Studieren in Zeiten von Corona Home sweet Homeoffice

Neues Jahr, altes Leid: Arbeiten und Studieren von zu Hause mindert soziale Kontakte und den Spaß am Lernen. Erfahrungen zur Thematik hat Julia Meyer aus Kaltenwestheim zusammengefasst – sie studiert Medienmanagement an der Uni in Würzburg.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Julia Meyer stammt aus Kaltenwestheim in der Rhön und studiert seit zwei Jahren Medienmanagement an der Universität Würzburg. Ihre Erfahrungen mit dem Studium in Corona-Zeiten hat sie sich hier von der Seele geschrieben.     Foto: /privat

Kaltenwestheim/Würzburg - Im Frühjahr 2020, kurz vor Beginn meines zweiten Semesters war klar: Das Coronavirus scheint vielleicht doch eine etwas ernster zunehmende Sache zu sein. Diese Erkenntnis änderte von jetzt auf gleich das Leben und den Alltag eines jeden: Kinder dürfen plötzlich nicht mehr zusammen spielen, Krankenhauspersonal und Pflegekräfte müssen an ihr Limit und darüber hinaus gehen, Eltern werden zu Lehrkräften im „Home-Schooling“, Einzelhandelskaufleute müssen ihre Kundschaft zählen und Masken sind das neue It-Piece. Dieser Zustand dauert nun seit fast zwei Jahren an und wir haben halbwegs gelernt, „mit dem Virus zu leben“, wie es so schön heißt. In vielen Bereichen des Alltags ist nach und nach Normalität, oder zumindest eine angepasste Form derselben eingekehrt. Jedoch gibt es eine Bevölkerungsgruppe, die sich mit den Angehörigen der Kulturbranche die letzten Plätze in der Schlange teilt und mehr oder weniger ständig vergessen oder zumindest hinten angestellt wird: Studierende. Das mag jetzt etwas dramatisch klingen, für uns ist es das aber auch.

Nach der Werbung weiterlesen

Es war einmal ...

Ich hatte das Glück, mein allererstes Semester in Würzburg noch ganz normal studieren zu dürfen und es war tatsächlich so, wie man es sich vorstellt: 8 Uhr-Vorlesung, der Saal ist relativ leer und die Jungs auf den Plätzen vor mir riechen nach Bier und kaltem Rauch, weil sie direkt vom Club in die Vorlesung kamen. Es gibt günstiges Mensa-Essen und WG-Partys, bei denen man erst niemanden und plötzlich alle kennt, vor der Abendvorlesung gibt es Döner auf die Hand und alle ernähren sich auf einmal von Nudeln mit Pesto.

Vorlesungen sind anders als Schulunterricht, die meisten Leute wollen – für mich anfangs unglaublich – tatsächlich etwas lernen und diskutieren angeregt mit den Dozierenden. Diejenigen, die es nicht interessiert, shoppen währenddessen online oder schauen Fußballspiele auf dem I-Pad. Und im Gegensatz zur Schule ist es so ziemlich jedem egal, zu welcher Art von beiden man gehört. Man trifft viele interessante Leute mit völlig neuen Ansichten und Vorstellungen vom Leben, durch die man anfängt, sich zu hinterfragen und vielleicht selbst interessanter wird. Wenn man will, kann man jeden Tag feiern und tanzen gehen, Studierende kommen mit erstaunlich wenig Schlaf aus – oder lassen die erste Vorlesung eben einfach ausfallen. Kurz gesagt gilt beim Studieren die alte Floskel „alles kann, nichts muss“, aber wenn man es richtig anstellt, kann man sehr viel Spaß haben und seinen Horizont sozial als auch intellektuell enorm erweitern.

Die neue Wirklichkeit

Dieses Klischee-Studentenleben, was ich hatte, ist nun ziemlich genau zwei Jahre her. Von den meisten meiner Kommilitonen habe ich seitdem nur Köpfe gesehen, die in vielen kleinen Kacheln in den Online-Vorlesungen zu sehen sind. Bei uns gibt es keine Kamera-Pflicht, weshalb ich mich beim Lesen des ein oder anderen Namen auf der Anwesenheitsliste ertappe, wie ich mich fragen muss: „Wer war das noch mal?“ – und das trotz überschaubarer Teilnehmerzahl von maximal 70 Personen. Online studieren heißt für mich vor allem eins: Unangenehme Eintönigkeit. Es wird kaum noch diskutiert, die Dozierenden halten endlose Monologe und stellen Fragen, auf die niemand antwortet.

