Neuhaus/Rennweg – Die Polizei hat am Donnerstag ein Pflegeheim in Neuhaus am Rennweg durchsucht. Dabei ging es um den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kranken oder Hilfsbedürftigen, teilte die Landespolizeiinspektion in Saalfeld mit. Beschuldigt sind den Angaben zufolge fünf Frauen, die in der Einrichtung arbeiten. Bei den Opfern soll es sich um vier Frauen sowie einen Mann im Alter zwischen 55 und 86 Jahren handeln.

Die Polizei war den Angaben zufolge mit einem Aufgebot von rund 40 Beamten im Einsatz. Neben dem Heim seien auch die Wohnungen der Frauen in den Landkreisen Sonneberg und Saalfeld-Rudolstadt durchsucht worden. Weitere Details zu den Vorwürfen wurden am Donnerstag nicht gemacht. Laut Mitteilung der Polizei geht es bei den Ermittlungen im Auftrag der Staatsanwaltschaft neben dem Missbrauchsverdacht auch um sexuelle Nötigung, Körperverletzung und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen. Es soll Hinweise geben, dass einige der Beschuldigten in sozialen Netzwerken eine Gruppe unterhalten haben.

Der Betreiber des Alten- und Pflegeheims Angelikastift, die Cura Seniorenwohn- und Pflegeheime Dienstleistungs GmbH in Berlin, zeigte sich schockiert. Die Vorwürfe würden sehr ernst genommen, die beschuldigten Mitarbeiterinnen seien während der laufenden Ermittlungen vom Dienst freigestellt. „Wir kooperieren umfassend mit den ermittelnden Behörden“, heißt es in der Stellungnahme.

Die Versorgung der Bewohner der Einrichtung ist den Abgaben des Betreibers zufolge gewährleistet. Angehörige könnten sich bei Fragen an das Heim wenden.

Auslöser für die Razzia war offenbar ein anonymer Hinweis, der die Behörden auf den Plan gerufen hatte.

Der Thüringer Heimaufsicht im Landesverwaltungsamt in Weimar ist nach Angaben eines Sprechers „bislang nichts Vergleichbares an Widerwärtigem und Abscheulichem“ bekannt geworden. Die Möglichkeit, solche Fälle aufzudecken, bestehe für die Heimaufsicht nur dann, wenn sie durch Hinweise davon Kenntnis erlangt, heißt es weiter. Daher appelliere man an Betroffene und an deren Vertrauenspersonen, sich an die Mitarbeiter der Heimaufsicht zu wenden und ihnen die Sorgen zu schildern.

Die Thüringer Heimaufsicht ist für 339 Pflegeeinrichtungen in Thüringen zuständig, darunter sind acht Kurzzeitpflegeeinrichtungen. In diesen habe es im vorigen Jahr 52 „anlassbezogene Prüfungen“ gegeben, also Prüfungen, bei denen entsprechenden Hinweisen nachgegangen wurde. In diesem Jahr liegt die Zahl bislang bei 30 solcher Prüfungen. Die Behörde wies ausdrücklich darauf hin, dass es bei diesen Prüfungen in keiner Weise um solch schwerwiegende Vorwürfe wie in dem Fall aus Neuhaus gegangen sei.

Sexueller Missbrauch in Pflegeheimen gilt bislang als ein Thema, über das nicht gesprochen wird. Vor etwa einem Jahr wurde in Ulm eine Altenpflegerin zu einer Haftstrafe verurteilt, die in einem Altenheim in Baden-Württemberg eine Seniorin vergewaltigt und den Übergriff gefilmt hatte. Zudem habe sie Fotos nackter Heimbewohner gemacht und an einen Mann geschickt, den sie aus einem Internet-Chat kannte. Der Anstifter wurde in einem weiteren Prozess zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt.

Experten gehen davon aus, dass es deutlich mehr ähnliche Fälle gibt, die jedoch nicht entdeckt werden, da Betroffene entweder wegen ihrer Gebrechen nicht in der Lage sind, sich zu offenbaren oder aus Scham schweigen. Von einer Dunkelziffer müsse man ausgehen – diese sei jedoch nicht zu beziffern, so die Auskunft der Thüringer Heimaufsicht. anb/jwe

Lesen Sie dazu auch: