Thüringen ist schuld Ganz Deutschland redet Sächsisch – Luther sei Dank

Vor 500 Jahren ist Martin Luther im Thüringer Wald entführt worden. Danach hat er auf der Wartburg die Bibel übersetzt und den Deutschen eine einheitliche Sprache verpasst: Ausgerechnet Sächsisch.

 
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Bad Liebenstein - Sächsisch ist für die Deutschen der am wenigsten erotische Dialekt, hat eine Kuppler-Plattform ermittelt. Außerhalb sexueller Kontakte steht es auf dem Vorletzten Platz vor dem Pfälzischen, meint eine andere Dating-Internetseite. Den wenigsten Teilnehmer dieser Umfrage dürfte aber klar sein, dass das vermeintliche Hochdeutsch nichts anderes als ein spezielles Sächsisch ist.

Schuld hat Martin Luther, der sich vor 500 Jahren in Südthüringen bei Bad Liebenstein entführen ließ und vor lauter Langeweile auf der Eisenacher Wartburg mit der Bibelübersetzung ins Deutsche begann.

Aber in welches Deutsch eigentlich? In Deutschland gab es zu der Zeit etwa 20 verschiedene Sprachen oder Dialekte, die sich so fremd waren wie das heutige Niederländisch und Österreichisch. Im Groben teilten diese sich in zwei große Sprachgebiete: Oberdeutsch (beginnend mit dem Fränkischen) im Süden, Niederdeutsch im Norden.

Luther hatte einen wichtigen Vorteil: Er selbst wohnte genau an der Grenze. „Aufgewachsen im (niederdeutschen) Eisleben und lange ansässig in (hochdeutschen) Wittenberg, war es für ihn selbstverständlich, sich beider Sprachen zu bedienen“, berichtet der Sprachforscher Hartmut Günther. Die Bibel hat Luther dann in eine Sprache übersetzt, die sowohl niederdeutsche als auch oberdeutsche Elemente hatte.

Die Sächsische Kanzleisprache

Als Religions-Wissenschaftler des sächsischen Kurfürsten hatte er zudem studiert und bediente sich der Sächsischen Kanzleisprache, die auch Meißner Kanzleideutsch genannt wird. Die entwickelte sich im Zeitalter des Humanismus und bildete eine Voraussetzung für ein den Dialekten übergeordnetes allgemeines Standarddeutsch – für Intellektuelle und für Bürokraten. Die fürstlichen und städtischen Verwaltungen konnten sich so über Grenzen hinweg verständlich austauschen. Sie ist eine sogenannte Ausgleichssprache.

Die Orthografie der S ächsischen Kanzleisprache breitete sich durch Luthers Bibel schnell in den mittel- und niederdeutschen Regionen aus, während man im oberdeutschen Süden im 16. Jahrhundert in der Maximilianischen Kanzleisprache schrieb.

Damit war der deutsche Sprachraum in zwei sowohl religiös als auch sprachlich verfeindete Lager zerfallen. Im protestantischen Norden schrieb man nach der ostmitteldeutschen Schreibart, aus der später das moderne Neuhochdeutsch entstehen sollte, während man im katholischen Süden eine eigene oberdeutsche Schriftsprache kultivierte. „Mia san mia“, galt eben schon immer. Die Beamten der kaiserlichen Verwaltung blieben bis ins späte 17. Jahrhundert bei der schon zu dieser Zeit antiquierten Maximilianischen Kanzleisprache. Erst im Spätbarock sollte der Sprachenkonflikt zu Gunsten der ostmitteldeutschen Schriftnorm beendet werden.

Luther hat in der Bibel erstmals durchgängig Substantive groß geschrieben – Kinder plagen sich bis heute damit herum und Engländer (allgemeine Kleinschreibung) verstehen das schon gar nicht.

Zur Beruhigung muss aber betont werden: Die Sächsischen Kanzleisprache ist nicht zu verwechseln mit der unerotischen sächsischen Mundart zwischen Ostthüringen und der polnischen Grenze.

