Gera/Erfurrt - Nur einer der vier Männer versteckt sich nicht: Der 26-Jährige aus Halle, der dort in einem Kampfsportstudio trainiert und auch Titel im Kickboxen gewonnen hat. Er steht am Donnerstag in einem blauen Hemd, ohne Jacke, ohne Kapuze unmittelbar vor Beginn des Prozesses gegen ihn in einem Saal des Landgerichts Gera und blickt mit ausdrucksloser Mine in den Raum. Was wohl in seinem Kopf vorgeht? Das lässt sich nicht mal erahnen.
Seine drei Mitangeklagten, die zwischen 21 und 29 Jahre alt sind, verbergen sich dagegen. Sie, die sich wie der 26-Jährige nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft Gera in den vergangenen Jahren so gerne als harte und brutale Kämpfer geriert haben, haben die Kapuzen ihrer Jacken über ihre Köpfe gezogen, solange die Fotografen noch Aufnahmen von ihnen machen können. Weil sie alle coronabedingt eine Mundschutz tragen, sind von ihnen nur die Augen zu sehen, die sie zum Schutz vor den Blicken der Zuschauer stur auf die Tische vor sich gerichtet lassen.
So sehen mutmaßliche Hooligans aus, nachdem der Staat mit Macht gegen sie vorgegangen ist. Der Staat kann das. Wenn er will.
Dass er das in diesem Fall wollte und will, macht nicht nur das Setting deutlich, in dem dieser Staatsschutzprozess beginnt, von dem schon jetzt feststeht, dass er groß werden und damit lange dauern wird. Schon jetzt hat die Staatsschutzkammer des Landgerichts für das Verfahren fast 30 Verhandlungstage angesetzt.
Zu diesem Setting gehören an diesem Tag etwa ein Dutzend Polizisten, die im Verhandlungssaal und davor positioniert sind. Dazu weitere Justizwachtmeister, die darauf achten sollen, dass keiner der Angeklagten während des Verfahrens zu fliehen versucht oder sich anderweitig daneben benimmt.
Im Zentrum dieses Prozesses stehen gleich mehrere Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft Gera gegen die Männer erhebt: Sie sollen schon 2014 eine Gruppierung namens Jungsturm im Umfeld des Fußballclubs Rot-Weiß-Erfurt gegründet haben beziehungsweise ihr als Mitglieder angehören. Die Ermittler stufen den Jungsturm als Sammelbecken für gewaltbereite und auch rechtsgerichtete Fußballgewalttäter ein, was zum Ruf der Fanszene des Rot-Weiß-Erfurt passt. Denn wenngleich ganz sicher nicht jeder Fan des Vereins ein Rechtsextremer oder ein Gewalttäter ist, gilt die RWE-Fanszene seit Jahren als nach rechts offen.
Als Jungsturm-Mitglieder sollen sich die vier Männer nach Überzeugung von Polizei und Staatsanwaltschaft gleich einer ganzen Reihe von Straftaten schuldig gemacht haben. Sie sollen zum Beispiel im Juli 2019 an einem Übergriff auf bis zu 150 Fußballfans des FC Carl Zeiss Jena am Bahnhof in Gotha beteiligt gewesen sein. Anhänger des FC Carl Zeiss Jena gelten politisch als eher links-orientiert. Auch sollen sie sich an Übergriffen auf Jena-Fans in Saalfeld in den Jahren 2018 und 2019 beteiligt haben und für viele Sachbeschädigungen und Graffitis in Südthüringen und der Region um Saalfeld verantwortlich sein. Ebenso wie sie sich verabredete Schlägereien mit Angehörigen anderer Hooligangruppen in Hessen und Brandenburg geliefert haben sollen.
Als der Staatsanwalt die Details der Anklageschrift zu diesen letztgenannten Punkt verliest, wird deutlich, wie eng vernetzt die gewaltbereite deutsche Fußballszene ist: So sollen die Männer sich bei diesem Gelegenheiten mit Anhängern aus dem Umfeld von Fußballclubs aus Essen, Babelsberg, Frankfurt und Bielefeld geschlagen und getreten haben; auch dann noch, als die Gegner schon am Boden lagen; selbst dann noch gegen den Kopf.
Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Angeklagten entsprechend die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Raub und gefährliche Körperverletzung vor. Wie sie sich zu den Vorwürfen verhalten, ist derzeit unklar. Zum Prozessauftakt schweigen die Männer.
Wie machtvoll der Staat jedenfalls in diesem Fall gegen derlei mutmaßliche Gewalttäter vorgeht oder schon vorgegangen ist, zeigt sich zum Auftakt des Prozesses auch an der ersten Aussage eines Zeugen. Der Mann – der Ermittlungsführer der Polizei in dem Verfahren – erklärt ausführlich, was die Beamten gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft alles unternommen haben, um die vom Jungsturm mutmaßlich verübten Straftaten aufzuklären: Nicht nur nämlich, dass es wegen der Vorwürfe bei den Angeklagten und noch weiteren Beschuldigten umfangreiche Durchsuchungen gegeben habe, sagt der Polizist. Auch ihre Telefone wurden seinen Angaben nach abgehört. Außerdem hätten die Thüringen Polizisten in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Nachrichten mitgelesen, die die Angeklagten über Messengerdienste geschrieben hätten. Ganz abgesehen davon, dass die Angeklagten durch Polizisten observiert worden seien.
Gleichzeitig allerdings wird am ersten Verhandlungstag auch eine mutmaßliche Justizpanne öffentlich, die zeigt, wie schwer sich der Staat im Kampf gegen mutmaßliche rechte Gewalttäter auch immer wieder tut. So erzählt der Ermittlungsführer, im Zuge des Verfahrens habe man auch feststellen müssen, dass es einem der in dem Verfahren Beschuldigten – er ist keiner der vier Angeklagten – offenbar gelungen sei, ein Handy in das Thüringer Gefängnis schmuggeln zu lassen, in dem er sitzt. Er habe aus der Justizvollzuganstalt heraus sogar damit telefoniert. sh