Erfurt/Gera/Bayreuth – Der Fund von DNA-Spuren des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt im Zusammenhang mit dem Mord an der kleinen Peggy aus Franken hat auch für andere Kriminalfälle im Land weitreichende Bedeutung. Nach Angaben von Thüringens Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) soll deshalb nun eine Sonderkommission der Polizei in Jena gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft Gera alle bislang ungeklärten Fälle von Kindstötungen in Thüringen seit 1990 neu untersuchen. Gleichzeitig solle die Sonderkommission die Ermittlungsarbeit der bayerischen Behörden im Mordfall Peggy unterstützen, sagte Poppenhäger am Freitag in Erfurt. „Jetzt ergibt sich durch den Fund die Chance, bei den wenigen unaufgeklärten Fällen den Faden wieder aufzunehmen“. „Die Aufklärung würde auch helfen, den betroffenen Familien ihren Frieden wieder zu bringen“, sagte Poppenhäger. Die Sonderkommission solle ihre Arbeit am Montag beginnen.

Wie viele derartige ungeklärte Tötungsdelikte im Freistaat es gibt, ist nicht genau klar. Ein Sprecher Poppenhägers sagte, im gesamten Freistaat habe es seit der Wende etwa 70 ungeklärte Todesfälle gegeben, drei davon hätten sich in der Region Jena zugetragen. Wie viele dieser Getöteten Kinder gewesen seien, müsse die Polizei nun klären.

Unterdessen verdichten sich die Hinweise, dass Böhnhardt tatsächlich etwas mit dem Mord an Peggy zu tun hatte – auch wenn seine genaue Rolle bei diesem Verbrechen unklar bleibt. Er könnte ebenso der Mörder des Kindes sein, wie er bei der Beseitigung ihrer Leiche geholfen oder aber eine noch ganz andere Rolle gehabt könnte. Spekulationen jedenfalls, die DNA-Spur Böhnhardts könne durch erst durch Fehler der Ermittler an den Stoffrest gelangt sein, auf dem sie schließlich entdeckt worden waren, wurden am Freitag von verschiedenster Seite zurückgewiesen; auch wenn neben Poppenhäger auch der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Bayreuth Herbert Potzel, betonte, es gebe durchaus „mehrere Möglichkeiten“, wie der Stoffrest mit Böhnhardts DNA verunreinigt worden sein könnte. Diese sollten nun genau geprüft werden. Welche Möglichkeiten das sein sollen, sagte Potzel nicht. Die Staatsanwaltschaft Bayreuth leitet die Ermittlungen im Fall Peggy.

Der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, dagegen erklärte, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei eine DNA-Spur von Böhnhardt gesichert worden. Aktuell gebe es keine Hinweise auf eine Verunreinigung oder Verwechslung der Spur. Der ehemalige Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Wolfgang Eisenmenger, erklärte, auch er glaube nicht, dass der Zusammenhang zwischen dem Fall Peggy und Böhnhardt auf eine Kontamination von DNA-Spuren zurückzuführen sei. „Natürlich ist nichts unmöglich“, sagte er. „Aber mir fehlt die Fantasie zu erklären, wie es dazu hätte kommen sollen.“

Auch die Rechtsmediziner des Universitätsklinikums Jena halten es nach eigenen Angaben für höchst unwahrscheinlich, dass der Zusammenhang zwischen den Fällen auf Verunreinigungen durch die Arbeit von Ermittlern zurückzuführen ist – und schließen sogar kategorisch aus, dass in ihrem Haus eine solche Kontamination stattgefunden haben könnte. In der Rechtsmedizin in Jena seien im Juli 2016 ausschließlich die Skelettreste Peggys untersucht worden, teilte ein Sprecher des Klinikums mit. Der fragliche Stoffrest mit Böhnhardts DNA sei nie in Jena gewesen, wo 2011 die Obduktion des Rechtsterroristen stattgefunden hatte. „Insofern ist eine etwaige zufällige Übertragung von DNA zwischen beiden Fällen durch das Institut ausgeschlossen“, hieß es.

Die Vorsitzende des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD), nannte Spekulationen über eine Verunreinigung „abartig“. Das sei aus ihrer Sicht ein Versuch, etwas zu erklären, was manche nicht wahrhaben wollten. sh/dpa