Poetry-Slam Ein Abend zum Tränen lachen

Ulrike Scherzer
Wolf Hogekamp, Kaddi Cutz, Eva Stützer, Volker Surmann und Micha Ebeling (von links) rangen mit Poetry-Slam-Versen um die Gunst des Publikums im Meininger Schlosshof. Eigentlich ging es aber um den Spaß und nicht den Preis, wie Moderator Felix Römer (nicht im Bild) eingangs feststellte. Foto: /Ulrike Scherzer

Poetry-Slam erlebte im Schlosshof Elisabethenburg seine Neuauflage

 
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Meiningen - Für die richtige Stimmung sorgte vom ersten Moment an Felix Römer, geborener Poetry-Slam-Moderator und nie um einen Spruch verlegen. So begrüßte er das Publikum gleich vorwitzig: „Nach so vielen Jahren ist das endlich ein adäquater Ort, an dem wir nahe genug am Bürgermeister sind, sodass er auch selber da ist. Ich soll ihn zwar nicht erwähnen, aber schaff es einfach nicht!“.

Im Wortsprint erklärte er dann weiter, warum er selbst ein knittriges Hemd trägt. Nicht, um sich fein zu machen, sondern um sein „dick am Rücken“ zu kaschieren, dass der „Wettstreit vortragender Menschen nicht allzu ernst zu nehmen ist und nicht allzu ernst genommen wird“ und wie die Regeln für diesen sind. „Das ist nicht weiter interessant. Ich sag’s nur noch mal, damit ich’s selber versteh’!“. Bei seiner folgenden Erinnerung an die letzte Poetry-Veranstaltung gab es sogleich den ersten lautstarken Applaus, was Römer sehr begeisterte. Die Künstler aufgeregt, weil so lange nicht mehr aufgetreten, das Publikum voller Applaudierfreude, weil auch so lange nicht mehr ausgelebt. Es konnte nur ein guter Abend werden.

Mit kabarettistischem Sprachwitz war die Einleitung über die Bühne gegangen, entsprechend folgte in den nächsten reichlich zwei Stunden Kabarett-Kleinkunst hoch fünf. Jedoch musste jeder einzelne Wortakrobat seine Kunst innerhalb eines Textes von maximal fünf Minuten präsentieren. Das Ganze in drei Runden, nach denen dann der Gewinner feststehen sollte – durch die Klatsch-Lautstärke des Publikums ausgewählt.

Doch die Bandbreite der Geschichten, der Vortragenden und die Begeisterung der Zuhörer waren zu groß, um einen eindeutigen Sieger oder Siegerin herauszuhören. Unter großem Jubel erkor Römer Kaddi Cutz schließlich zur Slammerin des Abends. Sie bekam, wie auch ihr Finalkonkurrent Micha Ebeling, eine Flasche Sekt geschenkt. überreicht wurde der symbolische Preis von Sylvia Gramann, der Leiterin der Meininger Stadt- und Kreisbibliothek „Anna Seghers“.

Eigentlich ging es ja auch, wie Römer schon vorab erwähnt hatte, nicht ums Gewinnen. Vielmehr um die Inhalte, das Zuhören, das losgelöste Lachen, das Nachsinnen. Dafür gaben die fünf Autoren reichlich Gelegenheit in größter Vielfalt.

Micha Ebeling präsentierte zwei sehr direkte, auch mal im Derben provozierende Texte. Einen „Roadmovie“ über eine dienstliche Reise nach Marburg. Zur „Geisel der Menschheit“ (ironisch Bezug nehmend auf Michael Steins „Gebet gegen die Arbeit“) wurde bei ihm so manches: vom Stau über die Milch bis hin zur Zeit. Sehr bildreich beschrieben seine Worte selbst unangenehmste Details. Sein Finaltext schilderte schließlich seine Unterhaltungen zu Klassentreffen, bei denen er seinen Beruf erklären sollte. Da der Alkohol die Fantasie beflügelte und ihm die Wahrheit sowieso keiner glaubte, wurde er dort zum Tatortreiniger, Pornodarsteller oder V-Mann der rechten Szene – in der er heimlich mit Beate Zschäpe verlobt war.

