Kratzer sieht aber gleich mehrere moralische Dilemmata, mit denen seine Inszenierung den Zuschauer konfrontiert - schon direkt zu Beginn, wenn eine gealterte Lisa (Sibylle Maria Dordel) die Urne mit der Asche ihres Mannes mit auf das Schiff nimmt. "Allein das wirft ganz viele Fragestellungen auf, die einen vielleicht auch persönlich berühren, nämlich dass die Asche eines engen Anverwandten ja den meisten Menschen mehr bedeutet als die millionenfache Asche anonymer Massentötungen."
Der Regisseur hat der Ursprungsfassung diese weitere, aktuelle Ebene hinzugefügt - geprägt von Fällen, in denen greise, frühere KZ-Sekretärinnen vor Gericht stehen. "Natürlich möchte man einerseits, dass das abgeurteilt und niemals vergessen wird und niemals verjährt, gleichzeitig aber vor der Absurdität steht, dass sich jetzt eine Frau, die im Rollstuhl sitzt, kaum mehr sehend und hörend, noch einmal für etwas verantwortet, was sie damals als junges Mädchen vielleicht ja gar nicht umrissen hat."
Teil dieser Ebene ist auch die Frage nach der deutschen Erinnerungskultur und danach, wie sie Bestand haben kann ohne Zeitzeugen. Am Ende der Oper steht der Satz: "Wenn eines Tages eure Stimmen verhallt sind... dann gehen wir zu Grunde."