Kamera und Mikrofon auszuschalten ist das wirksamere Pendant zum Kopf-einziehen im Hörsaal. Wer sich einmal meldet, macht sich zur Zielscheibe der Dozierenden, die sich über jedes Wort freuen, was nicht von ihnen selbst kommt. Andere Dozierende bestehen auf das Einschalten von Bild und Ton – und schmeißen im Extremfall diejenigen aus der Vorlesung, die sich nicht daran halten. Man kann aufgrund mangelnder Präsenz auch nicht mehr kurz den Nebenmann oder die -frau flüsternd fragen „Wie geht das?“ und traut sich vor allem nicht, sich vor den anderen zu melden und nachzufragen, weil man etwas nicht verstanden hat. Man fühlt sich allein und etwas hilflos, alle anderen stellen schließlich auch keine Fragen, also haben es sicher alle verstanden. Online studieren heißt aber letztendlich auch, während der Vorlesung Mittagessen für die ganze WG zu kochen, die Möglichkeit zu haben, vom Elternhaus, der eigenen Wohnung oder sonstigen ans W-LAN angebundenen Orten überall auf der Welt zu studieren und sich ständig zu fragen, wann man das letzte Mal eine Jeans anhatte.

Vor- und Nachteile

Es gibt bei der Online-Lehre wie bei allen Dingen im Leben Vor- und Nachteile. So ist es durchaus angenehm, den Wecker im Notfall auf fünf Minuten vor Vorlesungsbeginn zu stellen und dank ausgeschalteter Kamera und Mikrofon anwesend sein zu können, ohne gesehen und gehört zu werden – die Vorlesung wird zum Podcast. Mein Arbeitsweg beschränkt sich aktuell auf etwa 1,5 Meter, das ist der Weg von meinem Bett bis zum Schreibtisch. Ab und zu muss ich einen Umweg über die Küche machen, um Kaffee oder Tee zu holen. Allerdings wird man dadurch bequem und gefährliche Gedanken wie „Die Vorlesung kann ich auch vom Bett aus machen…“ (Achtung: kann man nicht) schleichen sich ein. Es gibt keinen festen Feierabend mehr, der Laptop steht immer auf dem Schreibtisch und schaut einen hämisch an. Die wichtige Grenze zwischen Privatleben und Studium ist langsam verschwommen und dann war sie plötzlich weg. In meinem Studiengang ist im fünften Semester ein sechsmonatiges Praktikum vorgesehen, in welchem ich gerade stecke. Abhängig von der Firma, in der man arbeitet, der jeweiligen Stadt, in der man das Praktikum absolviert und den damit zusammenhängenden Coronaregeln, läuft das Praxissemester in meinem Jahrgang sehr unterschiedlich ab.

Praktikum ohne Praxis

Während viele meiner Freunde aktuell bei kleinen Agenturen angestellt sind und täglich ins Büro gehen dürfen - ja, dürfen – sitze ich aufgrund der momentanen Lage nun doch wieder jeden Tag acht Stunden allein in meinem Zimmer - zwar in einer neuen Stadt und in einer neuen WG, aber trotzdem wieder allein. Ich arbeite in der Presse-Kommunikationsabteilung eines großen deutschen Konzerns und durfte in den ersten Wochen auch vor Ort im Büro sein, aber an den meisten Tagen war außer mir niemand da. So fällt ein enormer Teil des Praktikums einfach weg: Die Praxis. Für einen Einblick ins Berufsleben sollte man den Büroalltag mitkriegen, Kollegen über die Schulter schauen oder bei wichtigen Telefonaten zuhören. Nun ist es nicht so, dass ich überhaupt nichts lerne oder keine tollen Erlebnisse hatte, aber es bleibt leider doch viel auf der Strecke, wenn man die meisten Kollegen nur vom Profilbild kennt, das im morgendlichen Teams-Meeting angezeigt wird.

Man muss letztendlich dazu sagen, dass ich viel Glück hatte, um das Beste aus diesen zwei Jahren rauszuholen. Im ersten Semester habe ich meine jetzigen besten Freunde kennengelernt, mit denen ich mittlerweile in Würzburg zusammenwohne. Wir essen gemeinsam, haben denselben Freundeskreis und gehen zu den gleichen Vorlesungen. So sitzt zwar jeder allein in seinem Zimmer, aber es gab immer gemeinsame Kaffeepausen, Feierabendbier und kleine Partys an den Wochenenden. Auch während des Praxissemesters geht es mir in der Homeoffice-Situation nur so gut, weil ich eine WG mit lieben Mitbewohnern gefunden habe, die mir die Stadt gezeigt haben, mit mir zusammen essen oder mich in der Mittagspause auf einen kurzen Spaziergang mitnehmen. So gut geht es nicht allen. Viele, die allein wohnen oder in den letzten zwei Jahren ihr Studium begonnen haben, vereinsamen zunehmend, denn ohne Präsenzvorlesungen, Nebenjobs, Partynächte und alles andere, was zum Studieren dazugehört, ist es fast unmöglich, neue Leute kennenzulernen.

Ich spreche bei all dem natürlich nur für mich und vielleicht sieht es bei anderen Studierenden oder an anderen Unis und Fachhochschulen ganz anders aus. Man hat sich an die neue Realität gewöhnt und das Studium ist trotz allem mit etwas Selbstdisziplin durchaus zu schaffen. Außerdem hat man hat immer die Chance, das Beste aus allem zu machen – aber mit dem Studium, wie man es sich wünscht und weshalb man sich damals eingeschrieben hat, hat es lange nichts mehr zu tun.