Im rechten Kotflügel, gleich über dem Scheinwerfer klafft ein Loch im Blechkleid. Auch der Rest der Karosserie ist übersät von Spuren der vergangenen 56 Jahre. „Das bleibt so“, sagt Marek Schramm und nickt bestimmt. Am Mittwochabend lüftet der Ilmenauer Immobilienunternehmer eines der bestgehüteten Geheimnisse der Oldtimer-Szene der vergangenen Jahre. In seinem Hotel Mara will Schramm dann das Auto von Karol Wojtyla enthüllen, der Welt besser bekannt als Papst Johannes Paul II. 35 Jahre stand der Warszawa M 20 in einer Scheune in Polen. Vor zwei Jahren hat Schramm ihn gekauft und zusammen mit 15 Helfern in gut 2000 Stunden wieder fahrbereit gemacht.


Schramm hat eine weite Reise mit dem Auto vor. Sie soll seine persönliche Lebensgeschichte und die des Papstes zusammenführen. Denn Schramm ist davon überzeugt, dass er selbst heute nicht der Mensch wäre der er ist, wenn es Papst Johannes Paul II. nicht gegeben hätte. Der Ilmenauer teilt die Einschätzung des früheren polnischen Staatspräsidenten und einstigen Chefs der polnischen Arbeiterbewegung Lech Walesa, dass der Papst entscheidenden Anteil daran hatte, dass der eiserne Vorhang, der Europa teilte, schließlich fiel.

Am 13. April will Schramm in Ilmenau aufbrechen. Das erste Ziel ist Berlin. „Ich will die Stationen meines eigenen Lebens abfahren“, erklärt Schramm. Deshalb führt die zweite Etappe nach Danzig in Polen. Hier kreuzen sich quasi die Wege Schramms und Wojtylas, denn der Ilmenauer kam 1968 in der polnischen Hafenstadt zur Welt. Von dort aus will er den Lebensweg des Papstes abfahren. Über dessen Geburtsort und seine Wirkungsstätte Krakau nach Rom. Am 26. April will Schramm dort ankommen. Denn am 27. April wird der Papst neun Jahre nach seinem Tod heiliggesprochen.

Schramm gibt zu, dass diese Reise mit dem früheren Auto des Papstes für ihn eine ganz besondere Bedeutung hat. „Ich habe sicherlich eine Auto-Macke.“ Doch noch mehr verbindet ihn mit dem 56 Jahre alten Warszawa. Schramm ist katholisch getauft. 1968 in Danzig als Sohn eines deutschen Vaters und einer polnischen Mutter geboren, ging für ihn die Reise von Polen über Berlin nach Ilmenau. Er ist überzeugt, dass es auch ein Verdienst des Papstes ist, dass er heute in Freiheit leben darf. Er, der schon im Alter von sieben Jahren mit dem System der DDR aneckte, der sich 1982 nicht anhören wollte, wie seine Lehrer den Sieg der westdeutschen Sängerin Nicole beim Grand Prix interpretierten. „Die versuchten uns tatsächlich einzureden, dass ihr Lied der Beweis dafür sei, dass der Imperialismus eben nur ein bisschen Frieden möchte“, erzählt Schramm und regt sich noch heute darüber auf.

Seine Sommerferien verbrachte er bis 1985 immer in Polen. Bei seiner Oma in Danzig. Schramm erlebte mit, wie sich die Arbeiterbewegung Solidarnosc entwickelte. Er ist heute überzeugt davon, dass ein Auslöser dafür der Besuch des Papstes 1979 in seiner polnischen Heimat war. Seine Predigt in Warschau beendete er mit den Worten: „Möge Dein Geist herabkommen und das Angesicht der Erde erneuern.“ Nicht nur Marek Schramm sieht in diesen Worten rückblickend die Aufforderung an die Menschen im Ostblock, gegen die bestehenden Verhältnisse aufzubegehren. Schramm tat das auf seine Weise. Schmuggelte zum Beispiel Aufnäher der Solidarnosc in die DDR. 1988 brachten ihm seine Aktivitäten schließlich zuerst eine Haftstrafe und schließlich die Ausweisung aus der DDR in die BRD ein.

