Dichter - zumal tote Dichter - finden sich nicht allzu häufig wieder auf dem Titelbild des Spiegel (der dafür gerne mal an dieser Stelle einen Roman von einem Literaturkritiker zerreißen lässt - aber das ist jetzt ein zu weites Feld). 1958, noch zu seinen Lebzeiten, hat das Hamburger Magazin Hermann Hesse die Titelgeschichte "Im Gemüsegarten" gewidmet und ihn darin, gelinde gesagt, abgekanzelt. In dieser Woche ziert der Literatur-Nobelpreisträger wieder den Spiegel-Titel, schön frech mit Stinkefinger, und im Heft hat Matthias Matussek einen glänzenden Hymnus auf ihn geschrieben. So ändern sich die Zeiten.

Was sich nicht ändert, ist die Ambivalenz, mit der dem auflagenstärksten deutschsprachigen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts seit Langem begegnet wird. Hesse wird bewundert, verehrt, mitunter zum Guru hochstilisiert - und er wird von weiten Teilen der Kritik als literarischer Taugenichts geschmäht. Kitsch sei das teilweise, rückwärtsgewandt, betulich, unpolitisch. Und ja: Hermann Hesse hat fragwürdige Prosa veröffentlicht, miese Gedichte geschrieben. Na und? Das hat Goethe auch. Wer aber, sagen wir: den wundersamen "Knulp" als literarisch minderwertig abkanzelt, der muss sich schon fragen lassen, ob er das Urteil nicht vor der Lektüre gefällt hat. Oder das hochartifizielle Alterswerk "Das Glasperlenspiel". Oder den "Steppenwolf". Wer wollte Thomas Mann Urteils- und Kunstfertigkeit absprechen? Er hat den "Steppenwolf" (der in der DDR übrigens als "antigesellschaftlich" galt) mit dem "Ulysses" von James Joyce verglichen.

In einem Brief aus dem Jahre 1950 hat Hermann Hesse Folgendes geschrieben: "Gegen die Infamitäten des Lebens sind die besten Waffen: Tapferkeit, Eigensinn und Geduld. Die Tapferkeit stärkt, der Eigensinn macht Spaß und die Geduld gibt Ruhe." Und darin liegt der Schlüssel zur Ambivalenz, mit der Person und Werk beurteilt werden. Hesse war tapfer, eigensinnig und geduldig - und seine Romanfiguren sind es allesamt auch. Eigensinn macht Spaß - aber er macht bei den Hütern der Konvention nicht nur Freunde. Rilke hat gesagt, Hermann Hesse stehe am Rande der Kunst, und das trifft es gut: am Rande, nicht mittendrin, zwischen den Stühlen, nicht darauf.

Daraus resultiert auch die hohe politische Wirkung dieses Dichters, der in der Hippie- und 68er-Bewegung eine bedeutende Rolle spielte und vor allem bei jungen Menschen immer wieder spielt. Eigensinn, nicht Konformität; Tapferkeit, nicht Verzagtheit; Geduld, nicht übermenschliche Schnelligkeit. Diese Tugenden werden auch heute wieder höher geachtet, da Kapitalismuskritik, Umweltbewusstsein, Toleranz, Betonung der Menschenrechte für viele Menschen ganz zentrale Bedeutung haben. Es ist schon putzig: In Hesses schwäbischer Heimat regiert jetzt ein grüner Ministerpräsident. Matussek hat den Dichter im Spiegel als den "ersten Grünen" bezeichnet. Das stimmt. Und auch wieder nicht. Hesse wäre nie den Grünen beigetreten. Eigensinn macht Spaß. Nicht Parteipolitik.

Am 9. August 1962, heute vor fünfzig Jahren, ist Hermann Hesse im schweizerischen Montagnola im Schlaf gestorben. Der Überlieferung nach sollen die "Bekenntnisse" des Augustinus auf seinem Bett gelegen haben. Seien wir ein wenig eigensinnig - und stellen wir uns vor, es sei ein anderes Buch gewesen. Der "Taugenichts" von Eichendorff vielleicht. Er wird gelächelt haben beim Einschlafen.