Es ist ein Hoffen und ein Bangen: Jeden Tag hören wir ukrainische Nachrichten, die fast in Echtzeit von Angriffen, Toten und Verletzten, Zerstörung, Leid und Elend berichten. Wir sehen Präsident Wolodymyr Selenskyj, der Optimismus verbreitet und zur Unterstützung aufruft. Regelmäßig rufen wir Oma Lidia in Kiew an – die mittlerweile 95-Jährige wollte nicht zu Kriegsbeginn mit nach Deutschland kommen. Regelmäßig meldet sich Schwiegermutter Valentina bei ihrer Schwester, bei Nachbarn und Freunden, erkundigt sich nach deren Befinden und nach unserer Wohnung im Stadtteil Obolon. Das mittlerweile seit zwei Jahren. „Man gewöhnt sich irgendwie an den Krieg“, sagen Menschen, als Valentina, zuletzt Anfang Dezember, die ukrainische Hauptstadt, ihr Zuhause, besuchte. Mit dem Flugzeug brauchte man von Frankfurt früher zwei Stunden, mit dem Fernbus von Nürnberg sind es 26 Stunden. Die Leute dort verdrängen den Krieg, versuchen ihn zu vergessen, für eine Minute, eine Stunde, einen Tag. Wie auch nicht? Oberflächlich gesehen geht das Leben in Kiew weiter – man geht spazieren, einkaufen, zur Arbeit, ins Restaurant. Doch das sind Momentaufnahmen, die Politiker gern als Argumentationshilfe benutzen. Sirenengeheul und Raketeneinschläge gehören genauso zum Alltag – dann strömen alle in Luftschutzbunker und Metrostationen, harren in Ungewissheit und Angst aus, bis Entwarnung kommt. Woche für Woche, Monat für Monat. Schwiegermama hat genau das erlebt und auch unsere Freundin Olja, die in Athen lebt und jüngst in Kiew ihre Schwester besuchte. Die Menschen sind kriegsmüde, sagt man – und das stimmt: Niemand kann zwei Jahre im Bunker sitzen und warten, dass es vorbei ist. Doch wann ist es vorbei? Die Ukrainer wissen, bricht die Front im Osten und Süden ein, kommen russische Truppen wieder voran, gar zurück in die Hauptstadt, endet ihr Leben, wie sie es kannten: Besatzung, Terror, Repressalien und unzählige Einschränkungen.