Schon in den vergangenen Tagen berichteten die Zeitungen ausführlich über die bevorstehende Freilassung. Der Prozess war schließlich weit mehr als eine reißerische Geschichte über das persönliche Drama des ersten an den Unterschenkeln amputierten Leichtathleten, der sich für die Olympischen Spiele 2012 in London qualifizierte. Pistorius wurde so lukrativ wie kaum ein anderer in Südafrika vermarktet.
Sport war immer wichtig für die Südafrikaner
Die detaillierte Aufarbeitung des Verbrechens, die vom Schmerz gezeichneten Gesichter von Steenkamps Angehörigen, erschreckte selbst die Südafrikaner, die Realitäten wie zuletzt 27 000 Morde jährlich ansonsten verdrängen. Der Fall warf ein Schlaglicht auf die enormen Einkommensunterschiede, das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen und die Unzulänglichkeiten der Justiz. Auch Pistorius’ weiße Hautfarbe spielte eine Rolle, obwohl das bisweilen komplexe Miteinander der ethnischen Gruppen in dem Fall eigentlich keine große Rolle spielte.
Fast in Vergessenheit geriet, dass der Nation eines seiner populärsten Sportmärchen abhandengekommen war. Sport war in Südafrika schon immer mehr als eine Nebensache. Während der Apartheid traf der Ausschluss der Nationalteams von internationalen Turnieren so manchen Buren härter als die Wirtschaftssanktionen. Der Widerstand gegen das weiße Minderheitsregime formierte sich wiederum am Rande von Fußballspielen in den Townships. Neben den Kirchen gehörten die Stadien zu den wenigen legalen Orten für Versammlungen.
Pistorius darf keine Interviews geben
Seit Einführung der Demokratie versuchte Südafrika auch über den Sport zusammenzuwachsen. Als das Land 1995 die WM im Rugby ausrichtete und auch noch gewann, überreichte Präsident Nelson Mandela dem burischen Rugbykapitän Francois Pienaar die Trophäe. Südafrika wurde Gastgeber des Afrika-Cups im Fußball und der WM im Kricket und 2010 der Fußball-WM.
Doch in den Jahren danach gewann das Land in seinen identitätsstiftenden Sportarten kaum noch etwas und versank im Korruptionssumpf des damaligen Präsidenten Jacob Zuma. Stromnetz und Wirtschaftswachstum kollabierten. Die positive Geschichte von einem wie Pistorius, der als Sportler über alle Widerstände und Wahrscheinlichkeit triumphierte, war eine dringend nötige Ermutigung.
Nach seiner Verurteilung stand Pistorius für die düsteren Seiten Südafrikas. Die Behörden wollen verhindern, dass diese in den kommenden Tagen wieder im großen Stil ausgeleuchtet werden. Seit November, als die Aussetzung von Pistorius’ Reststrafe zur Bewährung bekannt wurde, dürften lukrative Interviewanfragen bei seiner Familie eingegangen sein: Diese Angebote darf Pistorius bis zum Ende seiner Bewährungsstrafe 2029 nicht annehmen. Seine Auflagen schließen Interviews kategorisch aus.