Rappelsdorf Neue Geschichten um den alten Tanzsaal

Karin Schlütter

Die Wiederauferstehung des alten Tanzsaals in Schleusingens Ortsteil Rappelsdorf ist die Geschichte heimatverbundener Menschen, eines vorm Abriss geretteten Gebäudes, wundersamer Fügungen und einer sagenhaften Bewohnerin.

 
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Das schönste Weihnachtsgeschenk haben sich die Enthusiasten vom Heimatverbund Schleusingen e.V. selbst gemacht. Ihr Herzensprojekt, der alte Tanzsaal, ist zwar noch nicht vollständig fertig, aber mit neuen Tischen und Stühlen ausgestattet eine wahre Augenweide. Der Charme des alten Tanzsaales von 1908, wie er vielen älteren Rappelsdorfern noch in Erinnerung ist, er lebt wieder auf in der wunderschönen Decke, in der Lamperie, die mit Bierfarbe angemischt wurde, in den mehrteiligen Leuchtern. Überglücklich über den neuen Meilenstein ihres dreijährigen Projekts treffen sich die Vereinsmitglieder des Heimatverbundes Schleusingen um ihren Vorsitzenden Gerald Wilhelm am Neujahrstag sozusagen zur Sitzprobe. Die Warmluftheizung spendet angenehme Wärme. Bis endgültig alles fertig ist, so wie es sein soll, dauert es noch ein paar Monate. Aber Projektleiter Jens Hoffmann ist guter Dinge: „Im Juni etwa möchten wir den Tanzsaal im neuen Gewand offiziell einweihen. Er soll Familien- und Freizeitzentrum werden und neue Möglichkeiten eröffnen. Alles, was jetzt noch gemacht werden muss, sind die Küche mit Bar und die Außenanlagen. Das ist gesichert, es ist alles schon bezahlt oder beauftragt, versichert der Projektleiter. Eigentlich dürfte nichts mehr schief gehen. Auch das ist die Geschichte einer glücklichen Fügung. Doch dazu später. Denn nach dem seit 2021 schon mit verschiedenen Fördermitteln vom Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum oder Leader, Eigeninitiative und Vereinsmitteln viel geschafft wurde – von der Dachsanierung, über den Einbau von Fenster und Türen bis zu Tiefbauarbeiten, Stromleitungen und Warmluftheizung – schien es Anfang des Jahres 2023 zu stagnieren. Die bei der Thüringer Staatskanzlei beantragten neuen Fördermittel für den Innenausbau konnten von dort nicht zugesagt werden.

Dann kam das Geld doch noch

„Und dann kam im März 23 doch noch der Bescheid über 330 000 Euro“, sagt Jens Hoffmann. „Unser Projekt hat wohl überzeugt. Für uns war es wie Weihnachten und Neujahr in einem. Bedingung war, dass alles Geld bis Jahresende beauftragt und möglichst abgerufen und die Verwendung bis März 2024 nachgewiesen wird. Aber wir hatten ja bereits 2022 das meiste vorbereitet.“

Die notwendigen Eigenmittel als Voraussetzung für die Förderung hat der Verein aus Spenden verschiedener Sponsoren zusammengetragen, wobei Jens Hoffmann als Unternehmer selbst viel privates Geld investiert. „Der Familienrat hat getagt“, verrät er, „und hat beschlossen: wir machen das.“ „Seine Frau Ute, mit Erfahrung in der Verwaltung, weiß, wie Förderanträge gestellt werden müssen und tat das immer wieder unermüdlich. Immerhin wird das Projekt rund 800 000 Euro kosten. Der Heimatverbund Schleusingen pachtete als Fördermittelvoraussetzung den Saal für 20 Jahre.

Vieles macht diese Erfolgsgeschichte aus, die begann, als der Saal schon zum Abriss frei gegeben war. „Alle, die hier sind“, wirft Jens Hoffman seinen Blick auf die Vereinsmitglieder, „stehen für diesen Saal und tragen im Herzen: das muss mal wieder so werden, wie es früher war.“ Sie haben Käferholz aus eigenen Wäldern geschnitten, um durch Insektenbefall geschädigte Stellen im Gebälk zu ersetzen, Stück für Stück. Und immer unter dem Aspekt der denkmalgerechten Sanierung. Ein Holzgutachter aus Erfurt lieferte die Expertise. Unter der einst geschieferten Westseite des Gebäudes kamen ähnliche Überraschungen zu Tage, wie unter dem Putz im Innenraum. Etwa 30 Prozent der Westfassade mussten komplett erneuert werden. Der originale Fußboden des Saales war für drei Jahre zu seinem Schutz mit Platten abgedeckt. Nun wurde er aufgearbeitet, eingeölt und zweimal gewachst. Ebenso galt es, die einzigartige Decke im Jugendstil zu erhalten, die mit passenden neuen Messingleuchten ein echter Hingucker ist. In der Mitte ein Wagenrad. So kann der Saal im jeweiligen Stil der Veranstaltung dekoriert werden. Es sind so viele Details, die davon sprechen, mit wie viel Herzblut die Rappelsdorfer ihren Saal auferstehen lassen. Nicht umsonst haben sie eine Nominierung zum Deutschen Engagementpreis bekommen. Gustav Schmidt, den ersten Wirt, würde es wohl riesig freuen, das alles zu erleben.

