Stuttgart - Ein neuer NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags von Baden-Württemberg soll nach der Wahl im März die bisherige Arbeit fortsetzen. Grund für dieses in der Landtagsgeschichte erstmalige Vorgehen sei, dass noch offene oder neue Fragen zu der Mordserie des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) zu klären seien, sagte der Chef des Gremiums Wolfgang Drexler (SPD) am Freitag in Stuttgart. Zugleich schilderte ein Thüringer Polizist dem Gremium, wie er zu einem frühen Zeitpunkt dazu kam, einen Zusammenhang zwischen dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter und neun Bürgern ausländischer Herkunft herzustellen.
Die zehn Morde werden dem «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) zugerechnet, darunter der Kopfschuss auf Kiesewetter im April 2007 in Heilbronn. Zu diesem Fall sind unterdessen zwei neue Zeugen aufgetaucht, die sich zuvor nicht bei der Polizei gemeldet hatten. Bei dem einen handelt es sich um einen Mann, der mit seinem Handy Videoaufnahmen am Tatort in Heilbronn gemacht haben will. Der Ausschussvorsitzende Drexler sagte: «Da geht es um Handyaufnahmen möglicherweise während der Tat.»
Der thüringische Kriminalhauptkommissar aus Saalfeld dagegen hatte nach eigenen Angaben aus der Brutalität der Morde seine Schlüsse gezogen. «Eine Art Hinrichtung war das ja jeweils», sagte der 52-Jährige. Nach den Worten Drexlers war er «der erste Polizeibeamte, der auf diese Idee gekommen ist». Der Polizist hatte seine Folgerungen nach eigenen Angaben ausschließlich aus polizeiintern verfügbaren Informationen geschöpft und diese gegenüber dem Kollegen und Onkel von Kiesewetter geäußert.
Der Zeitpunkt des Gesprächs ließ sich nicht aufklären. Der Onkel Kiesewetters, die ebenfalls aus Thüringen stammt, datierte den Zeitpunkt vor dem Ausschuss auf wenige Tage nach dem Mord am 25. April 2007 in Heilbronn. Der 52-Jährige hingegen sagte, es sei längere Zeit danach geführt worden, möglicherweise auch erst ein Jahr später. Er habe darin zu dem Kollegen gesagt: «Da wird doch nicht einer rumreisen und Leute umbringen.» Seine Annahme, die auch auf der Gleichheit der Kaliber der Tatwaffe beim Kiesewetter-Mord und bei zumindest einem anderen Mord an einem ausländischen Kleinunternehmer beruhe, habe er niemand anderem mitgeteilt. Er habe ein «Urvertrauen» in die akribische Arbeit der ermittelnden Kollegen gehabt und sich überdies nicht von Thüringen aus in deren Arbeit einmischen wollen.
Erst im November 2011 kamen die Beamten dem NSU auf die Spur und stellten die Mordserie in Verbindung mit Rechtsterrorismus. Damals waren die zwei Dienstwaffen, die die Täter der toten Kiesewetter und ihrem schwer verletzten Kollegen entwendet hatten, im vom NSU gemieteten Wohnmobil gefunden worden.
Ein auf den Polizistenmord angesetzter Fallanalytiker des Landeskriminalamtes sagte, selbst bei Bekanntwerden des Verdachtes des Thüringer Kollegen wäre dieser «unter Abwägung aller Wahrscheinlichkeiten durch den Rost gefallen». Das «völlig neue» Phänomen eines Anschlags auf Polizeibeamte sei bis zum Heilbronner Fall 2007 nicht bekanntgewesen. «Jeder ist jetzt dafür sensibilisiert», erläuterte er. dpa