Meininger Kleinkunsttage „Dann muss ich wohl die Stadt verklagen!“

Antje Kanzler
Emmanuel Peterfalvi alias Alfons – am 13. April in Meiningen zu erleben.Foto: Guido Werners Foto:  

Mit dem Programm „Alfons – jetzt noch deutscherer“ kommt der deutsch-französische Kabarettist im April nach Meiningen – als Gast der Kleinkunsttage. Das ist er nicht zum ersten Mal.

 
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Sein Glück hat er im Geschichtenerzählen gefunden – und in seiner Wahlheimat Deutschland. Auch im Gespräch, wenn der französische Akzent fast verschwindet und aus Alfons wieder Emmanuel Peterfalvi wird, entfernt sich der Künstler nicht allzu weit von seiner Bühnenfigur. Wie man ihn ansprechen soll? Da muss er nicht lange nachdenken: „Alfons.“

Alfons, warum heißt Ihre Kunstfigur eigentlich (ausgesprochen) „Alfoaß“? Seit Sie dank ihrem deutschen Pass „noch deutscherer“ geworden sind, wäre es da nicht an der Zeit für „Allfongs“? Die Schreibweise ist ja ohnehin schon die deutsche.

Ja, die Schreibweise ist deutsch. Es hat mich nämlich total fasziniert, als ich das zum ersten Mal so geschrieben gesehen habe: Alfons – das ist doch sehr straight. Das passt zu mir und meinem Alter Ego. Auch dass ich es deutsch schreibe und französisch spreche.

Eine kuriose Namenwahl für Ihr „anderes Ich“. Hat es ein Vorbild für diesen Künstlernamen gegeben? Spontan fallen einem gelernten DDR-Bürger die Lausbubengeschichten von Alfons Zitterbacke ein. Könnte ja sein – denn einen DDR-Trainingsanzug tragen Sie ja auch ...

Tatsächlich gibt es gar keinen Grund für diesen Namen. Ich habe ihn damals total unbewusst gewählt, weil er sich irgendwie gut anhörte. Für mich ist er gut. Ich trage aber wirklich immer noch diese DDR-Trainingsjacke aus Dederon. Dieses Material gibt es nicht mehr zu kaufen. Man kann sie daher nicht originalgetreu nachmachen lassen.

Olaf Schubert hat seinen gelben Pullunder, Torsten Sträther seine schwarze Mütze, Sie diese unverwüstliche orange-blaue Sportjacke. Sind solche extravaganten Äußerlichkeiten für einen Comedian wichtig?

Ich fand die Jacke einfach gut. Das war mal eine Requisite. Ich hab mir damals keine weiteren Gedanken darüber gemacht. Jetzt gehört sie zu mir. Ich fühle mich einfach wohl mit dieser Jacke.

Hat es mit dem Orange eine besondere Bewandtnis? Zumindest für ein Friedensstatement hatten Sie sich die Jacke ja mal in Gelb-Blau beschafft.

Die war extra angefertigt worden, allerdings nicht aus Dederon, für ein Spendenprojekt, als der Ukrainekrieg begonnen und ich ein erschütterndes Foto von einem ukrainischen Kind gesehen hatte. Mit der Jacke wurden dann Selfies gemacht. Das hat sehr viel Geld für das Deutsche Kinderhilfswerk zugunsten der ukrainischen Kinder eingebracht.

Auf dem Veranstaltungsflyer der Stadt Meiningen für April bekam Ihre Jacke übrigens einen Rotton, damit es zur Flyer-Optik passt. Ein Faux Pas?

Dann muss ich wohl die Stadt verklagen!

Sie sind schon Stammgast der Meininger Kleinkunsttage und finden sich sogar mit einem Grußwort in der Broschüre zum 30. Jubiläum des Festivals wieder. Zuletzt besuchten Sie Meiningen vor fünf Jahren, 2013 standen Sie hier mit Uwe Steimle auf der Bühne und 2006 als Solist. Erinnert man sich als Künstler an seine Auftrittsorte? Hat man überhaupt Zeit, Stadt und Leute ein bisschen näher kennenzulernen?

Man versucht, sich daran zu erinnern und das ist eine große Herausforderung. Ich bin fast jeden Tag unterwegs, jeden Tag in einer anderen Stadt. Es ist eigentlich ein Drama: Von der Stadt selbst bekommt man gar nichts mit. Man hört immer wieder: Du musst Dir das mal anschauen und Du musst dieses kennenlernen und mit jenem reden. Das ist umso frustrierender, weil man möchte, dafür aber keine Zeit hat. Eigentlich ist das total unfair. Deshalb – um ehrlich zu sein – ich kenne nichts von Meiningen. Nur das Theater und das Hotel. Das war’s. Ich habe immer wieder den Wunsch, das zu ändern. Aber es ist kaum möglich bei ungefähr hundert verschiedenen Auftritten im Jahr.

Das Programm, mit dem sie nach Meiningen kommen, ist gar nicht Ihr Neuestes – warum gerade dieses? Und nicht „Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und gibt es dort genug Parkplätze?“?

