Vor- und Nachteile
Es gibt bei der Online-Lehre wie bei allen Dingen im Leben Vor- und Nachteile. So ist es durchaus angenehm, den Wecker im Notfall auf fünf Minuten vor Vorlesungsbeginn zu stellen und dank ausgeschalteter Kamera und Mikrofon anwesend sein zu können, ohne gesehen und gehört zu werden – die Vorlesung wird zum Podcast. Mein Arbeitsweg beschränkt sich aktuell auf etwa 1,5 Meter, das ist der Weg von meinem Bett bis zum Schreibtisch. Ab und zu muss ich einen Umweg über die Küche machen, um Kaffee oder Tee zu holen. Allerdings wird man dadurch bequem und gefährliche Gedanken wie „Die Vorlesung kann ich auch vom Bett aus machen…“ (Achtung: kann man nicht) schleichen sich ein. Es gibt keinen festen Feierabend mehr, der Laptop steht immer auf dem Schreibtisch und schaut einen hämisch an. Die wichtige Grenze zwischen Privatleben und Studium ist langsam verschwommen und dann war sie plötzlich weg. In meinem Studiengang ist im fünften Semester ein sechsmonatiges Praktikum vorgesehen, in welchem ich gerade stecke. Abhängig von der Firma, in der man arbeitet, der jeweiligen Stadt, in der man das Praktikum absolviert und den damit zusammenhängenden Coronaregeln, läuft das Praxissemester in meinem Jahrgang sehr unterschiedlich ab.
Praktikum ohne Praxis
Während viele meiner Freunde aktuell bei kleinen Agenturen angestellt sind und täglich ins Büro gehen dürfen - ja, dürfen – sitze ich aufgrund der momentanen Lage nun doch wieder jeden Tag acht Stunden allein in meinem Zimmer - zwar in einer neuen Stadt und in einer neuen WG, aber trotzdem wieder allein. Ich arbeite in der Presse-Kommunikationsabteilung eines großen deutschen Konzerns und durfte in den ersten Wochen auch vor Ort im Büro sein, aber an den meisten Tagen war außer mir niemand da. So fällt ein enormer Teil des Praktikums einfach weg: Die Praxis. Für einen Einblick ins Berufsleben sollte man den Büroalltag mitkriegen, Kollegen über die Schulter schauen oder bei wichtigen Telefonaten zuhören. Nun ist es nicht so, dass ich überhaupt nichts lerne oder keine tollen Erlebnisse hatte, aber es bleibt leider doch viel auf der Strecke, wenn man die meisten Kollegen nur vom Profilbild kennt, das im morgendlichen Teams-Meeting angezeigt wird.
Man muss letztendlich dazu sagen, dass ich viel Glück hatte, um das Beste aus diesen zwei Jahren rauszuholen. Im ersten Semester habe ich meine jetzigen besten Freunde kennengelernt, mit denen ich mittlerweile in Würzburg zusammenwohne. Wir essen gemeinsam, haben denselben Freundeskreis und gehen zu den gleichen Vorlesungen. So sitzt zwar jeder allein in seinem Zimmer, aber es gab immer gemeinsame Kaffeepausen, Feierabendbier und kleine Partys an den Wochenenden. Auch während des Praxissemesters geht es mir in der Homeoffice-Situation nur so gut, weil ich eine WG mit lieben Mitbewohnern gefunden habe, die mir die Stadt gezeigt haben, mit mir zusammen essen oder mich in der Mittagspause auf einen kurzen Spaziergang mitnehmen. So gut geht es nicht allen. Viele, die allein wohnen oder in den letzten zwei Jahren ihr Studium begonnen haben, vereinsamen zunehmend, denn ohne Präsenzvorlesungen, Nebenjobs, Partynächte und alles andere, was zum Studieren dazugehört, ist es fast unmöglich, neue Leute kennenzulernen.
Ich spreche bei all dem natürlich nur für mich und vielleicht sieht es bei anderen Studierenden oder an anderen Unis und Fachhochschulen ganz anders aus. Man hat sich an die neue Realität gewöhnt und das Studium ist trotz allem mit etwas Selbstdisziplin durchaus zu schaffen. Außerdem hat man hat immer die Chance, das Beste aus allem zu machen – aber mit dem Studium, wie man es sich wünscht und weshalb man sich damals eingeschrieben hat, hat es lange nichts mehr zu tun.