihm sicherlich geholfen, dem Rat seiner Frau zu folgen. „Ich habe mich schon immer für diese ganze Computerentwicklung interessiert, zu DDR-Zeiten hatte ich einen Robotron-Rechner auf meinen Schreibtisch“, sagt Hahnefeld. Freilich seien seine Kinder noch technikaffiner als er, was während der ersten Wochen, in denen er die Videosprechstunde nutzte, von Vorteil war. Wo immer er nicht weitergewusst habe, sagt er, habe er seine Kinder um Rat gefragt.

Diagnosen und Antworten

Inzwischen nutzen Hahnefeld auf der einen und viele seiner Patienten auf der anderen Seite dieses Instrument, das ein Beispiel dafür ist, wie Digitalisierung im Gesundheitswesen vernünftig funktionieren kann; zum Vorteil für alle Beteiligten. Statt zu ihm in die Praxis zu kommen, treffen sich Hahnefeld und seine Patienten bei einer solchen Online-Konsultation in einer Art Videokonferenz, im digitalen Raum also. Die Patienten schildern dort ihre Beschwerden oder stellen ihre sonstigen ihre Gesundheit betreffenden Fragen. Hahnefeld stellt Diagnosen und gibt Antworten.

Nach den Erfahrungen, die Hahnefeld und andere Ärzte, die diese Technik nutzen, gemacht haben, eignen sich diese Videosprechstunden für Patienten mit den verschiedensten Symptomen und – das liegt in der Logik der Sache – immer dann, wenn die Mediziner die Patienten nicht zwingend berühren müssen, um eine Diagnose zu stellen. Wer Schnupfen, Husten oder Fieber hat, wer Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt hat, wer einen Hautausschlag aufweist, für den ist es nach diesen Erfahrungen zumindest in einem ersten Anlauf sinnvoll, sich auf digitalem Wege beim Arzt vorzustellen. Für beide Seiten ist das oft auch sehr viel komfortabler, als bestimmte Patientengruppe im Wartezimmer sitzen zu haben.

Hahnefelds sehr nachvollziehbares Beispiel dazu: „Gerade auch für den Durchfallpatienten ist es doch viel angenehmer, den Arzt so zu konsultieren, weil er dann auf seine heimische Toilette kann und nicht fünf Mal hier bei mir muss. Das klingt vielleicht trivial, aber das sind doch ganz praktische Probleme.“

Ein wesentlicher, positiver Nebeneffekt dabei ist, dass Videosprechstunden weitere Ansteckungen verhindern. Sowohl von Patienten untereinander als auch von Patienten zu Ärzten. „Ohne Videosprechstunde wären wir öfter krank, eindeutig“, sagt Hahnefeld. „Und bei der Versorgungslage ist jeder Arzt, der ausfällt, ja schlichtweg eine Katastrophe.“

Während Hahnefeld einer der wenigen Ärzte in Thüringen ist, die Online-Videosprechstunden in ihren eigenen Praxen ganz regulär während ihrer Sprechzeiten einsetzen, bietet die KVT seit Oktober 2022 grundsätzlich allen Thüringern die Möglichkeit an, Ärzte über das Internet zu konsultieren; jedenfalls dann, wenn sie nicht-überlebensnotwendige, medizinische Hilfe außerhalb der regulären Praxissprechzeiten brauchen und sie deshalb den Bereitschaftsdienst kontaktieren wollen.

Dafür nutzt die KVT – wie auch Hahnefeld – ein spezielles Konferenzsystem, das besonders gesichert ist und bei dem sichergestellt ist, dass die entsprechenden Daten nur über deutsche Server laufen. Es gibt inzwischen mehrere Anbieter, die derartige Technik vertreiben. Hahnefeld nutzt einen Anbieter, die Kassenärztliche Vereinigung einen anderen.

Technisch recht einfach

Das Prinzip ist aber in beiden Fällen das Gleiche: Die Patienten kontaktieren den Arzt, beziehungsweise den Bereitschaftsdienst per Telefon. Dann bekommen sie auf ihr Handy, auf ihr Tablet oder auf ihren Computer einen Link geschickt, der sie zu der entsprechenden Videokonferenz führt. Mikrofon und Kamera freigeben. Symptome schildern. Fragen besprechen. Auflegen. Gesund werden.