Das ältere Programm setze ich auch als Schulprojekt ein. Das ist für mich etwas Besonderes und liegt mir sehr am Herzen. Wenn ich die Stadt, in der ich das zeige, auch nicht kennenlerne, so komme ich doch mit Jugendlichen ins Gespräch. Meininger Schulen und Lehrer, die Interesse haben, können sich gern noch ganz kurzfristig melden bei uns unter der E-Mail-Adresse schule@alfons-fragt.de. Wir werden dann in der Vorstellung Plätze für die Schüler reservieren. Dieses Programm müssen die Schüler unbedingt sehen! Es geht um Versöhnung, Toleranz, Demokratie, um Frieden, Völkerverständigung und Europa. Ich erzähle darin über meine Großmutter, die Auschwitz überlebt hat. Mich hat überrascht, dass sie die Deutschen trotzdem nicht hasste. Sie hat immer zu mir gesagt: Ich werde dir das später erklären. Doch dann starb sie. Viel später habe ich dann etwas gefunden, das sie mir hinterlassen hat, um es mir zu erklären. Davon erzähle ich in meinem Programm. Meine grand-mère war sehr schlau, die wollte, dass ich es herausfinde, wenn ich so weit bin, es zu verstehen. Das ist eine wahre Geschichte.

... die auch junge Leute erreicht?

Das Stück hat die Gabe, Schüler zu interessieren. Wenn Lehrer das also machen wollen, dann sollen sie uns bitte kontaktieren und sie bekommen ein pädagogisches Stück, das sie danach mit den Schülern durchgehen können und Materialien, mit denen sie sich davor schon beschäftigen können. An sich wird die Vorstellung am 13. April eine ganz normale sein, aber die Schüler sind besser vorbereitet als das übrige Publikum. Ein bisschen später werde ich zu ihnen in die Schule kommen, um das Stück mit ihnen zu besprechen. Ich werde einen Termin für einen solchen Workshop finden. Ich mache das ehrenamtlich für den gemeinnützigen Zweck, denn daran liegt mir viel. 40 Prozent der Jugendlichen sagen heute laut einer Umfrage, dass ihnen Demokratie nicht so wichtig ist. Deshalb habe ich mich auch entschieden, mit dem Programm weiterzumachen. Ich würde deshalb sehr gern wollen, dass Schüler kommen. Vielleicht finden wir auch eine Lösung für günstigere Plätze für Jugendliche.

Nun läuft das Programm ja schon ein Weilchen und erzählt unter anderem davon, wie Sie, ein geborener Franzose, 2017 zu einem deutschen Pass kamen. Aber die weltpolitischen Ereignisse haben sich ja in den letzten Jahren überschlagen, auch Deutschland wandelt sich gerade. Ist das Programm dadurch ein anderes geworden?

Das Programm wurde ein Klassiker! Eigentlich zeigt man als Künstler ein Stück zwei, drei Jahre lang, dann ist es abgespielt. Das ist hier anders gewesen. Ich bin immer wieder darauf angesprochen worden: Du musst das weiterspielen. Ich bekomme auch Mails dazu. Es ist mein bestes Programm, denn es macht sehr viel mit den Leuten. Alle sind danach ganz bewegt. Das Thema geht über mich hinaus. Ich bin vielleicht der Katalysator dafür. Es passiert gerade Bedrohliches in der Welt. Wir sehen in den Nachrichten furchtbare Dinge. Trotzdem habe ich gar nicht so viel ändern müssen an dem Stück, denn es geht ja um universelle Themen wie Hass und Toleranz, Krieg und Frieden, Völkerverständigung und Demokratie .

Sind Sie selbst als nunmehr Deutscher ein anderer geworden?

Es hat ja lange gedauert, bis es dazu kam. Bis zu dem Brief der Ausländerbehörde habe ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht, weil es eigentlich ein Widerspruch ist, Franzose und Deutscher zu sein. Es war mir auch nicht bewusst, dass es was mit mir machen würde. Tatsächlich ist es ein großer Schritt in meinem Leben gewesen. Ich habe in dem Zusammenhang dieses Programm entwickelt und dafür sogar das Bundesverdienstkreuz bekommen. Dass es dafür in Deutschland eine solche Auszeichnung gibt, ist ein großes Symbol für die Freundschaft zweier Völker, die sich in der Vergangenheit immer nur die Köpfe eingehauen haben. Diese Ehrung hat mich sehr berührt – gerade mit meiner Familiengeschichte. Mein Urgroßvater ist in Auschwitz vergast worden. Ich bin heute beides – Deutscher und Franzose.

Den höchsten deutschen Orden bekamen Sie 2021 für Ihren Einsatz für Kultur, Humanität und Toleranz. Hätte ihnen der französische Ehrenlegionsorden auch so viel bedeutet?

Das deutsche Bundesverdienstkreuz ist für mich ganz besonders wertvoll – allein wegen meinem familiären Hintergrund.

