Erfurt - In Thüringen fehlen nach Berechnungen des Lehrerverbandes mehr als 2000 Lehrer. Dass der Freistaat zum neuen Schuljahr 477 Pädagogen neu eingestellt habe, bringe noch keine Trendwende, sagte der Landesvorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes (TLV), Rolf Busch, am Donnerstag in Erfurt. Die Neueinstellungen könnten nicht einmal die Altersabgänge decken. Zu den etwa 400 in Rente gehenden Lehrern kämen 800 Langzeit-Kranke, mehr als 1000, für die Sonderregelungen im Vorruhestand gelten, sowie mehr als 400, die an andere Stellen abgeordnet wurden.

Angesichts der Probleme würde immer mehr Unterricht provisorisch vertreten oder gar ausfallen, warnte der Verband. „Wir müssen auch daran denken, was das für die Qualität des Unterrichts bedeutet“, sagte TLV-Vize Uwe Sommermann. Aus der Antwort des Kultusministeriums auf eine Landtags-Anfrage geht so etwa hervor, dass im Schuljahr 2014/15 9880 „fachfremde“ Lehrkräfte eingesetzt wurden. Das heißt, dass sie keine nachgewiesene Lehrbefähigung oder Unterrichtserlaubnis für das jeweilige Fach hatten. Sommermann berichtete von einem Fall, in dem ein Lebensmittelchemiker als „Seiteneinsteiger“ engagiert worden sei, um den Chemieunterricht abzusichern. Die am häufigsten fachfremd vertretenen Fächer sind laut Statistik Ethik, Kunsterziehung und Schulgarten, an Oberschulen aber auch Geografie, Deutsch, Englisch, Natur und Technik und Sozialkunde.

„Moderne Formen“

Andere Statistiken zum Stundenausfall sind laut Verbandschef Busch wenig aussagekräftig. Der Grund sei das sogenannte Monitoringverfahren, das die Schulleiter zwinge, sich irgendwie selbst zu helfen. So würden Klassen zusammengelegt oder andere Vertretungen organisiert, um eine Meldung ans Schulamt zu umgehen. „Das kann bis dahin führen, dass die Schüler mit Aufgaben nach Hause geschickt werden und das Ganze dann als ‚moderne Unterrichtsform‘ verkauft wird“, so Busch.

Das Kultusministerium verweist demgegenüber auf die Zahl von fast 500 Neueinstellungen. Das seien so viele wie in den letzten zehn bis 15 Jahren nicht, sagte Ministeriumssprecher Frank Schenker auf Anfrage. Die Versäumnisse der Vergangenheit ließen sich nicht auf einmal nachholen. Über die Neueinstellungen sei es auch möglich, den Altersdurchschnitt der Lehrer zu senken und damit auch zu einem geringeren Krankenstand zu kommen.

Lehrer weggeschnappt

Der Lehrerverband legte einen Forderungskatalog an das Kultusministerium vor. Darin werden bessere Bedingungen für neu eingestellte Lehrer, die Rückkehr zu Verbeamtungen und Möglichkeiten zur Beförderung und Höhergruppierung der Lehrer verlangt. Angesichts des langwierigen Einstellungsverfahrens für neue Lehrer würden andere Bundesländer Thüringen die besten Absolventen wegschnappen. Zudem gebe es mit Thüringen nur noch drei Bundesländer, die Absolventen nicht mit der Aussicht auf eine Verbeamtung locken.

Der TLV, der nach eigenen Angaben etwa 3000 der derzeit fast 17 000 Lehrer in Thüringen vertritt, mahnte gegenüber dem Kultusministerium eine engere Zusammenarbeit an. Diese sei von Ministerin Birgit Klaubert bei Amtsantritt versprochen worden. Über informelle Begegnungen am Rande von Tagungen hinaus habe es seither aber keinen direkten Dialog auf Augenhöhe gegeben, sagte Busch. Bei vielen Themen habe das Ministerium nicht auf die Hinweise des Verbandes reagiert, sonder erst, nachdem diese in den Medien hochgekocht seien. „Bildungspolitik wird in Thüringen hinter verschlossenen Türen und über die Köpfe der Lehrer hinweg gemacht“, kritisierte der Verbandschef. Das Ministerium reagierte und sagte ein direktes Treffen zu.

Auch das seit langem umstrittene Thema der Finanzierung von Klassenfahrten ist laut Verband noch nicht vollends gelöst. So stünden den Anmeldungen aus den Schulen über insgesamt 1,4 Millionen Euro lediglich 700 000 Euro im Haushalt gegenüber. Eine Aussage, dass Abschlussfahrten nicht als Klassenfahrten gezählt würden, sei gleich wieder kassiert worden.

Bei der Inklusion, dem gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder, ist laut Verband ein entsprechendes inklusives Schulgesetz in Arbeit. Bevor man darüber entscheide, alle Schulen zu inklusiven Schulen zu machen und auf Förderschulen verzichte, müssten an den Schulen erst einmal die Rahmenbedingungen geschaffen werden – sowohl räumlich als auch personell, forderte Busch.