Die Chinesen, so wurde gestern kolportiert, hätten die Entscheidung der Schwedischen Akademie für Mo Yan verdient - denn schließlich seien sie ja die meisten... Was als Scherzwort daherkommt, hat allerdings einen durchaus realistischen Kern. Denn die Kür des 57-Jährigen, der übrigens einer der erfolgreichsten Schriftsteller in China ist, zum Literaturnobelpreisträger hat nicht zuletzt einen politischen Hintergrund.

Eine redliche literarische Würdigung des Autors von so klangvollen Titeln wie "Das rote Kornfeld", "Die Knoblauchrevolte", "Die Schnapsstadt" oder "Große Brüste und breite Hüften" dürfte in der deutschen und europäischen Leserschaft derzeit nur wenigen möglich sein, Mos Bücher sind hierzulande nicht gerade Gassenhauer. Martin Walser immerhin, der nicht nur ein großer Schreiber, sondern auch ein großer Leser ist, hat den Chinesen gestern in den höchsten Tönen gelobt: Mo sei über jeden Zweifel erhaben, einer der wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters und gleich neben Faulkner zu platzieren. Und die Begründung der sagenumwobenen und häufig umstrittenen Schwedischen Akademie, Mo Yan habe "mit halluzinatorischem Realismus Märchen, Geschichte und Gegenwart vereint", ist deutlich literarisch und deutet eine Nähe zum auch in Deutschland so hoch geschätzten "Magischen Realismus" Lateinamerikas an. Der große Gabriel García Márquez, Preisträger von 1982, hat das Schreiben bekanntlich aufgegeben. Wer weiß: Vielleicht ist ihm da im Fernen Osten ja ein würdiger "Nachfolger" nachgewachsen.

Dennoch ist die Entscheidung der Jury - wie nicht immer, aber doch häufig - auch eine politische. Das muss man auch gar nicht kritisieren, Literatur hat stets auch eine politische Dimension. In Deutschland darf man beispielsweise an die Preisverleihung im Jahre 1972 an Heinrich Böll erinnern, der viel mehr als für sein Werk als Gewissen der Republik gewürdigt wurde.

Nun also Mo Yan: eine Auszeichnung für China. Die dortige Staatsmedien bejubelten ihn gestern als "ersten chinesischen Bürger", der einen Nobelpreis bekommen habe. Unterschlagen haben sie dabei, dass im Jahr 2000 der im französischen Exil lebende Schriftsteller Gao Xingjian geehrt wurde und dass 2010 der inhaftierte Bürgerrechtler Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis zugesprochen bekam. Die Bilder von der Preisverleihung, als der Stuhl des Preisträgers leer blieb und nur eine darüber hängende Porträtaufnahme an ihn erinnerte, gingen damals um die Welt. Mo Yan gehört nicht in diese Reihe, lebt nicht im Exil und schon gar nicht im Knast. Er ist nach allem, was gestern zu lesen und zu hören war, ein wenn auch nicht staatstragender, so doch staatskonformer Schriftsteller in der kommunistischen Diktatur, die sich wirtschaftlich öffnet, die expandiert, die immer schneller zu einer neuen Weltmacht wird. Die Entscheidung der Stockholmer Jury passt insofern hervorragend zur momentanen Handlungsweise der westlichen Politik. Auch diese, auch Deutschland, wendet sich immer stärker China zu - nicht zuletzt aus eigenem, vor allem wirtschaftlichem Interesse. Und es ist auch notwendig, mit den Chinesen zu reden - man sollte dabei nur die Menschenrechte nicht ausklammern. Auch nicht im literarischen Diskurs.

Das Schöne an der alljährlichen Vergabe des Literaturnobelpreises ist, dass man als Leser rechtzeitig zur kalten Jahreszeit immer wieder schöne neue Lektüreanregungen bekommt. Knoblauch, Schnaps, große Brüste, breite Hüften: Das könnte ein deftiger Winter werden in diesem Jahr.