Die unglaublichste Geschichte aber ist wohl die, wie die Rappelsdorfer zu den Stühlen kamen. Denn in diesen Jugendstilsaal kann man nicht irgend einen Stuhl stellen, das muss schon passen. Aber wer stellt solche Wirtshausmöbel heute noch her, die auch bezahlbar sind? Nach der Ausschreibung für die Bestuhlung gab es erst mal lange Gesichter. Denn die Stuhlbaufirma in Oelsa bei Dresden hatte ein Angebot abgegeben, das unerschwinglich war. Doch es gab wieder einen der positiven Zufälle bei dem Projekt. Die Chefin des kleinen Familienbetriebes Bernadett Werner meldete sich noch einmal und erklärte: wir machen das. Der Betrieb schließe zum Jahresende und wird die Sitzmöbel für den Tanzsaal herstellen, sozusagen als letzten großen Auftrag zum Abschied. Und nun stehen sie da, die Stühle, ein Weihnachtsgeschenk vom feinsten mit dunkelgrünen Sitzpolstern. Aber auch die Tische aus dem alten Saal sollen noch aufgearbeitet werden, sodass bei großen Veranstaltungen Platz für maximal 200 Leute ist.

Eine neue Slusia bewacht den Saal

Zu Weihnachten ist eine ganz besondere Dame eingezogen. Sie blickt vom Sockel aus in den Saal hinein. „Ich denke, sie ist die Seele des Saals“, sagt Jens Hoffmann, der Mäzen. Es werde immer gesprochen von Kunst am Bau, sagt er. Sein Anspruch sei es gewesen, in den Saal eine Statue zu bringen, die zum Ort gehört. Als Rappelsdorfer durch und durch habe er einen engen Bezug zur Totenlache, die nicht einfach ein Bio/Geotop ist, sondern die etwas Magisches hat und um die sich Sagen ranken. Ludwig Bechstein, der Meininger Märchen- und Sagensammler, setzte ihr ein literarisches Denkmal mit den Sagen „Die Totenlache“ und „Die Nixe der Totenlache“. Es heißt darin, dass aus der Totenlache eine Nixe hervorkam, um den Hals trug sie ein schwarzes Nüsterband (Perlen, Korallen), um den Leib ein schuppiges Mieder und sie hatte einen hässlichen Fischschwanz. Auf der Ruderburg, einem Wirtshaus unweit von Rappelsdorf, wurde ein Hochzeitstanz gehalten. Dorthin eilte flugs das Nixlein, setzte sich an den Tisch und verliebte sich in einen jungen Mann. Sie blieben lange zusammen bis das Nixlein Abschied nahm, zu lange war es schon gegen das Gebot ihres Vaters geblieben und befürchtete, das mit ihrem Leben bezahlen zu müssen. „Lebe wohl und gehe morgen hin zur Lache. Findest du sie hell und grün, so lebe ich, findest du sie aber bleich und totenfarben, so ist’s vorbei mit mir.“ Sie gab ihm einen Kuss und entwich. Am andern Morgen ging der junge Mann zum See und fand ihn bleich und blutig. Voller Liebesgram sprang er hinein, um sich durch den Tod mit dem Nixlein zu vereinen. Und wie Ludwig Bechstein noch zu berichten weiß, hat „diese Sage ein begabter, aber früh geschiedener vaterländischer Dichter, Deckert in Schleusingen, in einem schönen Gedicht so scherz- als musterhaft in Henneberger Mundart besungen.“ (Schleusinger Blätter, 2010).

Mit dem Saal gibt es nun also eine neue Nixe. Sie kann eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrer Schwester vor dem Rathaus nicht leugnen. Kein Wunder, sind doch beide Statuen das Werk des Schleusinger Bildhauers Benedikt Solga, der seit einigen Jahren im Atelier im ehemaligen Rappelsdorfer Konsum wirkt. „So langsam verstehe ich mich als Nixenspezialist“, scherzt der Künstler. Er hatte auch die kleinen Nixen für die Slusizer-Preisverleihung entworfen. Preise, die zehnmal an Menschen vergeben wurden, die sich literarisch oder journalistisch in besonderer Weise mit Themen aus dem Henneberger Land auseinander setzten.

Die Rappelsdorfer haben die neue Nixe auch gleich in ihr Herz geschlossen, stolz auf den wunderschönen Saal, den die jüngste Slusia krönt. Warum engagieren sie sich so für dieses Objekt? „Wir wollten nicht, dass der Saal abgerissen wird“, sagt Norbert Pfeifer, und Hans Voigt erzählt, dass er früher mit seinen Eltern im Wirtshaus gegenüber gewohnt hat. „Es ist kein normales Objekt, es ist was Besonderes.“ „Vor 40 Jahren war ich hier noch zur Kirmes“, erzählt Peter Beetz. „Firmen aus der Region haben gute handwerkliche Arbeit gemacht, wir helfen“, meint Gunter Pfeifer und betont: Ohne den Mittelstand geht es nicht.“ Und Walter Schmidt, dessen Vater den Saal gebaut hat, erzählt, dass einmal vor dem Krieg so viele Menschen im Saal waren, dass keiner mehr hinein kam. Es sei ein Seil um sie alle herum gespannt und sie so hinaus bugsiert worden. Ja, er könnte Geschichten erzählen, der alte Tanzsaal. Es wird neue Geschichten geben, von Menschen, die ihn gerettet haben und ihren Ort behüten.

Der Tanzsaal

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