Suhl - Beinahe wären sich hier die beiden großartigen Schauspieler Martina Gedeck und Thomas Thieme - sie spielten zusammen in dem Oscar-preisgekrönten Film "Das Leben der Anderen" - über den Weg gelaufen. Frau Gedeck läutete mit ihrer beeindruckenden Lesung aus dem Buch "Die Wand" am Freitag das große Provinzschrei-Wochenende im Autohaus Ehrhardt ein, Thomas Thieme setzte gestern Abend im Cineplex in einem vergnüglichen Gespräch mit dem Journalisten Frank Quilitzsch den Schlussakkord unter den dreitägigen Kultur-Marathon.

Dieser 11. Provinzschrei geht erstmals mit Zwischenstopps vorwärts, um niemandem der Interessierten die Puste zu nehmen und hält in den nächsten Tagen noch einige lohnenswerte Angebote bereit. Bis hin zum Samstag, wenn im Hotel Thüringen zum Literatur-Café, zur Lesung mit Lutz Rathenow und am Abend zum Fado und portugiesischem Wein eingeladen wird. Eine Verschnaufpause konnte man gestern Vormittag beim Jazz-Frühschoppen im Waffenmuseum mit der Arnstädter Burgen-Jazz-Band einlegen. Trotz Regenwetters saßen die Zuhörer dicht gedrängt in der Remise und genossen Dixieland, Rostbratwurst und ein kühles Blondes.

Aufgeschlossene Zuhörer

Claudia Neukirchner vom Verein Provinzkultur betonte, am neuen Konzept festhalten zu wollen. Schwerpunkt bleibe eine dreitägige Offerte mit Büchern, Autoren und natürlich mit Musik. Die Reaktionen der Besucher, ihre Aufmerksamkeit, ihre Begeisterungsfähigkeit, hätten auch dieses Jahr die Künstler als sehr wohltuend empfunden. Die meisten seien doch ziemlich überrascht gewesen, auf ein derart neugieriges Publikum zu treffen.

Dabei hatten die wenigsten Akteure leichte Kost mitgebracht und bemühten die kleinen grauen Zellen ihrer Zuhörer. Über 400 Besucher bei Martina Gedeck, über 200 bei Nina Hoger am Samstag, und beidemal war es mucksmäuschenstill im Veranstaltungsort Autohaus. Das gab auch dieses Mal wieder eine respektable Kulisse für die Kultur. "Wir machen das richtig gern, fürs Publikum und für die Stadt", sagt der Chef Wilfried Ehrhardt zur Eröffnung.

Nina Hoger kam mit der Klezmer-Gruppe "Noisten", ein wunderbares Ensemble, das sich in der Auswahl seiner Stücke so recht auf die literarische Welt der Else-Lasker-Schüler (1869-1945) einließ und dem das faszinierte Publikum noch Zugaben abverlangte. Der eigenwilligen, selbstbewussten, sprachgewaltigen Lyrikerin jüdischer Herkunft - die Ikone des deutschen Impressionismus - widmete Nina Hoger ein zweistündiges berührendes Programm. Mit der Dichtung führte sie durch das Leben der Künstlerin, von der einer ihrer Geliebten, Gottfried Benn, sagte, sie sei zu allen Zeiten arm gewesen.

Einfühlsamer Vortrag

Ähnlich wie schon ihre Kollegin Martina Gedeck ergriff auch Nina Hoger mit ihrer einfühlsamen Vortragskunst, ein Genuss für alle Zuhörer. Nach Rilke-Gedichten im vorigen Jahr beim Provinzschrei war dies eine gelungene Fortsetzung, sich großer Poeten deutscher Zunge zu erinnern, zumal es, wie man sieht, dafür hier ein Publikum gibt, das solche Offerten zu schätzen weiß.

Um Publikum musste Ralph Giordano ohnehin nicht bange sein. Der Mann hält auch mit 88 Jahren - und dieses Alter merkt man ihm wahrlich nicht an - nicht hinterm Berg mit seinen Ansichten und kann schon mal die Öffentlichkeit irritieren, wie beispielsweise mit seiner Einmischung in die Debatte über Integration und Migration. Ob es politisch korrekt ist, darum schert er sich nicht, Giordano tut dies vor dem Hintergrund seiner Biografie und seiner ein Leben lang verinnerlichten humanistischen Position.

Mitgebracht hatte er sein jüngstes Buch "Mein Leben ist so sündhaft lang", aber dieser Satz, klärte er die Zuhörer auf, stamme nicht von ihm, sondern vom von ihm so hoch geschätzten Victor Klemperer. Am Ende applaudierten ihm die Suhler stehend, in Respekt vor einem aufrichtigen imponierenden Leben. Letztmals, als ein Saal voller Publikum in Suhl sich vor einem Schriftsteller erhob, war das 1993, als Erwin Strittmatter hier gelesen hatte.

Zwei Autoren der jüngeren Generation folgten ihm. Beide mit bekannten Vätern, Jakob Hein, Sohn von Christoph Hein, und Andrej Hermlin, Sohn von Stephan Hermlin. Wobei Andrej seine Profession in der Musik, im Swing, sieht und zwei seiner Kollegen aus seinem Swing Dance Orchestra mitgebracht hatte. Dennoch gibts ein Buch von ihm "My Way - ein Leben zwischen den Welten." Das stellte er vor.

In einer anderen literarischen Welt als sein Vater ist Jakob Hein zu Hause - witzig den Alltäglichkeiten und den menschlichen Schwächen auf der Spur, wie in "Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand", seinem jüngsten Buch. Dem Literaturmarathon folgten übrigens viele den ganzen Tag als Dauergast. Seite 18