Erfurt/Apolda – Der Mann, der bis dahin stundenlang fast starr und völlig stumm auf den Anklagebank gesessen hat, dreht seinen Kopf nach rechts und hebt den Blick, als dieser Zeuge aufgerufen wird. Er sucht dessen Blick. Und findet ihn nicht, weil der Zeuge – als er am Freitag den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Erfurt betritt – einfach nur gerade aus schaut, seinen Blick dann zur Richterbank wendet und dann erneut mit geradem Blick zu dem Stuhl geht, von dem aus er in den nächsten Minuten Fragen beantworten soll.

Als dieser Zeuge nur noch wenige Schritte von dem Stuhl entfernt ist, versucht es der Angeklagte noch einmal. Er senkt seinen Blick erneut, hebt den Kopf wieder. So deutlich, so schnell, dass diese Bewegung jedem im Raum auffällt; und die Blicke aller im Saal zu ihm wandern. Alle Blicke, bis auf die Blicke des Zeugen. Der schaut ihn wieder nicht an. Nicht jetzt und auch nicht bis er den Gerichtssaal nach vielen Minuten wieder verlässt. Keinen Blick tauscht der Zeuge mit dem Angeklagten, der sein Sohn ist.

Selbst, als der Vater über sein Kind spricht, tut er das, als wäre der Angeklagte gar nicht im Raum. Dabei haben sich beide seit Monaten nicht gesehen. In der Untersuchungshaft, in der der Angeklagte seit Monaten sitzt, hat der Vater sein Kind nie besucht. Und auch wenn vor Gericht über seinen Sohn sagt, dieser sei „ein guter Junge“ und habe immer, wenn er ihn um Unterstützung gebeten habe, gesagt „Papa, kein Problem, ich komme!“, so könnte es in diesem Moment doch nicht deutlicher sein, wie fremd sich die beiden Männer sind.

Möglicherweise hat das mit dem Vorwurf zu tun, mit dem sich der Mann auf der Anklagebank im Zuge dieses Prozesses auseinandersetzen muss: Die Staatsanwaltschaft Erfurt wirft ihm vor, im Januar in Apolda Teile eines Wohnheims für sozial Benachteiligte angezündet zu haben, mehr oder weniger indirekt, indem er den Ermittlungen nach seine damalige Lebensgefährtin im Streit zuerst mit einem brennbaren Gemisch übergossen und dann angezündet haben soll. Das Feuer, heißt es von der Staatsanwaltschaft, habe dann auf das Haus übergegriffen. Zwei Menschen starben in den Flammen, die damalige Lebensgefährtin des Mannes überlebte schwer verletzt. Der Angeklagte selbst schweigt im Prozess zu den Tatvorwürfen bislang, hat allerdings gegenüber der Polizei Angaben zum angeblichen Tathergang gemacht – die sich jedoch voneinander unterscheiden.

Dass der Angeklagte und seine damalige Lebensgefährtin in den Wochen vor der Tat öfter im Streit miteinander lagen und das möglicherweise ein Motiv für die mutmaßliche Tat war, daran lässt die Betreuerin der Heimbewohner, die unmittelbar vor dem Vater aussagt, keinen Zweifel. Und das, was sie schildert deckt sich wiederum mit der Einschätzung des Vaters, nach der sein Sohn und seine damalige Lebensgefährtin keine erfüllte, liebevolle Beziehung führten.

Die Frau, sagt der Vater, habe den Sohn andauernd eingeengt. „Sie hat ihm verboten, dass er zu mir mit in den Garten darf.“ Und sie habe ihn ständig herum kommandiert. „Er hat sich kommandieren lassen, was sollte er machen?“ Den Einwand des Vorsitzenden Richters, dass andere Menschen sich nicht herum kommandieren ließen, rote Linien zögen, Pflöcke einschlügen, nimmt der Vater reg- und wortlos zur Kenntnis. Später sagt er noch, die Frau habe seinen Sohn ausgenutzt. Beispielsweise habe er Flaschen sammeln müssen, wenn die Lebensgefährtin all ihr verfügbares Geld ausgegeben habe. Die Beziehung zwischen den beiden sich „nicht gut“ gewesen.

Die Betreuerin des Heims gibt vor Gericht noch mehr an: Nicht nur, dass der Angeklagte auch unglücklich über die Aussicht gewesen sei, aus dem Heim aus- und in eine gemeinsame Wohnung mit der Frau einzuziehen. „Wenn die zusammengezogen wären, hätte er noch weniger Freiheiten gehabt“, sagt sie. Die Frau habe auch ein Kind von ihm gewollt. Dafür habe der Angeklagte mehrmals täglich „herhalten“ müssen. „Er stand wirklich immer unter Druck“, sagt die Betreuerin.

Allerdings kann das, was sich in dieser Nacht in Apolda den Ermittlungen nach ereignete, nicht der einzige Grund dafür sein, dass der Vater und der Sohn sich so weit von einander entfernt haben. Der Vater – er auch im Zeugenstand eine leichte, bunte Überjacke trägt und dessen Haut deutliche Spuren des jahrelangen Alkoholkonsums trägt, auch wenn er nach eigenen Angaben seit Jahren trocken ist – nämlich sagt, er habe die Ex-Frau des Angeklagten nie kennengelernt. Ebenso nicht das Kind, das der Angeklagte aus dieser Ehe hat.

Was aber die anderen Gründe für die Entfremdung sind, das bleibt wie so viele Details in diesem Prozess, noch im Dunkeln. Sie vielleicht für immer. Am Ende seiner Vernehmung deutet der Vater noch an, dass auch seine Ehe mit der Mutter des Angeklagten nicht die glücklichste Ehe war; und dass der Angeklagte von seiner inzwischen verstorbenen Mutter als Kind geschlagen wurde.