Und nun ist er Besitzer des Autos, das einst Karol Wojtyla gehörte. Der spätere Papst hatte selbst keinen Führerschein. Er hatte in seiner Zeit als Kardinal von Krakau stets fahren lassen. Sein Fahrer, so ist in polnischen Zeitungen nachzulesen, beschreibt ihn als einen Menschen, der selten Ruhe fand, der auch im Auto immer las, immer arbeitete. Beim Surfen durch die Oldtimer- Welt im Internet war Schramm vor mehr als zwei Jahren auf das Auto gestoßen. 1977, kurz vor seiner Zahl zum Papst, hatte Wojtyla das Auto verkauft. Für 15 000 Zloty. Schramm ist nun erst der dritte Besitzer. Was er für das Auto hingelegt hat, behält er lieber für sich. Er ist Besitzer eines Autos, das schon bald den Status einer Reliquie erlangt. Denn alle irdischen Besitztümer von Heiliggesprochenen werden automatisch zur Reliquie. Und der Warszawa M 20 ist eines der wenigen Besitztümer von Karol Wojtyla, die wirklich belegt sind.

Und Schramm hat die Belege. Mag sein, dass das Auto auf den ersten Blick in einem erbärmlichen Zustand ist. Als Schramm es beim Händler in Düsseldorf abholte, merkte er schnell, dass der Unterboden nicht mehr zu retten ist. „Als ich die Fahrertür das erste Mal öffnete, da fiel mir auch die B-Säule gleich mit entgegen“, erzählt er. Dennoch ist das Auto für ihn von unschätzbarem Wert. Eben auch, weil sämtliche Papiere im Original vorhanden sind. Der Kaufvertrag, die Zulassung auf Karol Wojtyla, der Nachweis über die Kfz-Steuer und die Versicherung und das Garantieheft im Original. Darin sind sogar die Ölwechsel fein säuberlich aufgezeichnet. Samt Kilometerstand.

Zuerst wollte Schramm das Auto komplett sanieren, als es auf dem roten Teppich stand, den er eigens in seiner Garage ausgerollt hatte. Wochenlang quälte er sich mit der Frage, ob das Auto nun blau oder grün lackiert werden sollte. Dann traf er eine radikale Entscheidung: Das Auto sollte wieder fahrbereit werden, ja. Doch ansonsten sollte für jeden auch weiterhin sichtbar sein, was für eine Geschichte in dem Auto steckt. Jeder soll sehen, dass es erst 19 Jahre einen späteren Papst beförderte und danach 35 Jahre lang in einer Scheune in Polen stand. Und so bleibt auch das Loch im Kotflügel gleich neben dem Frontscheinwerfer. Damit der im Blechkleid Halt findet, haben Schram und seine Helfer einen vier Millimeter dicken Stahlring in der Karosserie versteckt. „Technisch ist das Auto jetzt wieder tiptop“, versichert Schramm. Er schätzt, dass ihn der Warszawa mit Tempo 80 oder 90 in Richtung Polen und Italien transportieren wird.

Wenn die 6000 Kilometer geschafft sind, dann soll das Auto nicht etwa in der privaten Garage verschwinden. „Das Interesse ist riesig, gerade in Polen. Sie glauben nicht, was ich schon für Angebote bekommen habe.“ Im Hotel Mara in Ilmenau möchte Schramm den Warszawa ausstellen. Ein Stück Weltgeschichte, eine Reliquie für Ilmenau. Ob er sich bis dahin traut, auch einmal auf dem Sitz hinten rechts Platz zu nehmen, das weiß Schramm noch nicht. Noch ist der Respekt zu groß vor dem Platz, auf dem einst der Mann saß, der später Papst wurde.
Warszawa
war eine polnische Automarke von Fabryka Samochodów Osobowych, kurz FSO aus Warschau. Zwischen 1951 und 1973 wurden 250.471 Exemplare hergestellt. Das erste Modell M 20 erschien 1951 und war eine Lizenzausgabe des sowjetischen Pobeda. Die Fließhecklimousine hatte vier Türen. Der Vierzylindermotor leistete aus 2120 Kubikzentimeter Hubraum anfangs 50 PS, später 70 PS.