Dörnfeld an der Heide - «Komm, Lise, komm», ruft Herbert Kind. Seine beiden Hunde Olivia und Inka haben sich rechts und links am Ausgang des Pferchs postiert, doch die etwa 300 Schafe und einige Ziegen zögern. «Ich suche das Leitschaf, damit ich Kontakt mit der Herde kriege», erklärt der 56-Jährige. «Komm, Lise, komm.» Doch erst als er einem der Hunde ein Zeichen gibt, dieser schnurstracks um die Herde läuft und mit einem Satz über den Elektrozaun springt, setzt sich die Herde in Bewegung.

Herbert Kind aus Dörnfeld an der Heide (Kreis Saalfeld-Rudolstadt) ist erneut Landessieger im Schafe-Hüten. Mit seinen beiden Hunden Olivia und Inka holte er bei der Meisterschaft des Thüringer Schafzucht-Verbandes am Samstag in Hohenfelden fast 107 Punkte. Damit verteidigte Kind seinen Titel aus dem Vorjahr und wird Thüringen abermals beim Bundesausscheid der Schafzuchtverbände vertreten. Dort war er im vergangenen Jahr Dritter geworden. Zugleich hatte Kind 2013 beim Bundesleistungshüten des Vereins für Deutsche Schäferhunde gesiegt.

Seit er sieben Jahre alt war, habe er mit Schafen zu tun, erzählt Kind. Sein Vater sei damals Schäfer in einer LPG gewesen. «Ich bin von klein auf dabei gewesen, habe geholfen, die Lämmer aufzuziehen.» Bekleidet mit Hut und Schäfertracht, das Gesicht von der Sonne braun gebrannt, stützt er sich auf seinen Schäferstab. Inzwischen hat er die Herde auf eine Wiese geführt. Hier blühen Rotklee, Schafgarbe, Ampfer und Giersch, ein leichter Kamille-Duft liegt in der Luft. Die Schafe grasen stoisch. «Geh in die Furch», hat er Olivia angewiesen. Seither wacht sie streng darüber, dass sich keines der Tiere ins benachbarte Getreidefeld absetzt.

Für ihn sei seit der Kindheit klar gewesen, dass er Schäfer wird, sagt Kind. Zunächst habe er als Angestellter in einer LPG und späteren Agrargenossenschaft gearbeitet. Als sie Mitte der 90er Jahre die Schafhaltung aufgeben wollte, hat er sich selbstständig gemacht. Rund 1000 Schafe gehören zu seinem Betrieb, die er auf den sanften Hügeln am Rande des Naturparks Thüringer Wald weidet.

Doch um seinen Berufsstand ist es nicht gut bestellt. Die Erlöse für Schafwolle sind gering und mit dem Verkauf von Lammfleisch lassen sich die Kosten nicht decken. «In Betrieben mit Schafhaltung werden zwei Drittel der Umsätze aus Beihilfen generiert», heißt es im jüngsten Landwirtschaftsbericht des Agrarministeriums. So geht die Zahl der Schafe seit Jahren zurück. Zum Stichtag 1. November 2013 waren es laut Landesamt für Statistik nur noch etwa 137 700. Berücksichtigt werden dabei nur Betriebe mit mindestens 20 Schafen.

Angesichts dessen ist es schwierig, junge Menschen für den Beruf des Schäfers zu gewinnen. Dieses Jahr haben nur zwei die Lehre abgeschlossen. «Das sind zu wenig, um die Älteren, die in Rente gehen, zu ersetzen», erklärt Arno Rudolph, Vorstand und Zuchtleiter des Verbandes Thüringer Schafzüchter. Als Hauptgrund sieht Verbandschef Jens-Uwe Otto die im Vergleich zu anderen Branchen geringeren Verdienstmöglichkeiten. «Bei dem, was die Industrie zahlt, können wir nicht mithalten.» So ist die Zahl der Schäfer im Haupterwerb von einst etwa 250 Anfang der 1990er Jahre auf nur noch etwa 170 gesunken. «Die Talsohle ist noch nicht erreicht», sagt Rudolph.

Herbert Kind jedoch kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen, auch wenn er selbst an Sonn- und Feiertagen arbeiten muss. Langweilig wird ihm allein mit seinen Schafen und Hunden auf der Weide nicht. «Der Schäfer ist ein Beobachter», erläutert er. Stets müsse er die Tiere im Auge behalten, etwa um zu prüfen, ob sie gesund sind. Es könne schon einmal vorkommen, dass sich eines einen Dorn eingetreten habe. Dann müsse er es mit dem Schäferstab einfangen. Auch missliebige Pflanzen auf der Weide werden mit der Schippe ausgegraben. Das Hüten an sich mache aber nur gut ein Drittel der Arbeit aus, konstatiert Kind. Für den Winter muss Heu gemacht, die Tiere müssen geschoren werden, und es gibt im Betrieb jede Menge Büroarbeit. Bei der Verwaltung hilft ihm seine Frau, die auch Schäferin gelernt hat.

Wenn er zu Wettkämpfen fahre, habe er inzwischen einen kleinen Fanclub älterer Schäfer, die ihm die Daumen drückten, erzählt Kind. Spezielle Trainingseinheiten verordnet er sich nicht: «Trainiert wird letztlich tagtäglich bei der Arbeit.» Ohnehin bleiben Unsicherheiten. Denn beim Wettkampf muss er mit einer fremden Herde sein Können unter Beweis stellen. Kind: «Die eigene Herde zu führen ist immer einfacher als eine fremde.»