Osterstadtführung Berühmte Schmalkalder zum Anfassen

Annett Recknagel

Sechs Stadtführer nahmen mehr als 100 Gäste zur Osterstadtführung mit auf eine Zeitreise. Dort trafen sie historische Schmalkalder Persönlichkeiten und erfuhren zum Beispiel, wer in der Stadt das erste Auto hatte.

 
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Eine Sensation. Nein, eine echte Metamorphose. Bart ab, Zylinder runter, Raus aus dem schwarzen Gehrock. Rein in den weißen Kittel. Stethoskop umgehängt und fertig. Aus Richard Paul wurde Friedrich Karl. Nein – nicht Karl Friedrich. Gerichtsmediziner war der gute Mann nicht, Arzt aber schon. Genau genommen Internist. Später dann der Chefarzt des Schmalkalder Krankenhauses, Friedrich Karl Jahn. Er starb erst 1984.

Clemens Bamberger, der den Schmalkadern als Arzt bekannt sein dürfte, nannte ihn einen „ranghohen Sanitätsoffizier“. Und wo bitte hatte dieser Mediziner seinen Auftritt? Zur Osterstadtführung am Samstag natürlich. Wer sich diesem mit Wissen und Witz angereicherten Rundgang anschließt, der erfährt immer wieder etwas Neues. Die Bambergers gehören wie viele andere Schmalkalder auch zu den treuen Fans dieser Veranstaltungsreihe. Die Stadtführer-Gilde ist Jahr für Jahr ihr Urheber.

Die weiße Flagge auf dem Krankenhausdach gehisst

Norbert Hospes hatte den Fabrikanten Richard Paul Dinglinger schon mehrfach gegeben – in die Rolle von Friedrich Karl Jahn aber war er erstmals geschlüpft. Der baute in seiner Schmalkalder Zeit die Röntgen- und Chirurgieabteilung im Krankenhaus mit auf und aus. Und technikversessen war er obendrein. Ihm ist es auch zu verdanken, dass die Staublunge als Berufskrankheit anerkannt wurde und den Heilwert des Mineralwasser hat er ebenso entdeckt. Sein besonderer Verdienst aber war, dass er sich Ende des zweiten Weltkrieges den Befehlen der Wehrmacht widersetzte und so unzähligen Bürgern und Kriegsverletzten im Lazarett das Leben rettete.

Eine gut gelaunte Gertie Stemmler (rechts) spielte die edle Kunihild, die ihre Besitzungen dem Kloster in Fulda geschenkt hatte. Foto: Annett Recknagel

Als Erster hisste er die weiße Flagge auf dem Dach des Krankenhauses. 50 Jahre war Jahn im Gesundheitswesen tätig, erst mit 78 ging er in den Ruhestand. Das alles erfuhren die Gäste erst am Schluss des Rundgangs – im Erbschen Garten. Dort gab es auch die verdienten Ostereier. Zuvor waren die mehr als 100 Gäste den Fabrikanten Richard Paul Dinglinger begegnet. Der protzte mit seiner Hochzeitsreise in der Transsibirischen Eisenbahn. Das war eine Weltreise. Mit dem Kopf voller Ideen kam der einstige Kranbau-Chef zurück. Natürlich blühte die Firma auf. Bei 500 Mitarbeitern keine Frage. Seine Angestellten allerdings verweigerten die kostenlose Kaffeepause.

