Thüringer helfen Wie Helfen Spaß macht

Von Klaus-Ulrich Hubert

Der Kampf einer Breitunger Familie für ihr Kind mit Handicap rührte viele Leser. Auch die Leute vom Mundart-Laientheater in der Werragemeinde. Sie helfen mit Engagement und viel Spaß. Ein Blick hinter die Kulissen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Gleich 20 Uhr, und Günter Heerd ist heute wieder der erste bei den Theaterproben. "Kunststück", lacht Sandra Weyh fröhlich. Der Günter sei schließlich Wirt hier im Gasthaus "Zur Linde".

Theatergruppen-Abend von "Zwie-Zwae-Zwou" in Breitungen, wie immer am Montagabend. Der Name, so erklärt Petra Koch, seien Zahlwörter im örtlichen hennebergisch-fränkischen Dialekt. Für "zwie Männer und zwae Ehepaare plus zwou Frauen"- acht Leute, die die ländliche Laienbühne an der Werra vor 13 Jahren gegründet haben. Petra ist Initiatorin, Regisseurin und Autorin des 13-köpfigen Mundart-Ensembles mit dem Z-Z-Z-Namen.

Jetzt, nach Ende der Sommerferien, geht's intensiv an die Vorbereitungen des Winter-Theaterstückes. Zwei Einstudierungen jährlich, die über die Bühne gehen. Eigentlich. Nur dieses Jahr musste das Sommerstück ausnahmsweise ausfallen.

Ein Jahr Arbeit am Stück

"Im Sommer spielen wir sonst immer auf der Open-Air-Bühne im Breitunger Schlosses. Dort gibt es nach der Premiere immer noch eine zweite Aufführung. Jedes Mal mit weit über 500 Zuschauern", sagt Peter Sittig, eines der inzwischen sechs männlichen Ensemblemitglieder.

Zusammen mit Manfred Beck, Thilo Eberhardt, Günter Köllner, Günter Heerd und André Brauer hat es hier eine Männerquote, um die andere Volkskunstgruppen die Breitunger wohl beneiden würden. André Brauer und Anke Weidner fehlen heute. Entschuldigt.

Dann verschafft sich Petra Koch zur ersten Leseprobe des 2016er Weihnachtsstücks Gehör in der putzmunter diskutierenden Runde. Und erklärt, warum ihre Tageszeitung heute bei der Probe dabei ist: "Die 500 Euro hier sind ja auch das Geld unseres zahlenden Publikums. Die lesen in der Zeitung sicher gern, wohin ihr Eintrittsgeld geht", sagt Petra und ergänzt: "Denn schon morgen sind die 500 Euro auf dem Konto von ,Freies Wort hilft' unter dem Spenden-Stichwort Anna."

Es ist eine Spende für die Breitunger Familie Leyh, deren viertes Kind Anna mit Down-Syndrom und Herzfehler geboren wurde . Damit sie der Anderthalbjährigen noch mehr Kraft für ihr Aufwachsen geben können.

Die bekommt sie nun auch von den Breitunger Theaterleuten. Die saßen gerade noch am Biertisch des gemütlichen uralten Fachwerk-Wirtshauses, dann geht's in den Linde-Saal mit seinen Holzkonstruktionen. Hier war Anfang des 20. Jahrhunderts das erste Dorfkino.

Hier hebt sich auch heuer wieder der Vorhang. Zum unterhaltsamen Weihnachtsprogramm; einem Stück mit allerhand augenzwinkernden Histörchen unter dem Titel "Weihnachten bei Hochwürden".

Mit vier Aufführungen, wie Stephanie Harrer vom Ensemble stolz betont: "Es passen ja immer nur 120 Leutchen rein. Soll ja kein Gedrängel bei Hochwürden geben", schmunzelt sie und klopft ihrem Mit-Schauspieler Günter anerkennend auf die Schultern: "Unser Günter Heerd ... ist Goldes wert!"

