Thüringen Wie das Coronavirus den Körper überfällt

Amy McKeever
Kampf mit einem Virus, der nicht nur die Lunge, sondern den ganzen Körper angreifen kann: Ein Covid-19-Patient auf der Intensivstation in Italien. Archiv Foto: dpa

Das Coronavirus kann schwer Erkrankten die Luft zum Atmen nehmen. Oft aber sind weit mehr Organe als nur die Lunge betroffen. Ein Überblick über tödliche Wirkungen.

 
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Vieles liegt noch im Dunkeln, was die genauen Verläufe betrifft von Covid-19, wie die Krankheit heißt, die durch das neue Coronavirus ausgelöst werden kann. Eines ist jedoch klar: Die Erkrankung kann im Körper eine fatale Kettenreaktion auslösen.

So war es bisher auch bei den anderen Coronaviren Sars und Mers, die von Tieren auf Menschen übertragen wurden. Im Gegensatz zu Grippe- und Erkältungsviren können Coronaviren dafür sorgen, dass das Immunsystem verrückt spielt und gleich mehrere Organe schädigt.

Aber was genau geschieht im Körper, wenn er von dem neuen Coronavirus infiziert wird? Der neue Virenstrang Sars-CoV-2 weist genetische Ähnlichkeit zum Sars-Virus auf. Aktuelle Forschungen zu dem neuen Virus und Erkenntnisse aus den Sars- und Mers-Epidemien können auf diese Frage also Antworten geben.

Die Lunge: Ground Zero

Für die meisten Patienten beginnt Covid-19 in der Lunge, da das Virus ebenso wie die Grippe eine Atemwegserkrankung auslöst. Der Coronavirus verursacht zunächst grippeähnliche Symptome: Betroffene können an Fieber und Husten leiden, der sich zu einer Lungenentzündung oder Schlimmerem entwickelt.

Nach dem Sars-Ausbruch berichtete die WHO, dass diese Krankheit die Lunge zumeist in drei Phasen angreift: Zunächst vermehrt sich das Virus dort, dann ruft es eine starke Immunreaktion hervor und zerstört schließlich das Lungengewebe.

Nicht alle Patienten durchleben alle drei Phasen. Tatsächlich litten nur 25 Prozent der Sars-Patienten an Atemversagen - dem Hauptmerkmal der schweren Verlaufsform. Bisherigen Daten zufolge leiden auch 82 Prozent der Covid-19-Betroffenen nur an milden Symptomen.

Es gibt weitere Muster, die beim Verlauf von Sars und Covid-19 identisch sind, sagt Matthew B. Frieman, Professor an der University of Maryland. In den ersten Tagen dringt das neue Coronavirus schnell in die Zellen der Lunge vor. Von diesen Zellen gibt es zwei Arten: Schleim produzierende Becherzellen und Zellen mit kleinen Flimmerhärchen.

Der Schleim schützt das Lungengewebe vor Krankheitserregern und sorgt dafür, dass die Lunge nicht austrocknet. Die Flimmerhärchen schlagen in Wellenbewegungen in Richtung Rachen und transportieren so Pollen und Viren aus der Lunge.

Das Sars-Virus die Zellen mit den Flimmerhärchen infiziert und abtötetet. Die abgestorbenen Härchen hängen dann leblos in der Lunge, die sich mit Flüssigkeit und Fremdstoffen füllt. Ähnliches könnte sich auch bei einer Infektion mit dem aktuellen Coronavirus abspielen. Viele Patienten entwickeln Entzündungen in beiden Lungenflügeln und leiden unter Kurzatmigkeit.

