Radsport Der Plan B heißt Thüringen

Tom Bachmann
Vorneweg: Emanuel Buchmann (rechts) zählt zu den Rundfahrt-Favoriten. Foto: Deutschlandtour

Eigentlich ist für Emanuel Buchmann ein Start bei der Spanien-Rundfahrt fest eingeplant gewesen. Weil ihn ein Infekt gestoppt hat, wird er nun zum Hoffnungsträger bei der Deutschland Tour, die auch durch die hiesige Region führt.

 
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Der Plan B soll mehr sein als ein Trostpreis. Weil Emanuel Buchmann in der vergangenen Woche kurzfristig auf einen Start bei der Spanien-Rundfahrt verzichten musste, führt er das deutsche Team Bora-hansgrohe nun bei der am heutigen Mittwoch im Weimarer Zentrum beginnenden Deutschland Tour an – und er ist natürlich der große Star. Das Profil des fünftägigen Rennens mit der Königsetappe auf den Schauinsland sorgt des Weiteren dafür, dass der schmale Kletterspezialist einer der Top-Favoriten auf den Gesamtsieg ist.

Hier bremst Sportchef Rolf Aldag und verweist auf die gerade überstandene Harnwegsinfektion des Ravensburgers. „Wir müssen fairerweise sagen, dass wir nicht genau wissen, worauf es hinausläuft“, sagte der 53-Jährige. „Das eine ist, gesund sein. Das andere ist, schnell Fahrrad zu fahren. Reichte die Zeit also, um gesund und fit zu werden – oder reichte sie nur, um gesund zu sein?“

Buchmann klingt da ein wenig optimistischer. „Ich hoffe, mit meiner Vuelta-Form in die Deutschland Tour zu gehen“, sagte der Rundfahrt-Spezialist. Die vergangenen Tage im Training sei es viel besser gewesen: „Deswegen peile ich definitiv eine gute Platzierung an.“ Wenn der Körper mitmacht. Dass ihm die Gesundheit dazwischenfunkt, ist für Buchmann seit seinem vierten Platz bei der Tour de France 2019 bittere Realität. Stürze, Corona, Infekte – der 29-Jährige wurde immer wieder ausgebremst. „Nach den letzten zwei Jahren, wo gar nichts zusammenlief für mich, geht es in diesem Jahr darum, wieder Stabilität zu finden“, sagte Buchmann. Platz sieben beim Giro d’Italia im Mai bezeichnete er als „ganz okay“, die große Attacke sollte bei der Vuelta folgen.

Da dieser Plan kurzfristig in sich zusammenfiel, will Buchmann seine im Höhentrainingslager erarbeitete Form nun den heimischen Fans zeigen. Zwar wird es schon beim auf Straßenrädern ausgetragenen Prolog um wichtige Sekunden gehen, doch entschieden wird die Tour vermutlich am vorletzten Tag im Schwarzwald auf dem 1284 Meter hohen Schauinsland. Da könnte Buchmann laut Aldags Aussage „ganz vorne mitfahren“.

Dagegen müssen die Fans auf zwei andere Stars verzichten. Weder Giro-Etappensieger Lennard Kämna noch der einst für ein Thüringer Nachwuchsteam fahrende Maximilian Schachmann sind bei der diesjährigen Deutschland Tour dabei. Das Duo hat noch immer gesundheitliche Probleme aus der Tour de France, Schachmann wird zudem bald zum ersten Mal Vater. „Man muss auch mal einen Schritt zurücktreten und Luft holen“, betonte Aldag. „Es bringt nichts, Jungs ins Feuer zu schicken, die halbfit sind.“

Noch lange nicht in Top-Form ist Egan Bernal. Der Tour-Sieger von 2019 bestreitet mit der Deutschlandtour sein zweites Rennen nach seinem furchtbaren Trainingsunfall Anfang des Jahres. Mehr als 20 Knochenbrüche hatte sich Bernal in seiner kolumbianischen Heimat zugezogen, als er ungebremst in einen stehenden Bus gerast war. In der vergangenen Woche gab der 25-Jährige in Dänemark sein Comeback. „Es war unbeschreiblich, endlich wieder eine Nummer anzustecken“, sagte Bernal. Das einzige große deutsche Etappenrennen will er vor allem nutzen, um Rennkilometer zu sammeln.

Die deutschen Fans werden neben Buchmann vor allem mit Simon Geschke fiebern. Der Routinier hat mit seinem bravourösen Auftritt bei der Tour de France und den Tagen im Bergtrikot viele Sympathien erobert und fährt das Rennen im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Dass die Königsetappe in seinem Wohnort Freiburg startet, ist für Geschke der emotionale Höhepunkt. „Das Profil kommt mir sehr entgegen und ich kenne den Kurs wahrscheinlich so gut wie kein anderer im Peloton“, sagte der 36-Jährige. Auch Georg Zimmermann aus Augsburg vom Team Intermarche-Wanty Gobert, der im Juli eine starke Tour de France fuhr, kann sich bei den schwierigen Etappen Chancen ausrechnen, ganz vorne mit dabei zu sein.

Zeitfahr-Weltmeister Filippo Ganna verleiht dem Feld der Deutschland Tour zusätzlichen Glanz. Und wenn eine Rundfahrt mit einem Prolog beginnt, ist der Favorit für den ersten Tagessieg mit eben jenem Weltmeister auch schon gegeben. Entscheidend für die Gesamtwertung ist jedoch höchstwahrscheinlich die 3. Etappe von Freiburg zum Schauinsland mit einem zwölf Kilometer langen Schlussanstieg. Die Liste der kletterfesten Rundfahrer – neben Buchmann – fällt stattlich aus. So können sich hier die Franzosen Romain Bardet und Pavel Sivakov, der Brite Adam Yates, Bauke Mollema aus den Niederlanden, der Italiener Davide Formolo, Rafal Majka aus Polen, der Neuseeländer George Bennet oder Jakob Fuglsang aus dem radsportbegeisterten Dänemark Chancen ausrechnen. Sie alle haben schon einmal eine der großen dreiwöchigen Rad-Rundfahrten auf Plätzen in den Top Ten beendet. Aber auch die Schlussetappe nach Stuttgart mit 3100 Höhenmetern hat es in sich und kann noch einmal alles durcheinanderwirbeln.

Für Klassikerspezialisten wie die Belgier Greg van Avermaet und Yves Lampaert sowie für die Sprinter könnten die Etappen von Weimar nach Meiningen und von der Südthüringer Theaterstadt nach Marburg Optionen für einen Tagessieg bieten. Die Liste der endschnellen Männer im Feld der Deutschland Tour 2022 ist lang und namhaft. Alexander Kristoff (Norwegen), Phil Bauhaus aus Bocholt, der Australier Caleb Ewan, der in Cottbus geborene Max Kanter, Fabio Jakobsen aus den Niederlanden oder der Italiener Fernando Gaviria werden den Sprintankünften ihren Stempel aufdrücken wollen.

Und wie sieht es für das deutsche Spitzen-Team Bora-hansgrohe aus? Der Ausfall von Kämna und Schachmann schwächt die Crew. Aber mit Buchmann und Nils Politt hat das Team von Manager Ralph Denk zwei heiße deutsche Eisen im Feuer. Außerdem düpierte der Österreicher Marco Haller am Sonntag mit seinem Sieg bei den Hamburg Cyclassics die Favoriten. Also: Alles ist möglich!

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