Kaddi Cutz reflektierte zunächst im ironischen Ton darüber „Was ich nicht bin“ und in der zweiten Runde über ihre Beziehung zu Sören, dem „Experten des entschleunigten Denkens“. Im Finaltext wiederum fand sie im Dunkel des Abends sehr nachdenklich stimmende Worte auf der Open-Air Bühne zum Thema „Im falschen Film“. Wenn in Situationen alles nur schöner Schein ist. Wenn nur hilflos gestammelt wird, weil sie den Text nicht kennt und eine Fassade aufbaut, „Schicht für Schicht“, die allmählich bröckelt. „Mittendrin du als Antagonist.“ Aber auch in diesen Gedanken findet sich ihr zum Lachen zwingender Zynismus, wenn sie bekennt: „Bist kein Stuhl, musst nicht mit jedem Arsch auskommen“.

Gleichfalls ernste Themen in Versform verarbeitete Eva Stützer mit ihrem zunächst so sinnlich beginnenden Text: „Oh, ihr schmackhaften Schlemmerhappen...“. Doch beim kulinarischen Genuss blieb es nicht, es folgte die Wende zum „Konzern“, der Betrug in Tüten verkauft, Diabetes und Krebs so lecker macht, und die Unwissenheit und Gleichgültigkeit der Leute als Umsatzpotenzial erkannt hat.

Wolf Hogekamp ließ in seinem Frühlingsgedicht die Zuhörer nicht nur mitlachen, sondern gleich noch mitsprechen – einem ganz desinteressierten, gelangweiltem, fast nicht anwesenden „Aha“ als Antwort auf sein enthusiastisches „Aber ja!“ zu den Zeilen: „Spürt ihr die Sonne, spürt ihr den Frühling“. In der ersten Runde brachte er einen erfindungsreichen dystopischen Text mit den Tagesthemen vom 10. Juni 2031 zu Gehör. Die D-Mark ist dann wieder eingeführt, es gibt 7-lagiges Klopapier und ja, es gibt auch noch Kultur. Außerdem sind die Wartezeiten an den Grenzen lang, nach Österreich 18 Stunden.

Fernab von düster-ironischen Zukunftsvisionen sorgte Volker Surmann für reichlich lautstarke Begeisterung im Publikum, indem er das sonst wohl eher unbeliebte Thema Pandemie mit der Fußball EM kommunikativ geschickt verband. In der Manier eines Fußball-Kommentators mimte er eine Konferenzschaltung der Virologen. Drosten: „...bei dem die Linie nicht immer ganz klar ist...“, aber „...persönliche Anekdoten, das kann er“. Daneben kamen natürlich auch Anne Will, Alexander Kekoulé („in der Abstiegsliga“), Heiner Lauterbach („in seinen besten Zeiten in drei Talkshows gleichzeitig“) und alle anderen zur Sprache. „Die dritte Welle macht Laola.“ Und vorausblickend ist laut Halbzeitberichterstatter Surmann die Schlussphase der Pandemie dann in drei bis elf Monaten zu erwarten.

In aller Bescheidenheit verriet der Autor und Verleger, dass er eigentlich keine Fantasie hat, sondern nur mitschreibt. Das aber so pointiert, dass sein Text über das „unerwartete Bekenntnis eines langweiligen Mannes“ das Publikum in Tränen lachen ließ: Der Mann im Zug, der zum ersten Mal mit der Bahn fährt und nach langweilig-nervösen Smalltalk im Großraumabteil mit dem völlig zusammenhanglosen Satz: „Ich befriedige mich auch gelegentlich selbst“ dem „Universum Schluckauf“ beschert. Surmann machte sich so seinen Gedanken, wie man mit dieser Aussage umgeht? Umlenken: „Ich gehe gelegentlich auch in den Zoo“. Oder Konversation über Details, Konfrontation?

Kleine, unbedeutende Alltagsbegebenheiten, Nachrichten, Gedanken, Ereignisse fanden sich in den „zuschlagenden, knallenden“ Texten der fünf Slammer. Gefeiert wurden sie alle.

Daher, so warb Felix Römer gerne noch einmal, unbedingt die Bücher kaufen, denn Geschenke braucht man immer: „Nur noch zwei Mal Lockdown und dann ist schon wieder Weihnachten!“.

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