Nun werden sowohl das Immunsystem als auch die zweite Infektionsphase aktiv. Auf die Präsenz des Eindringlings reagiert der Körper und überschwemmt die Lunge mit Immunzellen, um Viren zu vernichten und Gewebe zu reparieren. Wenn diese Reaktion richtig funktioniert, wird die Infektion auf die befallenen Stellen eingedämmt. Aber manchmal reagiert das Immunsystem über und vernichtet nicht nur die Viren, sondern auch gesundes Gewebe. "Dann erleidet man durch die Immunreaktion noch mehr Schaden", sagt Frieman. Zusätzliche tote Zellmaterie verstopft das Lungengewebe und die Lungenentzündung verschlimmert sich.

Während der dritten Phase weitet sich der Schaden in der Lunge aus und kann zu Atemversagen führen. Selbst, wenn Patienten überleben, tragen einige dauerhafte Schäden an der Lunge davon. Laut WHO frisst das Sars-Virus Löcher in die Lungenflügel, sodass sie "wie Honigwaben" aussehen. Derartige Läsionen zeigen sich auch bei Patienten mit dem neuen Coronavirus. Daraus bilden sich Narben, die das Lungengewebe schützen, aber auch versteifen.

Wenn das eintritt, müssen Patienten oft künstlich beatmet werden. Derweil werden die Membranen zwischen den Lungenbläschen und den Blutgefäßen durch die Infektion durchlässiger. So können sich die Lungen mit Flüssigkeit füllen, wodurch sie das Blut nicht mehr so gut mit Sauerstoff versorgen können.

"In schweren Fällen wird die Lunge quasi überflutet und man kann nicht mehr atmen", sagt Frieman. "Daran sterben die Leute dann."

Sturm im Blutkreislauf

Die hyperaktive Immunreaktion kann auch an anderen Stellen im Körper Probleme auslösen. Tatsächlich scheinen alle drei Coronaviren mitunter den gesamten Körper zu schädigen: erhöhte Leberenzymwerte, eine verringerte Zahl an weißen Blutkörperchen und Blutplättchen sowie niedriger Blutdruck wurden festgestellt. In seltenen Fällen erlitten Patienten sogar akute Nierenschäden und Herzstillstand.

Das bedeutet nicht zwingend, dass sich das Virus selbst im gesamten Körper ausbreitet, sagt Angela Rasmussen, Virologin und Forscherin an der Columbia University. Stattdessen könnte es sich um einen sogenannten Zytokinsturm handeln.

Zytokine sind Proteine, die als Alarmsysteme für das Immunsystem dienen: Sie ordern Abwehrzellen an die Infektionsherde. Die Abwehrzellen töten infiziertes Gewebe ab, um den restlichen Körper zu schützen.

Im Grunde ist das Immunsystem darauf ausgelegt, Krankheitserreger zielgenau zu bekämpfen und dabei möglichst wenig Kollateralschaden anzurichten. Aber bei einer großflächigen Coronavirus-Infektion sammeln sich in der Lunge immer mehr Zytokine, sodass die Abwehrreaktion völlig aus dem Ruder läuft, erklärt Rasmussen. "Anstatt mit einer Pistole auf ein Ziel zu schießen, wird ein Granatwerfer verwendet", sagt sie. Da zeigt sich dann auch, wo das Problem liegt: Der Körper greift nicht nur die infizierten Zellen an, sondern auch gesundes Gewebe.

Die Folgen sind auch außerhalb der Lungen zu spüren. Zytokinstürme erzeugen Entzündungen, die die Blutgefäße schwächen. "Im Grunde blutet man aus seinen Blutgefäßen", sagt Rasmussen. Der Zytokinsturm weitet sich auf den Blutkreislauf aus und erzeugt dadurch systemische Schäden in mehreren Organen.

Von da an kann es schnell bergab gehen. Bei einem schweren Verlauf kann diese Zytokinreaktion - in Kombination mit verminderter Sauerstoffversorgung im Blut - zu einem Multiorganversagen führen. Noch können Forscher nicht mit Sicherheit sagen, warum. Womöglich hängt das mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herzproblemen zusammen. "Selbst, wenn das Virus Nieren, Leber, Milz oder andere Organe nicht erreicht, kann sich das negativ auf all dies auswirken", so Frieman. Dann wird es kritisch.