Kranbauchef fuhr das erste Auto in Schmalkalden

„Was nichts kostet, taugt nichts“, sprach Norbert Hospes den Grund dafür aus und flugs musste der Kaffee bezahlt werden. Übrigens war Dinglinger der erste, der in Schmalkalden mit einem Automobil herum kurvte. Auch das erste beheizbare Schwimmbad errichtete er hier. Apropos Baden. Auf der Salzbrücke wurden die Gäste von Klementine angehalten, einer Badefrau, deren Name Programm war. „Ich wasche alles, nicht nur sauber, sondern rein“, verkündete sie und meinte damit Damen, Herren, Kinder und wenn es sein müsste sogar deren Klamotten. Schon damals hat es in den Badestuben an Personal gemangelt. Und unglaublich – der Beruf einer Badefrau war früher als unrein verschrien. Schließlich kamen die Damen mit Kranken, Verletzten und Pflegebedürftigen in Berührung. Klementine pries ihre Waschlauge aus Efeublättern an und sprach vom Wellnessprogramm. „So ein Bad dauerte oft Stunden“, erzählte sie. Man saß im Wasser, es gab Essen und Trinken, ab und an kam ein Bekannter vorbei, man schwätzte, fühlte sich wohl. Bis zu dem Zeitpunkt als die Syphilis ausbrach. Keiner kam mehr. „Lockdown“, sagte Gudrun Hammel und war bei den Miesepetern angelangt.

Kaum wurde die Situation in den Badehäusern wieder normal, hatte sich doch tatsächlich jemand über den Mangel an Moral in der Stadt beschwert. Die Folge waren Regeln, die es in sich hatten. Bei Gotteslästerung wanderte der Schuldige drei Tage in den Turm. Bier, Wein und Schnaps waren am Gründonnerstag verboten. Ebenso Tänze mit den Badmägden. Und dann stellte Klementine die Frage der Fragen: Was war zuerst da? Das Huhn oder das Ei? Eduard Möricke löste das Problem in einem Gedicht auf seine Weise: „Erstlich ward ein Ei erdacht: Doch weil noch kein Huhn gewesen, Schatz, so hat´s der Has gebracht.“ Damit waren alle Fragen beantwortet.

Die Gästeschar zog weiter. Am Neumarkt traf sie auf Elisabeth von Rochlitz (Susanne Ehrhardt), die Schwester des Philipp von Hessen, zu ihrer Zeit eine sehr patente Frau, die als einziges weibliches Wesen Mitglied im Schmalkaldischen Bund war. Ihr Bruder ließ für sie einst den Hessenhof umbauen und errichtete für sie sogar eine Apotheke. Nur an Gesellschaft mangelte es der Dame in Schmalkalden zeitweise. Da nutzte auch der Papagei, den ihr Philipp schenkte, nicht viel.

Gründungsurkunde exisitert nur als Abschrift

Noch um einiges Edler präsentierte sich Kunihilt alias Gertie Stemmler. Sie erzählte von ihrem Herrenhof und ihrer Villa Smalacalta. Sie war eine Edle des fränkischen Hochadels und dermaßen edel, dass sie ihre Besitztümer dem Kloster Fulda übereignete. Das ist in einer Urkunde von 874 festgeschrieben. Und die belegt das Alter der Stadt – 1150 Jahre. Doch, o Graus, die Urkunde existiert nur als Abschrift. Nicht mal Geisthirt hat das Original zu Gesicht bekommen. „Und ich habe recherchiert und recherchiert“, meldete sich der Chronist in Person von Bertl Werner. Am Ende entschied die Edle Kunihilt, den Geschichtsschreibern zu glauben. Ansonsten könne man in diesem Jahr gar nicht feiern. Und in Schmalkalden werde doch so gern gefeiert. Applaus vom Publikum war Gertie Stemmler sicher.

Fehlt noch der Geheimrat, Sabine Möller hatte sich in ihn verwandelt . Auf ihn traf die Gruppe im Stengelschen Garten. Und was machte der alte Goethe? Schwadronierte vom Goldabbau in Stützerbach. Wie bitte? Mit seinem Fürsten, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, suchte Goethe in den Thüringer Bergen einst nach Gold. Gefunden haben sie natürlich nichts. Nur die Erkenntnis: „Die Gier danach hat die Welt verändert und wird es weiterhin tun.“ Und überhaupt – er, Goethe, sei nur aus einem Grund in den Stengelschen Garten gekommen. Die Gruppe dachte es sich bereits. Und schon wurde der „Osterspaziergang“ gemeinsam gesprochen. Den Text hatte der Geheimrat bei Ankunft vorsichtshalber an die Gäste verteilt.

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