Alle lachen. Heute Abend bleibt der Herd in seiner Küche kalt: "Günter ist seit 22 Jahren hier Wirt, spielt selber begeistert mit. Er macht am Proben-Montag seinen Ruhetag." Günter hat die Gaststätte samt Saal in Erbpacht von der Gemeinde. Der Vorteil fürs Laientheater: "Wir müssen also keine Saalmiete zahlen."

Was - frei nach Altkanzler Helmut Kohl - besonders wichtig ist: Was hinten raus kommt. "Wir erspielen ja nicht Geld für uns, sondern für soziale Zwecke", sagt Petra Koch und zückt den Umschlag voller 50-Euro-Banknoten für Anna. Mal unterstützt der Verein das Tierheim, mal spendet man für die Restaurierung der Kirche oder hilft in ähnlichen Fällen wie dem der Familie Leyh. Seit 13 Jahren Schauspielspaß für Soziales, alles auch unter dem organisatorischen Dach der evangelischen Kirche g leich in Nachbarschaft des Breitunger Marktplatzes. Petra war sich mit ihrer Truppe rasch einig, wem der Erlös der letzten Vorstellung - abzüglich Strom-, Technik- oder Kostümverleihkosten - zugutekommen soll:

Schon mal probehalber

"Mein Mann Stephan hatte als Pfarrer des Ortes im Frühjahr Anna getauft. Das jüngste von vier Kindern der wackeren Familie Leyh. Mama Claudia und Vater Markus hatten trotz bereits im Mutterleib absehbarer großer gesundheitlicher Einschränkungen ihrer Jüngsten Ja zu dem Kind gesagt. Welche Leistung und Haltung war das!" Da war es ausgemachte Sache, Familie Leyh zu helfen: "Was liegt näher, als ihr auch als unserem Gemeindemitglied unter die Arme zu greifen?"

So erinnert sich Petra Koch daran, wie sie am 5. August in ihrer Heimatzeitung mit großem Interesse die Geschichte der Menschen aus ihrem Ort gelesen hatte. Von deren Herzenswunsch, für ihre kleine Anna ein Therapiezimmer im Dachboden auszubauen, was eigene Möglichkeiten der Finanzierung überfordert.

Wie sehr Solidarität nach Art der munteren Truppe von "Zwie-Zwae-Zwou" bereits probehalber Spaß macht, erschließt sich schnell: "Petra recherchiert und schreibt die Stücke in mühsamer Kleinarbeit für unsere Truppe", sagt Anett Beck - worauf Sabine Aschenbach unter lautem Gelächter der anderen erklärt: "Aber während sie die Dialoge als Zugezogene auf Hochdeutsch dichtet ...", "da machen wir sie auf Werratal-Platt hier ortsverständlich".

Lernen beim Gassigehen

Thilo Eberhardt hat mit der zweiten Satzhälfte die Lacher eben so auf seiner Seite wie mit seinem neuen T-Shirt. Darauf steht Weiß auf Schwarz: "Oma hat immer gesagt: Junge, streck den Bauch nicht so raus, sonst bleibt der so." Diesmal haben die Damen in der Runde die Lacher auf ihrer Seite, als sie den Schluss des T-Shirt-Spruches genüsslich zitieren: "Verdammt, sie hatte Recht!" Nun geht's aber endlich mit fast vollem Ernst zur Sache bei der Probe. Sollte es zumindest...

Denn irgendwie sind plötzlich mehrere Nachfragen zur Schreibweise und Übersetzung von Deutsch auf Breitung'sch nötig, um den Satz der Helene in "Weihnachten bei Hochwürden" zu verstehen.

Helene soll laut Petras Drehbuch an einer Stelle sagen: "Den gleichen Gedanken hatte ich auch. Da lass uns schnell durchs Fenster schauen." Helene übersetzt ins Platt: "Denn glieche Gedaanke hat ich ei. Do loss uns schnall durchs Fenster glootz."