Kollateralschaden Leber

Wenn sich ein Coronavirus von den Atemwegen in den Rest des Körpers ausbreitet, ist die Leber oft eines der Organe, die von Kollateralschäden betroffen sind. Ärzte konnten bei Sars-, Mers- und Covid-19-Patienten Anzeichen von zumeist leichten Leberschäden feststellen. In einigen schweren Fällen waren die Schäden aber auch größer und führten mitunter gar zum Leberversagen. Was genau spielt sich in dem Organ ab?

Sobald ein Virus in den Blutkreislauf gelangt, kann es darin jeden Ort im Körper erreichen. In die von vielen Adern durchzogene Leber geht das besonders leicht. Die Hauptaufgabe der Leber ist Reinigung des Blutes, das aus dem Magen kommt. Darüber hinaus produziert sie Enzyme, die die chemischen Reaktionen im Körper beschleunigen.

In einem gesunden Körper sterben Leberzellen fortwährend ab und geben dabei Enzyme in den Blutkreislauf ab. Das robuste Organ regeneriert sich aber schnell wieder und macht mit seiner Arbeit weiter.

Ein abnormal hoher Enzymgehalt im Blut - ein typisches Symptom von Sars und Mers - ist ein Warnzeichen. Es könnte auf einen leichten Leberschaden hindeuten, von dem sich das Organ selbst wieder erholt. Es könnte aber auch einen größeren Schaden signalisieren, im schlimmsten Fall sogar ein Leberversagen.

Forscher wissen noch nicht so recht, wie sich diese Viren in der Leber verhalten. Vielleicht befallen sie das Organ direkt, replizieren sich dort und töten die Zellen ab. Alternativ könnten die Zellen auch ein Nebenschaden der körpereigenen Immunreaktion sein, die zu einer Leberentzündung führt. In jedem Fall war Leberversagen nie die alleinige Todesursache für Sars-Patienten. Bis die Leber versagt, haben Patienten neben Lungen- und Leberproblemen auch schon Nierenschäden, also eine systemische Infektion.

Auch Nieren gefährdet

Auch die Nieren bleiben nicht verschont. Sechs Prozent der Sars- und ein Viertel der Mers-Patienten erlitten eine akute Nierenverletzung. Studien zeigen, dass der neue Coronavirus ähnliche Schäden verursachen kann. Es ist zwar ein seltenes Symptom der Infektion - aber ein tödliches. Knapp 92 Prozent der Sars-Patienten mit einer akuten Nierenverletzung starben laut einer Studie .

Genau wie die Leber filtern auch Nieren das Blut. Jede Niere enthält bis zu eine Million mikroskopisch kleine Filtereinheiten namens Nephrons. Darin sind kleine Kanälchen, die das saubere Blut zurück in den Körper und die herausgefilterten Stoffe als Urin zur Blase leiten.

Diese Nierenkanälchen werden durch die zoonotischen Coronaviren am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Sars-Ausbruch wurde das Virus in den Kanälchen nachgewiesen, die sich durch die Infektion entzünden können.

Ob solche Entzündungen tödlich verlaufen können, ist bisher unbekannt. Die Nierenverletzungen vieler Sars-Patienten könnten andere Ursachen haben: niedriger Blutdruck, Sepsis, Medikamente oder Stoffwechselstörungen. Die schweren Sars-Fälle, die zu einem akuten Nierenversagen führten, zeigten Anzeichen eines Zytokinsturms.

Mitunter kann akutes Nierenversagen aber auch durch Antibiotika, Multiorganversagen oder eine zu lange künstliche Beatmung ausgelöst werden. Die Zusammenhänge im Körper sind komplex. Alles ist miteinander verbunden.

Dies ist die gekürzte Version eines Beitrags auf www.nationalgeographic.de

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