Meinung Zum Jahrestag der Null

Die risikolose Altersvorsorge vieler Menschen ist durch die Nullzinspolitik der Zentralbank gefährdet. Hohe Immobilienpreise erlauben es jungen Familien kaum, Eigentum zu bilden. Rentenversicherungen werfen kaum etwas ab. Einziger verbliebener Ausweg sind Aktien – aber die sind nicht unproblematisch. Foto: dpa/Wolfgang Langenstrassen

Die Menschen, die für sich und ihre Familien (vor)sorgen wollen, bezahlen für die Nullzinspolitik der Zentralbank. 15.000 Euro im Jahr 2016 haben heute nur noch eine Kaufkraft von 14.177 Euro – innerhalb von fünf Jahren haben sich mehr als 800 Euro in Luft aufgelöst, kommentiert Olaf Amm.

 
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Suhl - „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt? Wer hat soviel Pinke-Pinke, wer hat soviel Geld?“, schmetterte Jupp Schmitz 1949 im Karneval. Die Zeiten haben sich geändert, die Frage bleibt für viele Generationen die gleiche. Vor genau fünf Jahren hat die Europäische Zentralbank eine Antwort gefunden – allerdings nur für sich und die Regierungen in der Eurozone. Am 10. März 2016 hat der Zentralbankrat die Leitzinsen auf Null gesetzt und das Programm zum Ankauf von Staatsanleihen ausgeweitet, Banken müssen Strafzinsen für Guthaben bei der EZB zahlen. Der deutsche Staat spart dafür jährlich eine halbe Billion Euro an Zinsen.

Schon in den Jahren zuvor – seit der Weltfinanzkrise 2008 – hat die Zentralbank in Europa, aber auch die in anderen Staaten, die Zinsen in den Keller geschickt. Das hat erhebliche Folgen für Verbraucher. Nach Berechnungen der DZ-Bank haben die deutschen Sparer bis Ende 2019 bereits 648 Milliarden Euro verloren. Denn auch die mickrige Inflation frisst über die Jahre an Guthaben wie Rost an alten Autos. 15.000 Euro im Jahr 2016 haben heute nur noch eine Kaufkraft von 14.177 Euro – innerhalb von fünf Jahren haben sich 823 Euro in Luft aufgelöst. Seit der Finanzkrise sind sogar 2300 Euro davon verschwunden. Für die Altersvorsorge vieler Deutscher, die auf bombensichere Rentenversicherungen setzen, ist das ein Problem. „Letztlich torpediert die EZB die private Altersvorsorge der Versicherten“, empört sich der Vorstand der Nürnberger Versicherung, Armin Zitzmann.

Hätten sie halt in Aktien investiert, hört man die Besserwisser rufen. Dummerweise fällt vielen dabei nur die „Volksaktie“ der Telekom ein. 1996 – zehn Jahre vor der Nullzinsentscheidung – wurde der Staatskonzern an die Börse gebracht, Fernsehliebling Manfred Krug war die Galionsfigur einer massiven Werbekampagne. 14,57 Euro kostete ein Anteilsschein beim ersten Börsengang, 39,50 Euro beim zweiten und zur Jahrtausendwende 103 Euro. Dann kam der Absturz. Seit 2015 notiert die Aktie in einem Korridor zwischen 13 Euro und 18 Euro. Sie liegt damit weiterhin unter den Ausgabepreisen des zweiten und dritten Börsengangs. Wer vermeintlich sichere Bankaktien hatte wurde ebenso bestraft.

Das ist kein Plädoyer gegen die Aktien, nur eine Erklärung, warum nennenswerte Teile der Bevölkerung ihre Altersvorsorge gerne anders angelegt sehen. Dem deutschen Leitindex Dax geht es ansonsten prächtig. Er ist von 6900 Punkten im Jahr 2010 über 11.480 im Jahr 2016 auf 13.718 im Corona-Jahr geklettert. Satte 27 Prozentpunkte Plus in den vergangenen fünf Jahren und selbst im vergangenen Krisenjahr gab es Zuwachs. Das Geld, das die Zentralbanken in den Markt drücken, sucht Anlagemöglichkeiten. Das führt zum nächsten Problem: Immobilienpreise oder Betongold, wie der Volksmund sagt. Seit 2004 sind die Preise in Wachstumsregionen um durchschnittlich 82 Prozentpunkte gestiegen. Selbst in Schrumpfungsregionen ist ein Haus heute 32 Prozent teurer als damals. Richtig Fahrt aufgenommen haben die Preise ab 2016: 43 Prozentpunkte im gesamtdeutschen Durchschnitt. „Wer jetzt kein Haus kauft, kauft sich keines mehr“, wird ein berühmtes Rilke-Gedicht verballhornt.

Ein Ende dieser Geldpolitik ist nicht absehbar. Höhere Zinsen würden die Staatshaushalte der stärker verschuldeten südlichen Euro-Zone ganz kollabieren lassen. Preise für Immobilien und Aktien gerieten ins Rutschen und mit ihnen Banken samt Realwirtschaft. Der Ausstieg aus der Nullzinspolitik wird eines Tages so hart werden wie der Entzug eines Heroinsüchtigen. Bis dahin kennen alle die Antwort auf die alte Frage von Jupp Schmitz: Die Menschen, die für sich selbst und ihre Familien (vor)sorgen wollen, werden das bezahlen.

Die Menschen, die für sich und ihre Familien (vor)sorgen wollen, bezahlen für die Nullzinspolitik der Zentralbank.

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