Thüringen „Geht gar nicht“: Corona-Leugner bedrohen Schulleiter

Unmittelbar nach Beginn des neuen Schuljahres hat der Konflikt um die Corona-Beschränkungen die Thüringer Schulen erreicht. Der Leiter eines Gymnasiums in Ilmenau wurde sogar bedroht. Nun erhält er Unterstützung.

 
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03.09.2020, Thüringen, Ilmenau: Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (r, Die Linke) kommt aus der Goetheschule, einem Gymnasium mit Internat und zusätzlichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Spezialklassen, an deren Eingang ein Schild auf die Maskenpflicht hinweist. Anlass des Besuchs von Holter sind Anfeindungen von Coronaleugnern gegen den amtierenden Schulleiter. Foto: Michael Reichel

Ilmenau - Wenn man bedenkt, dass Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) ein Inbegriff des nordisch-unterkühlten Naturells ist, das Menschen nachgesagt wird, die in der Nähe der Küste aufgewachsen sind, dann hat er gerade einen mittleren Wutanfall. Der Anlass für seinen Besuch am Goethe-Gymnasium in Ilmenau an diesem Donnerstagmorgen sei „nicht hinnehmbar“, sagt er. Dann schimpft er über „pseudowissenschaftliche Abhandlungen“, geißelt eine „Stellvertreterdiskussion“, die „völlig unangemessen“ sei. Und mehrfach sagt er in den Minuten, die denen er im Lehrerzimmer der Schule steht und zu etwa einem Dutzend Lehrern spricht: „Das geht gar nicht.“ Holter stammt aus Mecklenburg-Vorpommern.

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Der Hintergrund des Besuchs Holters ist allerdings auch tatsächlich ernst und nicht nur für den Chef der Bildungsverwaltung im Land ein Grund zu großer Sorge: Nachdem sich ein Schüler des Gymnasiums mutmaßlich auf Druck seiner Eltern am Montag – dem ersten Schultages des neuen Schuljahres in Thüringen – geweigert hatte, einen Mund-Nasen-Schutz im Schulgebäude zu tragen, hatte ihn der amtierende Schulleiter der Einrichtung, Robby Krämer, des Gebäudes verwiesen und nach Hause geschickt. Nur Stunden nach später kamen bei Krämer dann die ersten Drohungen an.

Nach Angaben Krämers war die erste Drohung gegen ihn eine E-Mail, in der ihm erklärt wurde, „nach der Systemwende“ werde er „zur Rechenschaft“ gezogen. Im Laufe des Dienstag und Mittwoch seien dann weitere Droh-E-Mails aus dem gesamten Bundesgebiet und augenscheinlich sogar aus der Schweiz bei der Schule eingegangen, sagt Krämer, als er später neben Holter vor dem Gymnasium steht. Im Sekretariat habe es zudem Hassanrufe gegeben.

Das Ganze habe sich schließlich soweit gesteigert, dass er am Mittwoch sogar auf seinem Privathandy bedroht worden sei, sagt Krämer. „Da wurde zu einem Sturm aufgerufen.“ Außerdem hätten ihm Nachrichtenschreiber damit gedroht, ihm „Leid anzutun“. Das war der Punkt, an dem sich Krämer hilfesuchend an das zuständige Schulamt und an das Bildungsministerium wandte. Es sei, sagt Krämer, nicht mehr möglich gewesen, diesen Vorfall schulintern zu klären.

Holter hält nicht nur den Umgang Krämers mit dem maskenverweigernden Schüler und dessen Eltern für absolut richtig und angemessen, sondern auch, dass sich der Schulleiter in diesem Fall Hilfe gesucht hat. Denn in diesem Ausmaß sei der Fall von Ilmenau zwar –jedenfalls in Thüringen – ein Einzelfall, sagt Holter. Doch seien in den vergangenen Tagen an mehrere Thüringer Schulen Schreiben verschickt worden, in denen die Existenz des Corona-Virus geleugnet beziehungsweise die coronabedingten Beschränkungen abgelehnt würden. Holter sagt, er gehe deshalb davon aus, dass es sich dabei um eine konzertierte Aktion von Corona-Leugner handele, die es abzulehnen gelte. „Für mich sind Kindergärten und Schulen geschützte Räume“, sagt er. Die in einer Demokratie notwendigen Diskussionen über das Ausmaß der Corona-Beschränkungen dürften nicht auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen ausgetragen werden. Und erst recht dürften in solchen Diskussionen keine andere Menschen bedroht werden – unabhängig davon, dass sich die Drohungen gegen Krämer nicht nur gegen den Pädagogen richteten. Der habe die Hygiene-Regeln in den Schulen ja nicht gemacht. „Das ist nicht nur ein Angriff auf den Schulleiter persönlich, sondern auf den Freistaat. Das geht uns alle an“, sagt Holter.

Völlig überraschend freilich ist es nicht, dass die Auseinandersetzung mit den Corona-Leugner – die allen Meinungsumfragen nach nur eine kleine Minderheit sind – nun auch die Schulen erreicht. Ebenso wenig, wie es überraschend ist, dass sich der Einzelfall von Ilmenau ausgerechnet an einem Gymnasium – also einem Ort der höheren Bildung – zugetragen hat. Nicht erst die jüngste Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Berlin hat gezeigt, wie sehr sich bei diesen Protesten unter anderem Neonazis neben Rechtspopulisten neben Impfgegner neben Verschwörungstheoretiker neben Esoteriker neben Hippies neben Mediziner stellen – und wie groß die Schnittmengen zwischen diesen Milieus inzwischen sind. Dieses Verschmelzen verschiedenster gesellschaftlichen Strömungen spiegelt sich teilweise auch in den Schreiben an die Schulen wieder, in denen unter anderem vor angeblichen Gesundheitsrisiken von Masken gewarnt und die Gefährlichkeit des Coronavirus geleugnet wird – als Unterzeichner des Schreibens finden sich dort neben zahlreichen Ärzten, auch Musiker, Mediatoren, Physiker, Erzieher, Sozialarbeiter. Und Lehrer.

Der Schüler, der sich am Montag noch geweigert hatte, die Maske zu tragen, kam nach Angaben von Krämer unterdessen am Dienstag wieder zur Schule. Mit Maske. Auch das bestärkt Holter und Krämer darin, das konsequente Durchgreifen in diesem Fall für richtig zu halten. Falls sich Schüler – mit oder ohne ihre Eltern im Hintergrund – dauerhaft weigern sollten, eine Maske in der Schule zu tragen und so gegen ihre Schulpflicht verstoßen, halten sowohl beide die möglichen Sanktionsmöglichkeiten gegen sie für ausreichend. Die Eltern könnten in so einem Fall ebenso mit einem Ordnungsgeld belegt werden, wie – als letztes Mittel – die Polizei einen Schüler in die Schule bringen könne.

Krämer sagt, wichtig sei aber auch zu wissen: Die allermeisten Schüler und deren Eltern würden die Hygieneregeln an den Schulen nicht nur unterstützen, sondern sie auch verantwortungsvoll anwenden.