Thüringer helfen "Als ob Bogdan morgen aus Thüringen wieder heim käme"

Von Klaus-Ulrich Hubert

Heute ist es ein halbes Jahrzehnt her, dass Waldarbeiter aus halb Europa halfen, gigantische Orkanschäden in unseren Wäldern aufzuarbeiten. Und erfuhren: Soeben starb einer von ihnen dabei.

 
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Stützerbach - Es waren nach Schneebruchkatastrophen vergangener Jahrzehnte die mächtigsten Waldschäden, die der Orkan "Kyrill" zu Jahresbeginn 2007 hinterließ. Im Wettlauf mit der drohenden Folgekatastrophe durch Borkenkäferbefall leistete auch ein baden-württembergisches Holzeinschlagunternehmen Großes. Dessen langjährigem, aus Polen stammenden Mitarbeiter Bogdan Kucharski, können weder Rettungskräfte der Feuerwehr noch Notärzte helfen, als am 10. Mai gegen 14.10 Uhr ein mächtiger Fichtenstamm im Revier nahe des Auerhahn am Steilhang ins Rutschen kommt, ihn tödlich verletzt.

Entsetzen, Trauer, riesiges Mitempfinden unmittelbarer Kollegen wie auch anderer deutscher und internationaler Waldarbeitsrotten, Ermittler und Notfallseelsorger vor Ort. Und dann die traurige Pflicht, Bogdan Kucharskis damals 35-jähriger Witwe und ihren Söhnen im fernen Ostpolen die schlimme Nachricht zu überbringen. Bogdans Chef Udo Keck sagt noch heute: "Bogdan war einer unserer Tüchtigsten, Erfahrensten!"

Bewegender Moment

Damals ergriff die Mitarbeiterin des Forstamtes Frauenwald, Antje Hagemeier, zuerst unter Mitarbeitern die Initiative, der hinterbliebenen Familie zu helfen. Der Verein "Freies Wort hilft" mit Tausenden Lesern und namentlich Thüringens Forstverein konnten Bogdans Witwe Joanna und den damals fünf- und 15-jährigen Söhnen Pawel und Patric nach einer mehrmonatigen Spendenaktion nicht nur materielle "Erste Hilfe" angedeihen lassen. Zur bewegenden Begegnung der Witwe mit der unmittelbaren Unfallstelle und den Mitstreitern ihres Mannes kam es im Sommer 2007, als Forstamtsleiter Hagen Dargel und der Freies Wort hilft e.V. am Forstweg über dieser Stelle feierlich ein Erinnerungskreuz weihten. Unter Anteilnahme früherer Kollegen Bogdans, Vertreter des Ministeriums, der Kirchen - und selbst ein TV-Team filmte den bewegenden Moment.

Gestern sprach ein Mitarbeiter dieser Zeitung und die aus Polen stammende Ilmenauerin Architektin Barbara Schramm telefonisch mit Joanna Kucharski in ihrem Wohnort. Denn es war geplant, der Witwe und vor allem ihren inzwischen 10- und 15-jährigen Söhnen die Reise nach Thüringen zu ermöglichen. Um den Abschied vom Familienvater "weg zu schließen", wie Joanna in gebrochenem Deutsch sagt. Gemeint war das Realisieren der tragischen Tatsache, dass die Söhne den Vater immer nur ungern über Wochen her gaben, dafür um so stolzer auf ihn und seine schwere Arbeit waren. Ihn dann aber nie wieder sahen.

"Als ob unser Bogdan morgen aus Thüringen wieder heim käme", sei es für sie und ihre Söhne noch heute. Da musste sie sehr schweren Herzens die Einladung des Forstamtes vorerst ausschlagen, gemeinsam mit ihren Kindern des 5. Todestages ihres Vaters am Ort des Unglücks zu gedenken. "Besonders mein großer Sohn, der noch heute nicht glaubt, dass sein Vater bei der Beerdigung im großen, kalten Sarg da vorn lag, ist seelisch sehr krank und schwierig geworden", so Joanna gestern. Unter Tränen begründend, warum sie ihren Patric (er besucht eine integrierende Sonderschule) zu einer derart langen Reise und der Konfrontation mit der Wirklichkeit für nicht fähig hält.

"Auch meine Schmerzen und Träume über Bogdan gehen nicht weg, am liebsten wäre ich dort, wo mein Mann, meine erste, einzige und letzte große Liebe jetzt ist... Aber ich bin für unsere Kinder verantwortlich, muss Mutter und Vater zugleich sein", so Joanna weiter. Gerade kommt Joanna vom Grabbesuch auf dem nahen Friedhof zurück: "Dort frage ich Bogdan immer, ob ich denn auch alles richtig mache mit den Jungs und mit meinem winzigen Zuverdienst zur Hinterbliebenenrente."

Nach einer vielsagenden, längeren Pause am anderen Ende der Leitung sagt Joanna Kucharska: "Mir ist zwar, als sei mein Leben durch Bogdans Tod schon vorbei. Doch wenn ich sehe, wie unser kleiner Pawel eine Sechs nach der anderen in Deutsch aus der Schule heim bringt - in Polen die Bestnote! - und auch meine Deutschkenntnisse verbessert: Der kleine Kerl ist stolz auf das Land, in dem Vati arbeitete und wo wir so liebe Unterstützung bekamen. Pawel will nur ihre Sprache, nicht Englisch lernen!"

Zu Wochenbeginn, als absehbar war, dass die Reise namentlich wegen des seelisch labilen großen Sohnes abgesagt werden müsse, fragte Joanna den jüngeren Sohn, "möchtest du sehen, wo dein Papa verunglückte?" Er habe noch seine Ängstlichkeit bekannt, so Joanna. Und hofft dennoch, dass sie ihren Söhnen noch dieses Jahr (Zitat) "all die Spezialmenschen" vorstellen kann, die ihren Vater sehr schätzten, seiner fernen Familie halfen. Und noch immer einige verspätete Spendeneingänge für sie haben, die sie gern mit besten Wünschen überreichen wollen.

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