Thüringer helfen "Doch dann kam das Wasser von unten"

Von Klaus-Ulrich Hubert
Die Völkels vier Wochen nach dem Hochwasser in Caaschwitz: Die Kutschen und Ponys sind wieder einsatzbereit. Foto: uhu

Nach einem schweren Arbeitsleben genossen die Völkels ihr Landidyll in Caaschwitz - bis zur großen Flut. Südthüringer Zeitungsleser helfen nun beim Neuanfang.

 
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Caaschwitz - "Diese zwei Leutchen hätten wohl nie selbst um Unterstützung gebeten", sagt Dieter Dröse leise. Seit der Elsterflut saust der Caaschwitzer Bürgermeister im Dauerstress mit seinem Fahrrad herum. Vergangenen Samstag stellt er Vertretern dieser Zeitung und ihres Hilfswerkes Roland und Ehefrau Christine Völkel vor. Das Invalidenrentner-Paar teilt seit jener Hochwasser-Nacht vom 2. auf den 3. Juni das Schicksal vieler Mitbürger im Tal der Weißen Elster nahe Gera.

Die erklärenden Worte der Völkels zu Flutschäden hallen von den Wänden eines alten Kellerlabyrinths wider. Dessen kunstvoll gemauerte Gewölbedecke wurde "irgend wann um siebzehnhundertund... gebaut", sagt Christine zur Vorgeschichte des Hauses gleich neben der Kirche. "Ein altes Rittergut, das mit der Bodenreform nach Kriegsende enteignet wurde und dessen Reste 1960 mein Vater vom Vorbesitzer erworben hatte."

Das später mit viel Eigenleistung und DDR-Improvisationsgeschick hergerichtete Untergeschoss des einst mehrstöckigen Gutshauses lässt die beiden beim Gedanken an die alte SED-Losung "Junkerland in Bauernhand!" schmunzeln.

Denn mit ihrem kleinen Traktor bewirtschaften Völkels in und um Caaschwitz gerade mal 1,5 Hektar Weideland. Exakter: Bewirtschafteten! Denn die Flut schwemmte auch das Grünland weg. Das halbe Dutzend Ponys - voran Sissi, die ergraute Seniorin aus einem Tierheim bei Gotha, und die Stute Sunny - lebt seit der Flut vor allem von Vorräten. Die waren aber für den Winter gedacht.

"Uns hilft sehr das Gras der Splitterflächen, deren Beweidung uns vom Bürgermeister und den Eigentümern gestattet wurde", sagt Roland, der dankbar an den Anruf vom Reiterhof Heidrich im nahen Gleina erinnert: "Roland, wenn bei euch Flut-mäßig was los geht, komm mit euern Tieren zu uns hoch!"

Bevor die Evakuierung Teile von Caaschwitz menschenleer machte, gab es dann dieses Bild mit dem Hauch von Arche Noah vor der Sintflut: "Einige Vierbeiner auf dem Wagen, andere davor und dahinter, so zogen wir los", erinnert sich Roland.

Immer auf dem Land

Viele Jahre war er als Agrotechniker, dann als Lkw-Fahrer und zuletzt als Landschaftsgärtner tätig. "Zack, irgendwann dann die Bandscheiben", sagt Christine über ihren Mann. Beide 60, beide lange in der Landwirtschaft tätig. Aber auch bei ihr das Kreuz mit dem kaputten Kreuz - erwerbsunfähig.

"Irgend wie war man ja schon von Kindesbeinen an nach der Schule immer schwer am Mithelfen in der Landwirtschaft", erinnert sie sich. Und schmunzelt, dass ihre kleine Vierbeiner-Herde heute quasi so was wie "ein Abtrainieren" darstellen.

Und das wird bei Volksfesten und auch sonst, namentlich von den jüngsten Caaschwitzern, sehr geschätzt. Erst am Vortag spannte Roland wieder an, um Kinder des Dorfes vom nahen Bahnhof Crossen - als krönenden Abschluss ihres Ausfluges - per Kutsche heim zu bringen.

Dass Christine sogar schon mal vom MDR als "Thüringerin des Jahres" für langjähriges ehrenamtliches Engagement geehrt wurde, so eine "Indiskretion" des Bürgermeisters, sei vor allem ihrem Rotkreuz-Engament zu danken: Drei Jahrzehnte Vorsitzende des Ortsverbandes, immer auch mit dem Jugendrotkreuz aktiv, immer hilfsbereit.

Als Bürgermeister Dröse angesichts breiter Hilfe unserer Leser beriet, wo die im Ort am notwendigsten sei, hieß es von Bürgern auch: "Denkt mal mit an unsere DRK-Christine!"

Dusche erst mal draußen

Von den Elster-Wiesen stinkt's mithin aus den Feuchtgebieten, den vormals überfluteten Wiesenflächen. In der Wärme noch schlimmer als trocknende Gülle. Die Elster-Flut hat bei Völkels zum Glück aber wenig Schlamm hinterlassen. Es grünt schon wieder etwas. Und im flussaufwärts gelegenen Gera gab's jetzt Entwarnung: Keine giftigen Stoffe im Hochwasser!

Rings um den kleinen Tümpel, der vom Hochwasser zum großen Teich aufgefüllt wurde, tummeln sich auf dem weitläufigen Hof der Völkels die Ponys zwischen Brennholzstapeln, überschwemmten Beeten, alten Landmaschinen und Pferdewagen. Sie geraten sofort in Futterneid und außer Rand und Band, treten und beißen sogar um sich, als Christine altes Brot verfüttern will.

Bürgermeister Dieter Dröse hofft, dass bald alle Fragebögen zur amtlichen Schadenserhebung abgegeben werden. Kann die Kommune ihre bevorstehenden Abgabetermine beim Landkreis nicht einhalten, könne man dringend benötigte Beihilfen von Bund und Land verpassen.

Nochmal zurück im Gewölbekeller, zeigen die Völkels Dröse, was einen Großteil der von ihnen geschätzten 17 000 Euro Gesamtschaden ausmachte. Die Gasheizung samt Warmwasserbereitung aus Nach-Wende-Zeiten sind hin, Baumaterialien, Tiefkühltruhe ...

"Andere Menschen hatten Kriege oder Erdbeben zu überleben", sagt sich Roland Völkel mit etwas Sarkasmus. Er habe dagegen "bisher nur zwei Schlaganfälle und die jüngste Flut überlebt". Dabei stellt er sich vor seine vom Hochwasser verschonten 2000-Liter-Regenfässer. Eigentlich zum Tränken der Vierbeiner. Doch nun hält er sich schmunzelnd einen darin endenden Gartenschlauch übern Kopf: "Fließend kaltes und... kühles Wasser - heute Abend wird hier wieder geduscht ..."

Dass ihnen "eigentlich fremde Menschen" aus dem entgegengesetzten Teil Thüringens so von Herzen helfen, dass sie sich nun sogar wieder einen neuen Heizkessel leisten können - die Völkels wollen es gar nicht fassen.

Roland Völkel verabschiedet die Südthüringer Gäste: "Aber diesmal kommt der Kessel oben ins Haus! Nicht wieder hier unten, wo wir über Tage und Nächte rausgepumpt haben, was das Zeug hielt. Doch dann, als der alte Backsteinboden schon fast trocken schien, kam Wasser von unten und Christine rief entsetzt: Ooooh nein, das Wasser steigt wieder!" Vom Grundwasser, das nach der Flut Rekordhöhen erreichte ...

"Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander" unterstützt Familie Völkel mit 10 000 Euro aus den Spenden der Leser bei der Bewältigung der Flut-Folgen.

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