Raumfahrt Thüringer Technik hebt ab

Jahrelange Planung, Verschiebungen und dann auch noch ein Namensstreit: Der Entstehungsweg von „James Webb“ war lang und steinig, aber jetzt soll das größte Weltraumteleskop endlich starten. Und Spiegel aus Jena fliegen mit.

 
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Jena/Washington - Seit Jahrzehnten arbeiten und fiebern Astronomen und Weltraum-Ingenieure auf der ganzen Welt auf diesen Tag hin: Am Samstag, 25. Dezember, soll das „James Webb Space Telescope“ (JWST) nach zahlreichen Verschiebungen nun wirklich ins All starten – und dabei handele es sich nicht einfach nur um ein weiteres Weltraumteleskop, sondern um den unumstrittenen Star der Flotte, wie Nasa-Managerin Jane Rigby sagt. „Webb hat dermaßen transformative Fähigkeiten, dass ich davon ausgehe, dass es eine neue Zeitrechnung markieren wird – es wird eine Zeit davor und eine Zeit danach geben.“

Das JWST ist eine rund zehn Milliarden Dollar teure Kooperation der Weltraumagenturen der USA, Kanadas und Europas und soll mit dem Start vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana das größte und leistungsfähigste Teleskop werden, das jemals ins All gebracht wurde. Es soll Nachfolger des „Hubble“-Teleskops werden, das seit mehr als 30 Jahren im Einsatz ist, 1,5 Millionen Kilometer weit ins All fliegen und unter anderem mit Hilfe eines 25 Quadratmeter großen Spiegels neue Bilder aus dem frühen Universums liefern. Das Teleskop soll die ersten nach dem Urknall entstandenen Galaxien beobachten.

Und helfen soll dabei Technik aus Thüringen. Denn mit an Bord sind hochpräzise Spiegel, hergestellt am Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF in Jena. Damit das Teleskop seinen Forschungsauftrag erfüllen kann, befinden sich insgesamt vier wissenschaftliche Instrumente an Bord. Zwei davon hat – anteilig – die Europäische Weltraumorganisation (ESA) beigesteuert. Von diesen wiederum ist das „Mid-Infra-Red-Instrument“ (Miri) mit Spiegeln ausgestattet, die am Fraunhofer IOF in Jena gefertigt und vergütet wurden.

Bei Miri handelt es sich um ein Messinstrument bestehend aus einer Kamera und einem Spektrometer, wie Stefan Risse, Leiter der Abteilung für Präzisionsoptische Komponenten und Systeme am Fraunhofer IOF berichtet. Miri arbeite im Infrarot-Bereich bei einer Wellenlänge von 5 bis 28 Mikrometern. Selbst kleine und lichtschwache Objekte ließen sich damit bis ins Detail analysieren. Das Instrument sei so empfindlich, dass es sogar eine Kerze auf einem Jupitermond in einem Abstand von circa einer Milliarde Kilometer von der Erde sehen kann.

Die dafür notwendigen Spiegel wurden am Fraunhofer IOF hergestellt. Im Jenaer Forschungsinstitut wurden diese ultrapräzisen Spiegel diamantgedreht und beschichtet. „Diamantdrehen ist ein leistungsfähiges Fertigungsverfahren zur Herstellung planarer und gekrümmter optischer Oberflächen. Heute, mehr als zehn Jahre nach der Miri-Entwicklung, werden am Fraunhofer IOF freigeformte Oberflächen – also Spiegel ohne Symmetriemerkmal – erfolgreich mit dieser Technik gefertigt“, erklärt Risse weiter. Seine Abteilung stellte die Spiegel her. „Mit einer Kombination aus Diamantdrehen und Polierverfahren können Metalloptiken so präzise gefertigt werden, dass ein Oberflächenprofil mit Genauigkeiten im Nanometerbereich und Rauheiten im sub-Nanometerbereich – also extrem glatte Oberflächen mit Rauheitswerten von wenigen Angström – erzeugt werden“, erläutert Risse weiter.

Der Weg, bis die Thüringer Technik nun endlich abheben kann war allerdings so lang und steinig, dass das Fachmagazin „Nature“ schon vom „teuersten astronomischen Risiko der Geschichte“ schreibt. Ende der 80er Jahre kam erstmals die Idee eines solchen Teleskops auf, seitdem wird geplant und gebaut. Immer wieder passierten dabei kleinere Missgeschicke, die Planung verzögerte sich, die ursprünglich auf rund 500 Millionen Dollar geschätzten Kosten schnellten in die Höhe. 2007 hatte das JWST ganz ursprünglich einmal starten sollen - aber der Start verschob sich immer wieder nach hinten.

Zudem gibt es eine Kontroverse um den Namen, der auf den zweiten Direktor in der Geschichte der Nasa zurückgeht. Webb stand in den 60er Jahren der Nasa vor - zu Zeiten, in denen die Behörde die ersten Menschen ins All schickte, aber auch zu Zeiten, in denen ein Mitarbeiter entlassen wurde unter dem Verdacht, dass er schwul sein könnte. Zahlreiche Wissenschaftler haben bereits eine Umbenennung gefordert, aber der derzeitige Nasa-Chef Bill Nelson lehnt das bislang ab. „Wir haben zum derzeitigen Zeitpunkt keine Hinweise gefunden, die eine Namensänderung notwendig machen.“

Viele Wissenschaftler hoffen darauf, dass ein erfolgreicher Start all diese Kontroversen nun endlich in den Hintergrund rücken lässt – und den Weg frei macht für nie da gewesene Forschungsmöglichkeiten. Sie hoffen auf einen Blick zurück in die Frühzeit des Weltalls nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren: Auf Bilder von Sternen, die älter sind als unser Sonnensystem und vielleicht nicht mehr existieren - und möglicherweise sogar auf Hinweise auf eine zweite Erde.

Es ist bereits das weite Mal in diesem Jahr, dass Thüringer Technik maßgeblich zum Erfolg von Weltraummissionen beiträgt. Im Juli war der Mars-Rover „Perseverance“ auf dem roten Planeten gelandet und hatte atemberaubende Bilder in bislang nicht gekannter Qualität zur Erde gesendet. Die Kameras, die diese Bilder lieferten, stammen von einem Tochterunternehmen des Jenaer Optikkonzerns Jenoptik.

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