Tag des Denkmals Ein kleines Dorf mit persönlicher Note

Gute Schlossgeister aus den Niederlanden spuken seit vielen Jahren in der Vorderrhön. Beim Tag des offenen Denkmals ließen sie interessierte Gäste in ihre Gemächer. Ein ganz persönlicher Bericht.

 
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„Wollen wir nicht mal wieder was unternehmen?“ Ganz privat. Ich sehe meinem Mann an, dass er am liebsten die Beine hochlegen möchte. Nach einem anstrengenden Vormittag im Keller – da befindet sich sein Arbeitszimmer – hätte er sich das verdient, grummelte mein Gatte in seinen Drei-Tage-Bart – und verkündet stolz, endlich die Grundsteuererklärung abgeschickt zu haben. Hurra! Als ich ihm eröffnete, nach Roßdorf zu wollen, zum Tag des offenen Denkmals, verzog mein Mann erst recht das Gesicht. Roßdorf. Da fahre er jeden Tag zweimal durch, und das seit mehr als zehn Jahren. Lange Rede, kurzer Sinn: Gegen Mittag sitzen wir im Auto – Richtung Vorderrhön. Unterwegs googele ich unser Programm: Schloss Roßdorf, Trinitatis Kirche mit der 2022 restaurierten Orgel, Kleine Galerie mit der am 9. September eröffneten Ausstellung „Zweischürig“, Museum 1866 und Wagner Stube, Gutsscheune, offene Türen beim Roßdorfer Schützenverein – und anschließend die Kirchenburg in Walldorf.

Die „KulturSpur“, unter diesem Thema stand der Tag des offenen Denkmals am Sonntag, führt uns zunächst ins Schloss von Tally und André Maat. Vage konnte ich mich an (Zeitungs-)Berichte meiner Kollegen erinnern: 2006 hatte das Ehepaar aus dem holländischen Oldebroek den stark sanierungsbedürftigen Besitz mit einer Gesamtfläche von über 11 000 Quadratmetern gekauft. Geschichtsträchtiger Grund und Boden. Schon um 780 nach Christi soll es dort eine Veste gegeben haben. Das heutige Gebäude stammt aus dem 16./17. Jahrhundert, aus der Zeit der Renaissance – und gilt als ein sehr frühes Zeugnis des Historismus in Südthüringen.

Während das in unmittelbarer Nähe stehende Wechmarsche Schloss beim großen Roßdorfer Brand 1896 so stark zerstört worden war, dass es abgerissen werden musste, konnte das Herrenhaus derer von Geyso – sie kauften 1713 das Anwesen – gerettet werden. Böse Zungen behaupten ja, dass sich die beiden Herrenhäuser, die sich seinerzeit das Schlossgut Roßdorf teilten, nicht grün waren und möglicherweise einer gezündelt hat...

Nur gut, dass das Schloss von dem Brand verschont geblieben und in gute Hände gekommen ist. Ich gehe auf eine Zeitreise. Steige vom Kellergewölbe über die Steinwendeltreppe hinauf zum markanten Treppenturm, über den man die zwei Stockwerke erreicht. Rund 650 Quadratmeter Geschichte. In jeder Ecke, in jedem Winkel des einstigen Wasserschlosses entdecke ich die kreative und liebevolle Handschrift der Eigentümer. Alt und modern wurden harmonisch kombiniert. Ich kann nur ahnen, wie viel Arbeit, Zeit und Geld die Eigentümer in den vergangenen zwölf Jahren in ihr neues Heim gesteckt haben, in dem sie seit 2015 offiziell mit Wohnsitz gemeldet sind.