Technisch ist das alles so simpel, dass selbst eher Weniger-Internet-Begeisterte mit dem „VideoDoc“ zurecht kommen, wie die Videosprechstunden bei der KVT genannt werden. „Generell freuen wir uns, dass der VideoDoc von allen Altersgruppen gut angenommen wird, von Jugendlichen wie auch von Hochbetagten“, sagt die erste Vorsitzende dieser Organisation, Annette Rommel. So gut sei das Feedback sowohl vonseiten der Ärzte als auch vonseiten erwachsener Patienten, dass es ein vergleichbares Angebot seit Oktober 2023 nun auch für Kinder und Jugendliche gebe. Für die entsprechenden Dienste würden derzeit 14 Kinderärzte landesweit zur Verfügung stehen. „Wenn wir noch mehr gewinnen, könnten wir auch die Dienstzeiten des VideoDocs für Kinder ausweiten“, sagt Rommel. Zudem dürften gerne auch noch mehr erwachsene Patienten die Online-Videosprechstunde im Bereitschaftsdienst nutzen.

In der Praxis von Hahnefeld war die bislang älteste Patientin, die ihre Fragen online an ihn gestellt hat, 81 Jahre alt. Ein bisschen nervös sei sie gewesen, sagt Hahnefeld. Schließlich habe aber alles gut geklappt. Und diejenigen Patienten, sagt er, die nicht technikbegeistert genug seien, um selbst mit Videosprechstunden klarzukommen, die könnten es doch machen wie er: Sich von Kinder oder Enkeln oder anderen Verwandten helfen lassen.

So positiv die Erfahrungen mit Videosprechstunden auch sind, so sehr werfen sie allerdings auch ein Schlaglicht darauf, wie schleppend die Digitalisierung in anderen Teilen des deutschen Gesundheitswesens vorankommt – trotz aller gegenteiligen Ankündigungen und Vorsätze, die es seit inzwischen vielen Jahren schon gibt.

Das elektronische Rezept beispielsweise: Ungezählte Ärzte aus ganz Deutschland klagen seit Wochen darüber, dass das entsprechende System alles andere als stabil laufe, teilweise ihre komplette Technik zum Absturz bringe und für sie im Moment eigentlich mehr und nicht weniger Arbeit bedeute. Dabei soll die Digitalisierung doch das Gegenteil bewirken.

Gute und schlechte Erfahrungen

Die elektronische Patientenakte beispielsweise: Seit etwa zwanzig Jahren wird an der Idee gearbeitet, alle Befunde und Diagnosen von Patienten an einem digitalen Ort zu speichern, damit zum Beispiel alle behandelnden Ärzte darauf zugreifen können, Menschen nicht mehrfach die immer gleiche Untersuchung über sich ergehen lassen müssen. Doch so lange diese Arbeiten auch schon dauern, so lange tauchen immer wieder auch Sicherheits- und Datenschutzlücken in der Infrastruktur auf, die benötigt wird, um die sogenannte ePA massentauglich auszurollen.

Aus Sicht von Hahnefeld lassen sich alle diese Erfahrungen – die guten wie die schlechten – auf eine einfache Formel bringen. Eine, die für das Digitalland Deutschland eine fast schon verheerende Kritik bedeutet: „Im Grunde ist es so: Das, was einfach ist, was technisch nicht so komplex ist, das läuft“, sagt Hahnefeld. „Alles, wo es ein bisschen komplizierter ist, läuft nicht.“

Für Hahnefeld und für seine Videosprechstunde-Patienten sowie für diejenigen, die im Bereitschaftsdienst auf den VideoDoc zurückgreifen wollen, ist es deshalb nur von Vorteil, dass Videokonferenzen eine grundsätzlich ziemlich simple Sache sind und Millionen Deutsche den Umgang mit ihnen infolge der Pandemie inzwischen nahezu intuitiv beherrschen. Sie alle mussten irgendwann das tun, was Hahnefelds Frau ihm vor etwa dreieinhalb Jahren geraten hat: Sich mal „damit“ beschäftigen.