Thüringen Gefragte Gefährten - gerade in diesen Zeiten

Wann geht’s Gassi? Haustiere sind gern gesehene Begleiter, besonders wenn sich Menschen alleine fühlen - nicht erst seit dem Corona-Lockdown, aber seitdem häufiger. Den Gedanken, dass Verantwortung über Jahre dranhängt, schieben manche gerne beiseite. Foto: Annette Riedl/dpa Quelle: Unbekannt

Im Corona-Lockdown ist die Nachfrage nach Haustieren vielerorts gestiegen. Das finden Tierfreunde zwar erfreulich, weisen aber auch darauf hin, die Verantwortung nicht zu unterschätzen.

 
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Dusche von oben, nasse Straßen und Füße: Für jeden, der einen Hund hat, Teil des Alltags. Gummistiefel und Regenjacke liegen stets bereit. Selbstverständlich. Oder? "Viele wissen nicht, was es bedeutet, bei Wind und Wetter raus zu gehen", sagt Eike Helmvoigt, Vorsitzender des Thüringer Landesverbands für das deutsche Hundewesen.

Wegen Corona weniger Spenden für Tierheime

In den vergangenen Monaten ist offenbar die Spendenbereitschaft für Tierheime zurückgegangen. "Seit Beginn der Corona-Krise erreichen uns vermehrt Anfragen von unseren Mitgliedsvereinen und Tierheimen, die um ihre Existenz bangen", schreibt etwa der Deutsche Tierschutzbund auf seiner Internetseite. Antje Kanzler vom Tierschutzverein Meiningen berichtet von Entschuldigungs-Schreiben von Tierfreunden, die mitteilten, ihr Geld zusammenhalten zu müssen. Eigene Veranstaltungen, die regelmäßig etwas in die Kasse gespült haben, mussten abgesagt werden. Und auch an Futterspenden fehle es. "Die Lage ist brenzlig", fasst Antje Kanzler zusammen.

Illegaler Handel mit Welpen nimmt zu

Hunde, die seit dem Frühsommer auf Online-Plattformen vermehrt angeboten werden: Mike Ruckelshaus von der Tierschutzorganisation Tasso warnt, dass es sich dabei meist um die "aus Osteuropa stammenden Wühltischwelpen" handele. Er sagt: "Fast alle Tiere sind krank, viel zu früh von der Mutter getrennt, ungeimpft und überleben häufig die ersten Lebensmonate nicht. Auch das Leid der Muttertiere und Deckrüden ist unermesslich." Welpen dürfen laut dem Tierschützer nur mit gültiger Tollwut-Impfung, also nach Ablauf der
15. Lebenswoche, hierher gebracht werden. Händler müssen über eine Erlaubnis nach §11 des Tierschutzgesetzes verfügen.

"Viele": Damit meint er auch all diejenigen, die sich im Corona-Lockdown für ein Tier interessiert haben. Und das sollen nicht wenige gewesen sein: Zeitungen und Radiosender im ganzen Land berichten von Tierheimen und Züchtern und häufigeren Vermittlungen. Überraschend kommt das nicht. Gerade deswegen, weil die zwischenmenschlichen Kontakte eingeschränkt waren und mitunter noch sind, fehlt den Menschen Nähe. Besonders diejenigen, die alleine leben, fühlen sich womöglich schneller einsam. Aber auch Familien ist bei geschlossenen Schulen und Homeoffice die Decke auf den Kopf gefallen.

In einer solchen Ausnahmesituation können Haustiere Alltagsstruktur geben, Zuwendung schenken, ihre Herrchen und Frauchen in Bewegung bringen und gleichzeitig beruhigen und entspannen. Eine 2013 im medizinischen Fachblatt "Circulation" veröffentlichte Studie bestätigt, dass die tierischen Mitbewohner das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen senken. Weil sie helfen, Übergewicht, Blutdruck, Cholesterinwerte und Stressreaktionen zu verringern und das Immunsystem zu stärken.

Nicht vorschnell abgeben

Aber, sagt Eike Helmvoigt, niemand sollte sich "aus einer Laune heraus oder weil er gerade nichts mit seiner Freizeit anzufangen weiß", ein Tier anschaffen. Auch sein Verband habe während der Corona-Krise mehr Anfragen nach Hunden erhalten als üblich. "Aber deswegen können, salopp ausgedrückt, auch nicht mehr Welpen aus einer Hündin rausfallen."

Außerdem, erklärt der Zuchtwart weiter, würde ein "ordentlicher Züchter" seine Tiere nicht vorschnell an irgendjemanden abgeben. Mit Sorge sieht Helmvoigt deswegen den illegalen Markt wachsen. "Das wird uns noch auf die Füße fallen", befürchtet er. Nämlich dann, wenn die Hunde in den Tierheimen landen, weil die Halter keine Lust mehr auf sie hätten.

