Mühlhausen/Gera/Ilmenau - Sich austauschen am Mittagstisch, Grimassen beim Zähneputzen und Vorlesen am Bett: Gespräche haben nicht in allen Familien einen hohen Stellenwert. «Die Sprache muss wieder stärker in den Alltag integriert und Kinder dafür stark gemacht werden», sagte Antje Techen vom Projekt «Sprach-Kita» des Bundesfamilienministeriums. Derzeit beteiligten sich bundesweit mehr als 5 500 Kindertagesstätten am Programm «Sprach-Kita», darunter 170 in Thüringen. Pro Jahr erhalte jede Projekt-Kita 25 000 Euro Förderung für eine halbe Fachstelle.

Im Freistaat seien derzeit mehr als 200 Fachleute im Einsatz. Bis zum Projektende 2020 könnten noch 22 Thüringer Kitas hinzukommen, über deren Anträge noch nicht entschieden sei.

Sprachfertigkeiten müssten trainiert werden, sagte Kita-Bereichsleiterin Ulrike Dietzsch vom Volkssolidarität-Kreisverband Gera. Der Verband sei mit drei seiner zehn Kitas beim Projekt dabei. Durch das Programm sollen 500 Kinder die «Sprache als Schlüssel zur Welt» für sich entdecken.

Auch Alltagsrituale würden durch die Sprachexperten auf den Prüfstand gestellt. «Zu viele Stunden vor Computern und Tablets haben ihre Spuren hinterlassen», meinte Dietzsch. Der Umgangston sei rauer geworden, die Sprache «verrohe» und verarme. Ohne Hemmung werde unter Erwachsenen geduzt. Viele Kinder seien fast verstummt, weil es zu Hause kaum Gespräche gebe.

Es gehe auch darum, wie miteinander geredet werde, sagte Yvonne Unger von der JUL gemeinnützige GmbH in Weimar, die mit drei Kindergärten in Weimar und Blankenhain am Projekt teilnimmt. Ein-Wort-Sätze eines Dreijährigen ließen genauso die Alarmglocken läuten wie das komplette Weglassen von «Bitte» und «Danke». Kinder müssten ihre Wünsche äußern können. Wichtig sei es, die Eltern für das Projekt zu gewinnen.

«Es geht nicht um Sprachdefizite, sondern um Sprachkultur im Alltag», erklärte Susanne Genzel vom Priorat für Kultur und Soziales in Mühlhausen. Der freie Träger hat vier Kindergärten im Unstrut-Hainich-Kreis im Programm. 500 Kinder profitieren von diesem Angebot. Aber nicht nur sie: «Modellhaft wird mit Erziehern und Eltern gearbeitet», sagt Genzel. Die Sprachfachkräfte lenken die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf Momente, in den Sprache stattfinden muss oder kann.

Gespräche seien beim Spielen, abends am Bett, zu den Mahlzeiten und auf dem Nachhauseweg möglich. Es gibt keine Alltagssituation, in der nicht mit dem Kind kommuniziert werden kann. Beim Zähneputzen könnten die Kinder aufgefordert werden, die Zähne zu zeigen. Vorm Spiegel werden Grimassen geschnitten oder die Zunge rein und rausgesteckt. «Wenn Eltern aber nur übers Handy wischen, kommt Sprache automatisch zu kurz», so Genzel.

Von dem Projekt profitieren auch hunderte Flüchtlingskinder und deren Sprachkompetenz. Bei der Auswahl der Kitas spielte das in Thüringen aber keine Rolle. Einziges Kriterium zu Beginn des Projekts im Jahre 2016 war, dass mindestens 15 Prozent der betreuten Kinder eine Beitragserstattung vom Amt bekommen. Die Projekt-Kitas «Tausendfüßler» Hildburghausen und «Sonnenschein» in Ilmenau liegen in Stadtteilen, in denen auch Familien mit sozialen Problemlagen wohnen. «Der Anteil von Kindern, die eine spezielle Sprachförderung brauchen, ist hier besonders hoch», sagt Miriam Trautwein, Bereichsleiterin für Kitas bei der AWO.

Das zusätzliche Personal ermöglichet eine Unterstützung, die in den Kita-Alltag integriert ist. Auch die Kita «Pusteblume» in Jena-Winzerla macht beim Projekt mit. «Wir können dadurch mehr Augenmerk auf Sprache im Alltag legen», sagt Barbara Voigt vom Träger, der Thüringer Sozialakademie. «Wir gehen auf die Eltern zu, laden sie in ein Elterncafé», sagt Voigt. Das sei sehr fruchtbar und wirke sich auf die Arbeit mit den 203 Kindern aus.

Die Eltern zu sensibilisieren, sei eine schwierige Übung, bilanziert Susanne Genzel. Dabei seien Tafeln mit Sprüchen und Bildern sehr wirkungsvoll. «Es geht nicht darum, sie zu erziehen oder vorzuführen, sondern auch sie einfach für mehr Sprache im Alltag zu begeistern.» dpa