Kunst, so sagt man, kommt von Können. Und vom Rollen-lernen-können. Obgleich Petra Koch hinter Vorhang und Kulissen der Aufführungen die Mundartverfeinerung bei den Aufführungen leise mitspricht: Wie studiert man die am besten ein, um später Texthänger vor ausverkauftem Haus zu vermeiden?

Tilo gesteht, dass er - auch gegen Omas Bauch-Prognose auf dem Shirt - vor allem an Wochenenden mit seinem Hund große Runden geht: "Und dabei vergesse ich nie, meine Textpassagen zu lernen." Sandra studiert den Text bei der Küchenarbeit ein und weiß: "Besser wenn mich keiner sieht. Der meint sonst, ich mache schon Selbstgespräche."

Das Repertoire kannte schon viele lustige Stücke wie das über den heimischen Helden und einstigen Waldhüter des Meininger Theater-Herzogs , den Pleßlouis.

Dessen Bildnis ziert den Breitunger Linde-Saal fast so, als blicke sein einstiger Chef Georg II. von Sachsen-Meiningen persönlich auf die 13 schauspielernden Untertanen. Die Damen im Ensemble hatten wegen Mutmaßungen zur Vaterschaft schon eben so viel zu lachen wie bei der zur Bühnenreife gebrachten Story des Grafen Popo von Henneberg.

Pleßlouis' Vaterschaft

Weh dem, der Böses dabei denkt: Aber Georg II. war nicht nur ein bemerkenswerter Mann im Kaiserreich mit seinem winzigen Herzogtum als liberalem Musterstaat. Er liebte aber möglicherweise nicht nur seinen Nebenberuf als Theatermann und Begründer Regietheaters ... "Also sieht doch unser Pleßlouis aus Breitungen genau so aus wie der Herzog noch einmal", feixt Sabine Aschenbach. Und Sandra Weyh nickt herzhaft.

Wie sehr Kunst auch mit "K" wie Kreativität geschrieben wird, weiß dann auch noch Manfred Bock. Der verrät unter allgemeinem Gelächter dramaturgische Interna: "Texthänger schaffen nämlich so schön Spielraum - entlang des roten Fadens der Geschichte. Und Kreativität durch Improvisieren." Dann resümiert er, halb flüsternd, dass es Chefin Petra Koch nicht hört: "Die Einzigen, die wissen, wie der Text richtig geht, sind wir hier oben auf der Bühne. Freies Spiel, das merkt also keiner."

Herzliches Lachen im Ensemble, Spaß schon bei den Proben. Auch mit Gedanken daran, wem diesmal die Weihnachtsaufführungen zugute kommen sollten. Thüringer helfen!

Stein vom Herzen

Ein Jahr Arbeit braucht es von der Idee bis zur Bühnenreife eines neuen Stückes. Petra hat längst schon mit Recherchen für 2017 begonnen. Das Reformationsjubiläum liefert dann freilich wieder mehr ernste Handlungsstränge als die Mutmaßungen zum Herzog und dem Pleßlouis.

Auf die erste Vorstellung am Samstag vor dem ersten Advent (26. November 15.30 Uhr) freuen sich die Theatermacher schon. Und besonders darauf, dass sie ja vielleicht dann in der ersten Reihe auch Familie Ley begrüßen können.

In Breitungen geht die Sage vom Glittstein. Also jenem glatten schwarzen Basaltblock, der an der Mauer ums Forstamt steht, unweit des alten Dorf-Backofens. Man erzählt sich, ein Schmied habe ihn wegen einer Wette in seiner Schürze vom Pleßberg zur Frauenbreitunger Kirche schleppen wollen. Schürze zerrissen - Wette verloren. Die Theatergruppe hofft von Herzen, dass sie mit ihrer Spende dazu beigetragen kann, bis Advent Familie Ley mit helfen zu können. Und dass Eltern und Geschwistern wegen Annas Gesundheit ein Stein vom Herzen fallen möge. Der aber nicht kleiner sein sollte als jener vom Pleßberg.

Bilder