Die Tierschutzorganisation Tasso, die Europas größtes kostenloses Haustierregister betreibt, hat für Juni einen auffälligen Anstieg der Neuregistrierungen von Hunden im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verzeichnet. 2019 waren es in dem Monat etwa 31 400 Hunde, die neu bei Tasso eingetragen wurden, in diesem Juni dann mehr als 39 000. Das entspricht einem Zuwachs von rund 25 Prozent. Normalerweise sind es den Angaben nach um die vier Prozent pro Jahr.

Tiere aus Osteuropa

Die Zahl der Registrierungen im März und April hingegen sei weniger stark gestiegen als üblich oder sogar zurückgegangen, heißt es in einer Mitteilung vom Verband für das Deutsche Hundewesen. Auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle hätten demnach viele Tierheime nur eingeschränkt arbeiten können. Außerdem haben die geschlossenen Grenzen den illegalen Handel mit Welpen aus Osteuropa zurückgehen lassen. Mit Grenzöffnung im Juni seien die Neuregistrierungen explodiert.

Nachfrage in Tierheimen der Region. In Ilmenau, so eine Sprecherin, habe der Lockdown überhaupt nichts Auffälliges ausgelöst. Weder sei die Zahl der Anfragen gestiegen noch seien mehr Tiere als sonst abgegeben worden. Anders im Wartburgkreis: Die Nachfrage sei nach oben gegangen, sagt Jeannette Kneisel, Leiterin des Tierheims Springen. "Wir wissen nicht, ob das wegen Corona war. Aber die Tierärzte meinen, es habe daran gelegen."

Trotzdem hätten nicht mehr oder weniger Hunde und Katzen als üblich ein neues Zuhause gefunden. Denn: "Man muss den Leuten immer dazu sagen, dass ein Tier sie auf Jahre bindet", so Kneisel. Das mache sie aber nicht erst seit Krisenzeiten, sondern immer. Möglicherweise hängt damit zusammen, dass in Springen zuletzt auch nicht mehr Tiere wieder zurückgebracht oder überhaupt im Tierheim abgegeben wurden als vor Corona. Wegen der Chip-Pflicht in Thüringen gebe es dieses Problem bei Hunden sowieso eher weniger. "Katzen haben wir aber immer viele da."

Halbleere Heime

Aus dem Tierschutzverein Meiningen ist die Antwort eindeutig: "Wir hatten überdurchschnittlich viele Vermittlungen", betont Vorstandsmitglied Antje Kanzler. Besonders Katzen seien gefragt gewesen. "Auch die älteren und die mit Handicaps, die länger bei uns waren." Das Coburger Tierheim, mit dem die Meininger zusammenarbeiten, habe in dieser Zeit angeboten, Thüringer Katzen in Obhut zu nehmen. "Aber wir hatten selbst keine." Ähnliches sei aus dem Tierschutzbund zu hören gewesen: Halb leere Heime, Platz ohne Ende. Das hat sich mittlerweile wieder geändert.

Wer sich für Hund oder Katze interessiert, der wird in Meiningen zunächst zum Beratungsgespräch eingeladen und um das Tier kennenzulernen. Und zwar nicht nur einmal, sondern mehrfach. "So stellt sich eine Verbindung her", erklärt Antje Kanzler. Und, ganz wichtig: "Es geht nichts ohne Vorkontrolle." Das bedeutet, ein Mitarbeiter oder Vereinsmitglied schaut sich an, wo und wie der Interessent wohnt. Ein Zuhause an einer Hauptstraße ist beispielsweise ein Ausschlusskriterium für Freigänger-Katzen, Wohnungen müssen einen gesicherten Balkon haben. Für Hunde brauchen künftige Halter einen ausbruchssicheren Zaun.

Keine Lückenbüßer

Weil das alles so genau überprüft wird, sei die Quote derer, die ihr Tier zurückbringen, sehr gering. "Klar gibt es immer mal jemanden, der merkt, es passt doch nicht", so Kanzler. Das komme aber dank der gründlichen Vorbereitung selten vor.

Dass Hund und Katze seit dem Lockdown gefragte Mitbewohner geworden sind, sieht sie weniger kritisch. "Wir bereiten die Vermittlung ja gut vor." Vielmehr lobt Antje Kanzler das gewachsene Bewusstsein, dass Tiere ja eine schöne Gesellschaft und eben nicht bloß Lückenbüßer seien.

Zuchtwart Helmvoigt rät Interessenten, zunächst eine Patenschaft in einem Tierheim zu übernehmen, um sich darüber klar zu werden, wie viel Aufmerksamkeit der mögliche Gefährte braucht. Jederzeit. Nicht nur, wenn es Herrchen oder Frauchen langweilig ist. Und ganz grundsätzlich der Ratschlag: "Auf keinen Fall Welpen aus dem Kofferraum heraus kaufen!"

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