Ihr Programm führt scheinbar Gegensätzliches zusammen: Vergangenheit und Gegenwart, Deutschland und Frankreich, Schrecken und Komik. Nun sind sie zwar ein Komiker, in einem Interview aber sagten Sie mal, Gags reichen Ihnen nicht mehr, Sie könnten nicht mehr nur komisch sein ...

Es steckt schon sehr viel Kontrast in diesem Programm drin. Es gibt viele Lacher, aber auch Momente, in denen es sehr still wird und manche Zuhörer feuchte Augen bekommen. Aber das Leben ist so. Und so ist eben auch das Stück. Überraschend, sehr bewegend, nichts, was man gleich wieder vergisst, sondern noch länger beschäftigt. Und doch darf dabei auch viel gelacht werden. Eine Frau schrieb mir mal, das sei für sie Massage für die Seele gewesen.

In einer Talkshow verrieten Sie, dass Sie glücklich sind, wenn Sie Geschichten erzählen können. Dabei waren sie doch am Anfang ihrer Karriere eher der Frager, der rasende Reporter mit dem Puschelmikrofon und den irritierenden, irrwitzigen Fragen. Jetzt der Erzähler?

Ich habe mir meinen Weg gesucht. Damals habe ich auch die Leute in der Fußgängerzone sehr gern befragt und daraus eine Geschichte gemacht. Aber ich war immer gefangen in dem, was mir die Leute erzählten. Lieber erzähle ich daher selbst Geschichten. Ich will euch damit zum Lachen bringen, aber das reicht mir nicht aus. Ich will eure Herzen erreichen, mit Geschichten, die unter die Haut gehen.

Fallen Ihnen die Geschichten zu? Sind es ihre eigenen oder machen Sie sich alltäglich auf die Suche danach?

Für Fernsehauftritte suche ich nach Geschichten, die mich auch selbst berühren und von denen ich überzeugt bin. Ich lese, viel, höre Radio, telefoniere herum ... Ich habe Antennen für solche Geschichten. Ein ganz aktuelles Beispiel: Durch den Krieg in Gaza ist es im Libanon gerade verboten, mit Israelis zu sprechen, aber das Leben geht weiter. Nun schlägt das Dating-Portal Tinder Frauen im Libanon, die einen Mann suchen, aber israelische Männer vor, in Israel genau dasselbe, nur umgekehrt. Seit dem Krieg stört nämlich das Militär das GPS-Signal und deshalb spinnt Tinder und will Leute paaren, die eigentlich nicht zusammenkommen sollen. Aber die Leute haben sich trotz Verbot getroffen, weil sie ja von Tinder gematcht worden waren. Und sie sagten sich: Wenn Friede ist, vielleicht verlieben wir uns dann. So hilft die Militärtechnologie möglicherweise dabei, die große Liebe zu finden, die alles überwindet. Solche Geschichten finde ich großartig. Auf der Bühne dagegen geht es in meinen Programmen mehr um meine eigenen Erinnerungen und Erlebnisse.

Mit dem Pass in der Tasche fühlen Sie sich als Franzose jetzt noch „deutscherer“. Hat eigentlich eine Seite die Oberhand gewonnen? Zumindest leben Sie ja schon viel länger in Deutschland als in Frankreich.

Ich fühle mich auf jeden Fall europäisch – und gleichzeitig zu 100 Prozent als Franzose und zu 100 Prozent als Deutscher. Ich sehe mich als Botschafter für die Völkerverständigung und die deutsch-französische Freundschaft. Es ist noch vieles besser zu machen in Europa, aber wir sollten nicht vergessen, warum Europa geschaffen wurde: Weil es jahrhundertelang Kriege gegeneinander gab. Nun durften wir eine lange Epoche des Friedens erleben.

Absolvieren Sie eigentlich auch in Ihrer Geburtsheimat Auftritte? Dann vielleicht mit deutschem Akzent?

Nein, dort trete ich gar nicht auf.

Dafür aber in wenigen Tagen zum vierten Mal in Meiningen ...

Ich freue mich drauf. Kommt vorbei, liebe Meininger! Überraschen wir uns!

Emmanuel „Alfons“ Peterfalvi

– Geboren 1967 in Paris– Französisch-deutscher Kabarettist, der durch die Figur des TV-Reporters Alfons im NDR bundesweit bekannt wurde– Aufgewachsen in Paris, sein Familienname Peterfalvi ist ungarischer Herkunft – Bereits als Kind befragte er Erwachsene mit dem Kassettenrekorder und betrieb als Jugendlicher einen Piratensender– Nach dem französischen Abitur studierte er in Paris Kommunikationstechnologie– Kam 1991 nach Deutschland, um der Wehrpflicht mit einer Tätigkeit im Ausland beim Pay-TV-Sender Premiere zu entgehen– Bekam dort eine Anstellung als Redakteur und blieb dauerhaft in Hamburg, nachdem er sich nach eigener Aussage „in Deutschland und die Deutschen verliebt“ hatte– Lebt immer noch in Hamburg und besitzt seit dem 3. November 2017 neben der französischen die deutsche Staatsbürgerschaft.

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