Seit Luther werfen wir Perlen vor die Säue und suchen Sündenböcke

Wer hat sich nicht schon geärgert über vergebliche Mühen und gemeint, dass das wie „Perlen vor die Säue“ werfen war? Schuld an der Wehklage hat Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung ab 1521 auf der Wartburg. Er hat dabei kräftige Sprachbilder entwickelt, die auch 500 Jahre später noch in aller Munde sind. Dazu hat er „dem Volk aufs Maul geschaut“ – er wollte, dass die Menschen die Heilige Schrift auch mit dem Herzen verstehen. Ganz nebenbei formte er die deutsche Sprache wesentlich mit. Das Zitat im Zusammenhang steht im Matthäus-Evangelium: „Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.“

Auch den Sündenbock hat Luther in die deutsche Sprache gebracht, der für die Sünden von Menschen büßen muss und von einer Klippe gestoßen wird.

Zur Unmenge weiterer Luther-Schöpfungen gehören (Bibelstellen in Klammern):

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein (Mose 8,3) 

 Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. (Sprüche 26,27)

 Seinen Freunden gibt er (der Herr) es im Schlaf. (Psalm 127,2)

 Hochmut kommt vor dem Fall. (Sprüche 16,18)

 Alle Wasser laufen ins Meer (Prediger 1,7)

 Der Mensch denkt und Gott lenkt! (Sprüche 16,9) 

 Etwas ausposaunen (Mt 6,2)

 Ein Dorn im Auge (Num 33,55) 

 Im Dunkeln tappen (Dtn 28,29)

 Der wahre Jakob (Gen 27,36)

 Mit Füßen treten (1 Sam 2,29)

 Auf Herz und Nieren prüfen (Psalm 7,10)

 Die Hände in Unschuld waschen (Psalm 26,6)

 Gift und Galle (Dtn 32,33) 

 Auf keinen grünen Zweig kommen (Ijob 15,32)

 Jugendsünden (Ps 25,7)

 Alles hat seine Zeit (Kohelet 3,1)

 Brief und Siegel (Jer 32,44)

 Wolf im Schafspelz (Mt 7,15) 

 Ein Herz und eine Seele sein (Apg 4,32)

 Die Haare zu Berge stehen (Hiob 4,15)

 Krethi und Plethi (2 Samuel 15)

Überall Lutherbuchen und ein echt falsches Lutherhaus

Der Kirchenreformator Martin Luther hat es den Thüringern angetan. Immerhin ist der Stammsitz der Familie in Möhra bei Bad Salzungen und die vielen Fürsten der Region haben sich schnell zum protestantischen Glauben bekannt. Im Schmalkaldischen Bund verteidigten sie die neue Lehre gegen den katholischen Kaiser und in Schmalkalden formulierte die evangelische Kirche ihr Glaubensbekenntnis.

Dass Luther bei Bad Liebenstein zum eigenen Schutz entführt wurde, ist da nur folgerichtig. Es wird berichtet, dass er nachmittags zwischen vier und fünf Uhr von Möhra über Schweina und Altenstein kommend, an einer Buche vorbeikam und danach entführt wurde. Und so werden in Deutschland viele Lutherbuchen gepflanzt. In Suhl wächst eine Lutherbuche vor der Hauptkirche, in Arnstadt an der Ecke Dammweg und Ilmenauer Straße. In Möhra wurde eine Buche 2017 zum Reformationsjubiläum gepflanzt. Bei Bad Salzungen ist gerade das Lutherkreuz frisch herausgeputzt worden – an der Stelle soll ein Beschützer Luthers am 4. Mai 1521 vom Blitz getroffen worden sein.

Wer den Geist des Reformators einatmen möchte, der ist in einem echten Lutherhaus am besten aufgehoben. Echte gibt es in Eisenach, Schmalkalden oder Neustadt an der Orla. Ein anderes steht in Sonneberg. Der Blockbau war einst Bauernhaus in Judenbach, wurde aber von einem Kaufmann 1874 nach Sonneberg umgezogen und als Gastwirtschaft genutzt. Nach der Legende hatte Luther auf seiner Reise durch Judenbach 1518 und 1530 dort übernachtet. Erst später stellte sich heraus, dass das Haus erst zwischen 1552 und 1555 errichtet wurde – also nach Luther. Seinen Namen hat es trotzdem behalten und wird von den Sonnebergern und ihren Gästen geliebt. Zum Trost: Auch in Neustadt an der Orla ist längst nicht erwiesen, dass Luther tatsächlich darin gewohnt hat.

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