Inzwischen haben mich viele Besucher erkannt. Sie sind doch die Frau von der Presse?! Heute nicht. Oder doch?! Ich zücke fast schon automatisch meinen Stift. Unversehens komme ich mit dem Schlossherrn ins Plaudern. Er erzählt mir in gutem Deutsch, mit leicht niederländischem Einschlag, wie er das Haus mit seiner Frau saniert hat. Von außen nach innen. Wie er zum dem großen Loch im Fußboden auf die Spur gekommen ist (verursacht durch jahrelang durchsickerndes Badewasser aus der jahrelang bewohnten obersten Etage). Wie er den über 100 Jahre alten Kamin im Rittersaal geschruppt hat – auf Empfehlung seiner Frau mit grüner Seife aus Holland. Und wie er immer wieder staunte, wenn unerwartet Spuren aus der Vergangenheit auftauchten.

Wie bekommt man eigentlich ein Schloss warm?, will ich wissen. André Maat erzählt, dass er im Keller eine Pellet-Heizung installiert hat. Ich sehe meinen Mann an. Wir sind letztes Jahr auch umgestiegen von Öl auf Pellets. Wenn ich an die neue Tankrechnung denke, bekomme ich immer noch Schnappatmung. Dem Schlossmann und seiner -frau erging es offenbar nicht anders.

Viele Erinnerungen

André und Tally Maat werden an diesem Sonntag immer wieder von Besuchern in Beschlag genommen und mit Fragen gelöchert. Es sind vor allem die Roßdorfer selbst, die nicht nur neugierig sind, sondern auch viele Geschichten beisteuern können. Erinnerungen aus der Kindheit und der Jugend. Petra Möller zum Beispiel ist vor 66 Jahren in einer der oberen Wohnungen geboren worden. 20 Jahre war das Dachgeschoss ihr Zuhause. Später heiratete sie im Schloss ihren Mann – denn zu DDR-Zeiten beherbergte es das Standesamt, die Bibliothek, das Bürgermeisteramt sowie Wohnungen, unter anderem für Vertriebene. Heute ist die Wohnung nicht wiederzuerkennen. Mit viel Fingerspitzengefühl saniert, kann sie seit April 2021 als eine von fünf Ferienwohnungen gebucht werden. „Das wäre doch was. Wohnen im Schloss.“ Mein Mann rollt mit den Augen.

In der Kleinen Galerie, nur wenige Schritte vom Schloss entfernt, komme ich mit Alfons Trautwein ins Gespräch. Seit 2002 stellen in dem ehemaligen Gutshof zeitgenössische Künstler aus. Erst am Freitag wurde die Ausstellung „Zweischürig“ der Weimarer Künstler Marita Wagner und Volker Könitzer eröffnet. Einmal im Jahr, erzählt Trautwein stolz, gehöre die Kleine Galerie und der einstige Speicher des Gutshofes den Schülern der Roßdorfer Grundschule. Wieder staune ich, was dieses kleine Dorf doch zu bieten hat. Der Roßdorfer entlässt uns nicht eher, bis er uns die Wagnerstube gezeigt hat. „Wir haben zwei berühmte Söhne“, erzählt er von dem Dichter und Schriftsteller Ernst Wagner (1769-1812) und seinem, dem Landschaftsmaler und Grafiker Sohn Carl Wagner (1796-1867). Zum Glück wusste ich über das Gefecht am Nebel 1866 Bescheid. Auch dazu gibt es ein kleines Museum.

„Irre, was dieses kleine Dorf zu bieten hat“, sage ich zu meinem Mann, als wir gegen 17 Uhr wieder im Auto saßen. Fußlahm, aber gesättigt vom unwiderstehlichen Kuchen, den Roßdorfer Frauen gezaubert haben. 15 Vereine, ein Schloss, ein sanierter Gutshof, Kindergarten und Schule, ausgebaute Wanderwege – und engagierte Leute wie das Ehepaar Maat, oder wie Alfons Trautwein oder wie die Mitglieder vom Schützenverein, die am Sonntag für das leibliche Wohl zuständig waren. Für einen Besuch in Walldorf war es inzwischen zu spät. Den holen wir nach.

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